Was ist dran: Putins Narrativ von den Neonazis in der Ukraine

Stand: 18.05.2022, 17:09 Uhr

Der russische Präsident Putin legitimiert seinen Angriffskrieg damit, dass die Ukraine voller "Neonazis und Faschisten" sei. Was ist dran an diesen Vorwürfen? Und welche Rolle spielt das nationalistische Asow-Regiment?

Von Nina Magoley

Wenn der russische Präsident Wladimir Putin öffentlich über seinen Angriff auf die Ukraine spricht, wiederholt er dabei vor allem ein Ziel: Die Ukraine müsse von "Nazis" und Faschisten "gereinigt" werden. Selbst den jüdischen Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyi, bezeichnete Putin immer wieder als Nazi. Russland, so das Bild, das Putin zeichnet, führt keinen Krieg gegen die Ukraine, sondern wolle mit einer "Spezialoperation" die Rückkehr des Faschismus im Nachbarland verhindern.

Historischer Ursprung der russischen Propaganda

Feinde als "Nazis" oder "Faschisten" zu bezeichnen, sei fester Bestandteil der russischen Propaganda – nicht erst seit Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine, sagt der Osteuropahistoriker Robert Kindler von der FU Berlin. Entstanden sei diese Perspektive mit dem Sieg der Sowjetunion über das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg.

Inzwischen sei die Front gegen den Faschismus einer der wichtigsten Pfeiler nationaler Identität und tief in der russischen Gesellschaft verankert. Den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland begeht Russland jedes Jahr am 9. Mai als nationalen Feiertag mit einer großen Militärparade und politischen Ansprachen.

Bei der Frage nach der Glaubwürdigkeit dieses Narrativs fällt auf, dass internationale Expertinnen und Experten zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Einigkeit herrscht bei so ziemlich allen, dass man dabei die aufgewühlte Geschichte dieses Landes nicht außer acht lassen darf.

So gibt es in der Ukraine nationalistische Gruppierungen, die sich besonders über den seit Jahren währenden Kampf gegen die russische Annektion der Krim identifizieren.

Das „Asow-Regiment“: Darum erscheint die Propaganda vielen Russen glaubwürdig

Die als rechtsextrem einzuordnenden politischen Parteien in der Ukraine - "Freiheit" (Swoboda), "Rechter Sektor" (Prawyj Sektor) und "Nationales Corps" - haben keine Relevanz. Bei der letzten Wahl kamen sie zusammen nur auf 2,15 Prozent der Stimmen.

Vom Asow-Regiment veröffentlichtes Foto eines verletzten Kämpfers

Vom Asow-Regiment veröffentlichtes Foto eines verletzten Kämpfers

Zunehmend beliebt – besonders bei jüngeren Ukrainern - sei allerdings das sogenannte Asow-Regiment, stellt die Bundeszentrale für politische Bildung fest. Gegründet wurde das Regiment als Freiwilligen-Batallion, um gegen die Separatisten im Donbass zu kämpfen. Die Gruppe nutzt Symbole der SS und pflegt auch intensive Kontakte zu Rechtsextremisten im Ausland – wie zum Beispiel zur ostdeutschen, rechtsextremen Partei "III. Weg“.

Inzwischen wurde das mit Waffen gut ausgerüstete Asow-Regiment in die ukrainische Nationalgarde aufgenommen und steht damit in direkter Verbindung mit dem ukrainischen Innenministerium.

Neonazis oder Nationalisten?

Darüber, ob es sich bei den Mitgliedern des Asow Regiments um Neonazis oder Nationalisten handelt, gehen die Meinungen von Experten allerdings auseinander: 

Der ukrainisch-isralische Historiker Vyacheslav Lykhachov ist überzeugt, Asow sei kein Neonazi-Regiment. "Einige Gründer" hätten zwar einen rechtsextremen und teilweise neonazistischen Hintergrund – und trügen auch entsprechende Embleme zur Schau. Das spiegele sich aber "in keiner Weise in den Aktivitäten" wieder, erklärt der Wissenschaftler vom Projekt "Ukraine verstehen" des Grünen-nahen "Zentrum liberale Moderne". Spätestens seit 2017 habe Asow sich von allen neonazistischen Mitgliedern getrennt.

Die russische Propaganda sorge aber dafür, "das Bild eines kriminellen neonazistischen nationalen Bataillons zu schaffen", dem die westlichen Medien auf den Leim gingen. Fakt sei: "In den letzten Jahren gibt es keinerlei Anhaltspunkte für den Vorwurf, dass Neonazis im Asow-Regiment dienen."

"Das ist so nicht richtig", sagt wiederum Nicholas Potter von der Amadeu Antonio Stiftung, die gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus forscht. Zwar sei nicht jedes Mitglied des Asow-Regiments rechtsextrem – "und Putin bauscht diese Darstellung definitiv auf".

Dennoch gebe es hinreichend Belege dafür, dass es bei Asow bis heute eine große Nähe zur rechtsextremen Szene gebe. So sei der aktuelle Kommandeur, der ehemalige Hooligan Denys Prokopenko, bereits seit 2014 beim Regiment. In den sozialen Medien posierten Mitglieder noch immer mit Neonazisymbolen.

"Eindeutig Propaganda“

Zahlenmäßig spiele das rechtsextreme Asow Regiment, ebenso wie die nationalistischen Parteien der Ukraine, kaum eine Rolle, meint wiederum Extremismusforscher Alexander Ritzmann im Deutschlandfunk. Das Asow-Regiment sei nur eine "verschwindend kleine Gruppe" innerhalb der ukrainischen Streitkräfte. Außerdem sagt Ritzmann in dem Interview: "In Russland gibt es viel mehr Neonazis als in der Ukraine – auf jeden Fall". Der russische Präsident Putin behaupte zwar, dass er den Krieg führe, um die Ukraine von Faschisten zu befreien, das sei allerdings eindeutig Propaganda.

"Aktive Vernetzung" mit rechtsextremen Bewegungen

Rechtsextremismusexperte Michael Colborne vom internationalen Recherchekollektiv Bellingcat hat gerade ein Buch über Asow veröffenlicht. Er beschreibt die Gruppe als "heterogene rechtsextreme Bewegung, die gerne eine Minderheit von Neonazis und Anhänger politischer Gewalt" in ihren Reihen habe. In den letzten Jahren habe das Regiment im ganzen Land "massiv" Nachwuchs rekrutiert.

Asow sei ausdrücklich gegen eine liberale Demokratie und stehe in direkter Verbindung mit der rechtsextremen Partei "Nationales Corps", deren jetziger Chef Andriy Biletsky zu den Gründern des Regiments gehört, sagt Colborne. Bis 2019 sei Asow "sehr aktiv" gewesen in der Vernetzung mit rechtsextremen Bewegungen in anderen Ländern – in Deutschland zum Beispiel mit dem "III. Weg".

"Sicherlich kommt das Asow-Regiment Putin für seine Propaganda sehr gelegen", sagt Potter von der Amadeu Antonio Stiftung. Es sei aber andererseits nicht hilfreich, die rechtsextreme Problematik dieser Gruppe herunterzuspielen: "Rund 2.000 gut ausgebildete, bewaffnete rechtsextreme Soldaten wären definitiv eine Gefahr für die Demokratie."

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