Russischer Angriff auf Odessa: Was wird nun aus dem Getreide-Abkommen?

Stand: 24.07.2022, 16:52 Uhr

Nach dem Angriff auf den Hafen von Odessa gibt es Rätselraten über die russischen Absichten: Ist die gerade erzielte Vereinbarung zum Export ukrainischen Getreides schon gescheitert?

Von Andreas Poulakos

Nur einen Tag nach der Unterzeichnung eines Abkommens zur Ausfuhr von Getreide und anderer landwirtschaftlicher Güter hat Russland am Samstag den Hafen von Odessa mit Raketen angegriffen. International löste der Angriff entsetzte Reaktionen aus - schließlich hatte Russland in dem Abkommen zugesichert, die für den Getreide-Export nötigen Häfen vorerst nicht mehr zu beschießen.

Was wird nun aus dem Getreideabkommen? Wie reagieren USA und EU? Und warum dementiert Russland den Angriff zunächst, um ihn dann einen Tag später doch einzuräumen? Fragen und Antworten.

Hat Russland mit dem Raketenangriff das Getreide-Abkommen gebrochen?

Das ist zumindest die Ansicht von US-Außenminister Antony Blinken. Der Angriff werfe "ernste Zweifel" an der Glaubwürdigkeit Moskaus auf, erklärte Blinken am Samstag. Der Beschuss untergrabe die Arbeit der Vereinten Nationen, der Türkei und der Ukraine, wichtige Nahrungsmittel auf die Weltmärkte zu bringen. Russland trage die Verantwortung, wenn sich nun die weltweite Nahrungsmittelkrise verschärfen sollte.

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Ähnlich äußerte sich EU-Außenbeauftragter Josep Borrell: Der Beschuss des Hafens zeige "erneut Russlands völlige Missachtung des Völkerrechts und der Verpflichtungen".

Ob Russland mit dem jüngsten Angriff das Abkommen tatsächlich gebrochen hat, ist noch nicht völlig gesichert: Zwar haben Ukraine und Russland vereinbart, sichere Korridore für Getreide-Frachtschiffe zu respektieren und dort auf militärische Aktivitäten zu verzichten sowie die beteiligten Häfen nicht anzugreifen. Allerdings gilt die Vereinbarung nur für zivile Einrichtungen.

Nach ukrainischen Angaben wurden bei dem Angriff zivile Hafenanlagen getroffen, die für den Getreideexport benötigt werden: Trifft diese Darstellung zu, dann hätte Russland tatsächlich die Vereinbarung gebrochen. Das russische Verteidigungsministerium erklärte hingegen, der Angriff habe einem militärisch genutzten Schiffsreparaturwerk gegolten, in dem sich ein ukrainisches Kriegsschiff und ein Lager mit von den USA gelieferten "Harpoon"-Raketen befanden.

Wie stehen nun die Chancen für Getreide-Exporte aus der Ukraine?

Das ist noch unklar. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte die Raketenschläge zwar in einer ersten Reaktion als einen Akt "offensichtlicher russischer Barbarei" bezeichnet. Der Vorfall zeige, dass ein Dialog mit dem russischen Aggressor völlig zwecklos sei. Am Sonntag erklärte die ukrainische Regierung allerdings, die Vorbereitung für die Getreide-Exporte würden fortgesetzt und man werde trotz allem an dem Abkommen festhalten.

Die anfängliche Euphorie über das Getreide-Abkommen sei verfrüht gewesen, sagt Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Uni Köln, am Sonntag dem WDR. "Russland setzt Getreide, ebenso wie Gas, als Mittel der hybriden Kriegsführung ein." Das Ziel bestehe darin, durch Zugeständnisse und scheinbar willkürliche Rückzieher die westlichen Unterstützer der Ukraine "ständig in Angst" zu halten. Die Botschaft laute: "Wie viel eurer Industrieproduktion ist euch die Unterstützung der Ukraine wert? Und wie viel Hunger in der Welt?"

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Warum dementiert Russland den Angriff zunächst? Und gibt ihn kurz darauf doch zu?

Russland hatte zunächst seine Beteiligung an den Luftangriffen bestritten. "Die Russen haben uns gesagt, dass sie mit diesem Angriff nichts zu tun haben und dass sie die Angelegenheit sehr genau untersuchen", erklärte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar am Samstag. Erst am Sonntag bekannte sich das russische Verteidigungsministerium zu den Angriffen.

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Für Politikwissenschaftler Jäger ist das Hin und Her der russischen Informationspolitik kein Zufall, sondern hat System: Das Ziel sei, durch widersprüchliche Informationen maximale Verunsicherung in der westlichen Öffentlichkeit zu erzeugen. Viele Menschen hätten am Samstag in den Nachrichten gehört, dass Russland mit dem Angriff angeblich nichts zu tun hat. Nicht alle bekämen jedoch mit, dass Russland am Tag darauf eine ganz andere Geschichte erzähle.

So würden "konkurrierende Wahrheiten" in die Welt gesetzt, erklärt Jäger, die letztlich das Vertrauen in die westliche Politik und Medien zerstören sollen. Solche Desinformationskampagnen betreibe Russland schon seit Jahren - "durchaus mit Erfolg".

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