Lebenslänglich wegen Kriegsverbrechen: Erster russischer Soldat verurteilt

Stand: 23.05.2022, 12:18 Uhr

Weil er einen Zivilisten tötete, ist ein russischer Soldat in Kiew zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Ob er diese antritt oder Teil eines Gefangenenaustauschs wird, ist ungewiss.

Im ersten ukrainischen Kriegsverbrecherprozess ist der 21 Jahre alte russische Soldat Wadim S. zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Gericht in Kiew sah es am Montag als erwiesen an, dass der Panzersoldat nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine einen unbewaffneten Zivilisten erschoss.

Angeklagter gesteht Tat

S. soll am 28. Februar im Dorf Tschupachiwka im Nordosten der Ukraine den 62-jährigen Alexander Schelipow mit einem Kalaschnikow-Sturmgewehr erschossen haben. Schelipow soll beobachtet haben, wie S. mit weiteren Soldaten ein Auto gestohlen hätten. Darauf habe ihm ein Vorgesetzter befohlen, den Zeugen zu erschießen. S. gestand seine Tat vor Gericht. Er habe sich selbst in Gefangenschaft begeben, denn er habe leben und "nicht kämpfen" wollen. "Ich streite meine Schuld nicht ab. Ich weiß, dass Sie mir nicht vergeben können, aber ich bitte dennoch um Vergebung", sagte er bei der Verhandlung zu Schelipows Frau.  

Russland weist den Vorwurf der Kriegsverbrechen grundsätzlich von sich. Internationale Medien und Organisationen haben jedoch eine Vielzahl von russischen Kriegsverbrechen dokumentiert.

Der Prozess gegen S. fand nicht vor einem Militär- oder Kriegsgericht, sondern vor einem ordentlichen Gericht in Kiew statt, dem Solomensky-Bezirksgericht. S. wurde wegen Kriegsverbrechen und Mordes verurteilt.

Internationaler Strafgerichtshof ermittelt vor Ort

Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag verhandelt. Allerdings sind bislang weder Russland noch die Ukraine diesem Abkommen beigetreten. Der IStGH kann dennoch Ermittlungen auf dem Gebiet der Ukraine führen. Nach Angaben des Chefanklägers Karim geschieht das allerdings nicht erst seit Kriegsbeginn, sondern bereits seit 2014. Ein baldiger Prozess in Den Haag scheint derzeit dennoch eher unwahrscheinlich.

Austausch gegen ukrainische Gefangene denkbar

Für die Ukraine ist das Urteil, gegen das noch Berufung eingelegt werden kann, der Beginn der Aufarbeitung zahlloser Kriegsverbrechen seit Beginn der russischen Invasion. Experten erwarten eine ganze Welle an Prozessen in der Ukraine, aber auch in Russland. So seien aus dem Asow-Stahlwerk in der Hafenstadt Mariupol nach Moskauer Angaben mehr als 2.400 ukrainische Kämpfer in russische Gefangenschaft gekommen. Am Ende könnten sich die Seiten dabei auf Gefangenenaustausche einigen.

Auch im Falle des nun verurteilten Wadim S. halten Beobachter vor Ort einen Austausch für möglich. Eine Möglichkeit, die in der Ukraine kritisiert wird. "Wenn wir ihn austauschen, werden die Russen ihn freilassen und er wird wieder morden", kommentierte ein User des Online-Newsportals KHMLV direkt nach der Urteilsverkündung.

Prozess sorgt für internationale Aufmerksamkeit

Die Ukraine erhofft sich von dem Prozess große Aufmerksamkeit, und das weltweit. "Wenn internationale Richter, internationale Experten und die Öffentlichkeit nicht an den Ermittlungen und Prozessen teilnehmen, befürchte ich, dass dies nur ukrainische Geschichte bleiben könnte", schrieb die ukrainische Menschenrechtsaktivistin Olha Reshetylova auf Facebook. Auch dem Gericht in Kiew war offenbar an einer großen Öffentlichkeit für den Prozess gelegen. "Wir wollen, dass alle den Prozess sehen. Wir wollen, dass die ganze Welt es sieht. (...) Deshalb wurde beschlossen, alles online zu zeigen", sagte ein Gerichtssprecher dem WDR.

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