18 Monate Krieg und Unabhängigkeitstag der Ukraine

Aktuelle Stunde 24.08.2023 18:41 Min. UT Verfügbar bis 24.08.2025 WDR Von Thomas Kramer

Anderthalb Jahre Ukraine-Krieg: So klappt die Integration in Moers

Stand: 24.08.2023, 14:48 Uhr

18 Monate nach Kriegsbeginn sind mehr als 240.000 Ukrainer nach NRW geflüchtet. Wie klappt die Integration? Eine Integrationshelferin aus Moers erklärt, was gut läuft und wo der Schuh drückt.

Olga Weinknecht ist Leiterin der AWO-Beratungsstelle Ukraine in Moers und betreut viele Geflüchtete. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie es anderthalb Jahre nach Kriegsbeginn mit der Integration in Moers klappt.

WDR: Wie gut haben sich die Menschen aus der Ukraine in den vergangenen eineinhalb Jahren in Deutschland zurechtgefunden?

Olga Weinknecht: Jede Integrationsgeschichte, jede Fluchtgeschichte ist sehr individuell. In diesen eineinhalb Jahren haben wir zahlreiche individuelle Schicksale kennengelernt. Viele Geflüchtete haben hier ein neues Zuhause gefunden und sind sehr dankbar, dass sie hier sein dürfen.

Eineinhalb Jahre Krieg in der Ukraine haben den Menschen auch gezeigt, dass das Ende des Krieges noch nicht in Sicht ist. Das verändert die Perspektive der Menschen, die hier sind, und ihre Denkweise. Das beeinflusst auch die Stimmung.

WDR: Das heißt, die Menschen stellen sich also darauf ein, länger in Deutschland zu bleiben als geplant?

Weinknecht: Selbstverständlich. Die Unklarheit ist nach wie vor sehr groß und man verabschiedet sich mittlerweile von dem Gedanken, bald wieder nach Hause gehen zu können.

WDR: Was klappt bei der Integration schon sehr gut und wo kann man noch etwas verbessern?

Weinknecht: Die meisten Geflüchteten besuchen einen Deutschkurs oder haben das schon. Die Sprache wird von Tag zu Tag besser, so dass sie demnächst in die Arbeitswelt integriert werden möchten. Das wird aber erschwert durch das Bleibe- und Aufenthaltsrecht, das viele besorgt. Es gilt bislang bis März 2024. Das bringt Verunsicherung. Diese Menschen haben deswegen Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Vermieter oder Arbeitgeber sind nicht bereit, sie aufzunehmen, weil die Aufenthaltsdauer zu gering ist. Das verunsichert viele Geflüchtete. Sie erwarten eine Entscheidung Deutschlands über ihre Bleibeperspektive.

Was viele nicht kannten, ist die Liebe der Deutschen zum Papier und zur Bürokratie. In der Ukraine ist vieles digitalisiert und viele sind verwundert, wie viele Briefe von Behörden sie hier geschickt bekommen. Das stresst viele Menschen, weil sie die Inhalte auch nicht verstehen. Aber das sind Kleinigkeiten im Vergleich dazu, hier sicher und beschützt sind. Wir helfen bei der Bewältigung der Unterlagen, wo wir können. Olga Weinknecht, AWO Moers

WDR: Viele Familien sind durch den Krieg zerrissen worden. Was macht das mit den Menschen?

Weinknecht: Die Sorge um Ehemänner, Söhne und ältere Familienmitglieder, die in der Ukraine geblieben sind, belastet die Psyche der Geflüchteten nachhaltig. Sie verstehen, dass diese vorübergehende Trennung dauerhafter sein wird. Sie machen sich Gedanken, wie das Familienleben weitergeht. Da geht's um Perspektiven und Sorgen, die starke psychische Belastungen mit sich bringen.

WDR: Unter den Geflüchteten sind viele Frauen, Kinder und Jugendliche. Ist das für sie noch einmal eine besondere Situation?

Weinknecht: Ja, und gerade für die Kinder und für ältere Menschen ist das besonders belastend. Wir haben in unserer Beratungsstelle viel zu tun mit Anpassungsschwierigkeiten der Kinder und Jugendlichen in den Schulen. Wir merken, dass viele Jugendliche mit der Aufgabe überfordert sind. Dass viele Jugendliche eine große Angst vor dem Scheitern in der Schule haben und dadurch sehr mit ihrem Selbstwertgefühl zu kämpfen haben. Das ist ein Thema, was mehr unterstützt werden sollte. Diese Jugendlichen sollten eine berufliche Orientierung und mehr Kenntnisse über das Bildungssystem bekommen.

WDR: Was sind die Ursachen für diese Probleme? Sind das die Sprachbarrieren? Ist es das veränderte Schulsystem?

Weinknecht: Das ist alles in einem. Als junger Mensch, dessen Persönlichkeit noch nicht ganz ausgebildet ist, hat man ohnehin mit vielen Unsicherheiten und Selbstzweifeln zu tun. Wenn man dann ungewollt in einem anderen Land leben muss und merkt, dass die Mechanismen, die man von zuhause kennt, nicht greifen, fühlt man sich erstmal verloren. Gerade in diesem Alter zwischen 13 und 18 Jahren ist die Angst vor dem Scheitern besonders groß.

WDR: Wie reagieren die Menschen in Moers auf die Menschen, die aus der Ukraine gekommen sind?

Weinknecht: Wir haben in den ersten Monaten des Krieges sehr viel Unterstützung und Unterstützungsangebote bekommen. Wir haben aktiv nach Gastfamilien gesucht und dadurch viele hilfsbereite Menschen kennengelernt, denen wir heute noch dankbar sind. Es gibt viele Ehrenamtliche aus Moers, die uns sehr unterstützen. Die Bevölkerung hat das mit sehr viel Empathie aufgenommen. Ich nehme natürlich auch kritische Stimmen wahr, die nicht die Geflüchteten betreffen, sondern eher die große Politik, auf die wir keinen Einfluss haben.

WDR: Haben Sie nach 18 Monaten den Eindruck, dass die Unterstützung nachlässt und ermüdet?

Weinknecht: Selbstverständlich ist das kein Vergleich zu den ersten Kriegsmonaten. Aber sie ist immer noch da. So viel Hilfe ist aus unserer Sicht gar nicht mehr nötig, da wir Strukturen aufbauen konnte. Wir haben viele Anlaufstellen geschaffen und kommen mit unseren Strukturen gut klar. Nichtsdestotrotz benötigen wir weiterhin viel Unterstützung von Ehrenamtlichen.

Das Interview wurde für die "Aktuelle Stunde" geführt und bei der Verschriftlichung zur besseren Lesbarkeit stellenweise verkürzt, umgestellt und sprachlich geglättet, ohne den Sinn der Aussagen zu verändern.