Schwere Waffen für Ukraine: Kritik an Bundeskanzler Scholz wächst

Stand: 15.04.2022, 07:52 Uhr

Die Stimmen für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine werden in der Ampel-Koalition lauter. Die Bevölkerung ist mittlerweile mehrheitlich dafür. Doch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält sich bedeckt.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine befindet sich in seiner achten Woche. Mittlerweile gibt es auf beiden Seiten nach eigenen Angaben und auch nach Angaben der Vereinten Nationen tausende Tote, wobei eine hohe Dunkelziffer nicht nur befürchtet wird, sondern als wahrscheinlich gilt.

Mutmaßliche Kriegsverbrechen befeuern Debatte um schwere Waffen

Zuletzt sorgten mutmaßliche Kriegsverbrechen russischer Soldaten in den Vororten Kiews für weltweites Entsetzen. Sie werden derzeit international untersucht. Vor diesem Hintergrund fordern immer mehr deutsche Politiker - auch aus der Regierungskoalition -, dass Scholz sich öffentlich zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine durchringt. Auch in der deutschen Bevölkerung sprechen sich in einer am Donnerstag veröffentlichten Befragung des Instituts Infratest dimap für den ARD-"Deutschlandtrend" 55 Prozent für diesen Schritt aus.

Bislang tut Scholz dies nicht, wofür der SPD-Kanzler mittlerweile massive Kritik aus den Reihen seiner Ampel-Koalition erntet. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) wünscht sich, dass der Kanzler koordiniert. Er müsse die Fäden aus den beteiligten Ministerien - Verteidigungs-, Wirtschafts- und Außenministerium - zusammenführen: "Das vermissen wir mit großem Bedauern", so die FDP-Politikerin am Donnerstag im WDR.

Strack-Zimmermann und Hofreiter kritisieren Scholz

Das Problem sei der Krieg, das "Schlimmste" mit dem eine Regierung, die noch nicht lange im Amt sei, konfrontiert werden könne. Darüber müsse man diskutieren. Was Strack-Zimmermann kritisiert, sind ein fehlender Draht zum Kanzleramt und das Tempo, in dem Entscheidungen getroffen werden: "Das Problem ist, dass das Kanzleramt nicht wirklich erreichbar ist für uns", beklagte Strack-Zimmermann als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag.

Sie forderte, dass Scholz den großen Worten aus seiner "brillanten" Rede im Bundestag rund um die "Zeitenwende" nun Taten folgen lassen müsse. Sie selbst favorisiere bei schwerem Gerät eine Lieferstrategie, wonach osteuropäische Partner die Ukraine mit alten sowjetischen Panzern beliefern und von Deutschland im Gegenzug modernere deutsche Panzer bekommen.

Bei Anton Hofreiter (Grüne) stößt das Verhalten von Scholz im Gespräch mit der Deutschen Welle ebenfalls auf Unverständnis: "Ich kann nur darüber spekulieren, warum der Kanzler so auf der Bremse steht. Ich kenne keinen vernünftigen Grund. Aber mit seinem Handeln schadet der Kanzler nicht nur der Lage in der Ukraine, sondern er schadet damit ganz massiv dem Ansehen Deutschlands in Europa und in der Welt."

Schlagabtausch zwischen SPD-Fraktionschef Mützenich und Strack-Zimmermann

In die Diskussion mischte sich am Donnerstag auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Er äußerte sich auch mit Hinweis auf die Reise der drei Ausschussvorsitzenden kritisch zu Forderungen nach weiteren Waffenlieferungen: "Einfache Antworten, auch bei der Lieferung von schwerem Kriegsgerät an die Ukraine, gibt es nicht. Wer das behauptet, handelt verantwortungslos." Die Bilder und Berichte über den Krieg in der Ukraine seien schrecklich und verstörend. Unter dem Eindruck von Besuchen vor Ort "bisher beispiellose Entscheidungen zu fordern, ohne sie selbst verantworten zu müssen, ist falsch - zumal diese weitgehende Konsequenzen für die Sicherheit unseres Landes und der Nato haben könnten", erklärte Mützenich.

Strack-Zimmermann entgegnete am Donnerstagabend: "Rolf Mützenich gehört leider zu denen, die die Notwendigkeit der Zeitenwende ihres eigenen Kanzlers weder verstanden haben noch verstehen wollen. Er kann nicht akzeptieren, dass sein altes, starres Weltbild zusammengebrochen ist." Die Reise sei ein notwendiges Signal gewesen.

Sicherheitsexpertin sieht Zeitfenster für Lieferung "westlicher" Waffen

Der Kanzler betonte zuletzt immer wieder, dass man der Ukraine Waffen liefern müsse, die unmittelbar helfen und mit denen sie umgehen können müssen. Dem entgegnete Hofreiter, der gerade erst von einem Besuch in Kiew zurückgekehrt ist, dass man in der Ukraine von einem langen Krieg ausgehe. Die Ukrainer fürchteten, dass ihre Ressourcen abnehmen und bitten daher um die Lieferung "modernerer Waffen, damit ihre Soldaten sich bereits jetzt damit vertraut machen können" und diese in einigen Wochen oder Monaten einsetzen könnten.

Auch Claudia Major, Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, sagt, dass sich das Zeitfenster für die Planung und Organisation von Waffenlieferungen vergrößert hat: "Wir gehen davon aus, dass der Krieg länger dauern wird. Damit haben wir die Zeit, ukrainische Soldaten an westlichem Material auszubilden", so die Politikwissenschaftlerin am Donnerstag im Gespräch mit dem WDR.

Deutsche Regierung irritiert internationale Partner

Innerhalb der Nato habe man sich auf die Lieferung schweren Materials verständigt, sagt Major. Die Tschechische Republik habe Panzer aus alten Sowjetbeständen geliefert - Material, mit dem sich die Ukrainer auskennen. Durch den neuen Zeitrahmen könne man nun aber mit Blick auf westliche Waffen neben der Ausbildung auch Logistik und technische Unterstützung für das - für die ukrainische Armee neue Gerät - organisieren. Dabei nennt sie explizit den deutschen Schützenpanzer "Marder".

Die Politikwissenschaftlerin weist zudem darauf hin, dass das derzeitige Verhalten der Bundesregierung für Irritationen sorge: "Bei einigen Koalitionspartnern anscheinend, aber auch bei unseren internationalen Partnern ist der Eindruck entstanden, dass Deutschland zu zögerlich ist."

Regierung will nicht über Waffenlieferungen reden

Nun hat Scholz sich und seiner Regierung allerdings Mitte März Stillschweigen über Waffenlieferungen an die Ukraine verordnet. Gut möglich, dass er dieses Stillschweigen so lange durchhalten will, bis das schwere Gerät auf einen Zugwaggon gestellt wird, der gen Osten rollt - unabhängig davon, ob andere ihm dies als Zögern und Zaudern auslegen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich stärkte dem Parteikollegen den Rücken: "Ich bin froh, dass im Kabinett Frauen und Männer Verantwortung tragen, die solche schwierigen Entscheidungen genau abwägen und die Konsequenzen nicht aus den Augen verlieren."

Zu seiner grundsätzlichen Bereitschaft, den Kampf der Ukraine mit Waffen zu unterstützen, bekannte Scholz sich am Mittwoch erneut: "Wir liefern, wir haben geliefert und wir werden liefern." Scholz schränkte lediglich ein, dass Deutschland zugleich eine Verantwortung trage, welche Waffen geliefert würden. Diese müssten auch für die Ukraine nutzbar sein, was Munition, Ersatzteile und Bedienung angehe - und ohne dass etwa deutsche Soldaten in die Ukraine reisen müssten. Welchen Einfluss neuere Prognosen bezüglich der Länge des Krieges auf diese "Verantwortung" haben, das bleibt abzuwarten.

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