Wie ein ukrainischer Leistungsschwimmer in NRW Fuß fassen will

Stand: 23.05.2022, 11:33 Uhr

Taras Teslenko ist 17, als er seine Heimat verlassen muss. Der Leistungsschwimmer gehört zu den besten in seiner Altersklasse. Am Bundesstützpunkt in Essen sucht er nun Anschluss. Doch das ist schwerer als gedacht.

Von Timo Landenberger

Der 28. Februar ist für Taras Teslenko gleich in doppelter Hinsicht besonders. Es ist sein 17. Geburtstag. Und der Tag seiner Flucht aus Kiew, seiner ukrainischen Heimat. Drei Tage lang fährt er mit seinen Eltern und den beiden Geschwistern über Polen nach Düsseldorf, wo er mit seiner Familie in einem Zwei-Zimmer-Apartment von Freunden unterkommt.

Taras Teslenko ist Leistungsschwimmer. Auf 200 Metern Freistil ist er landesweit die unangefochtene Nummer eins in seiner Altersklasse. Erst vor wenigen Monaten gewann er die Disziplin sogar über alle Altersklassen hinweg.

Taras versucht, den Krieg auszublenden

Und das, obwohl Taras erst vor vier Jahren mit dem Schwimmen angefangen hat. Seine Eltern erkennen sein Talent, schicken ihn zum Training und wecken seinen Ehrgeiz. Schnell schließt er zur Elite auf. Dann kommt der 24. Februar 2022. Der Tag, an dem der russische Präsident Wladimir Putin seinen Truppen den Marschbefehl zum Angriff auf die Ukraine gibt und das Land im Chaos versinkt.

"Ich kann nicht daran denken", sagt Taras. "Ich muss mich jetzt um mein eigenes Leben kümmern. Wie soll ich mich auf meine Ausbildung, meine Zukunft und auf das Schwimmen konzentrieren, wenn ich immerzu an den Krieg in meiner Heimat denke?"

Taras Teslenko will weitermachen mit seinem Sport. Noch vor der Ankunft in Düsseldorf informiert sein Vater sich über mögliche Trainingszentren, verschickt eine Anfrage an den Deutschen Schwimmverband, der ukrainischen Schwimmern seine Hilfe angeboten hatte.

Am Bundesstützpunkt in Essen ist man schnell bereit, Taras aufzunehmen. "Wir haben uns online seine Wettkampfleistung der vergangenen Monate angesehen und wussten: Das passt", sagt Nicole Endruschat, die Cheftrainerin.

„Es ist schwer, dem Training zu folgen“

Schon am Tag nach der ersten Kontaktaufnahme kommt Taras zum ersten Mal zum Training. Seither hat er kaum mehr eins verpasst, schnell wird er zum festen Teil der etwa 15-köpfigen Gruppe. Diese Woche wird Taras an den deutschen Meisterschaften in Berlin teilnehmen. Als Starter der SG Essen geht das auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft.

"Das Finale der besten acht seines Jahrgangs sollte auf jeden Fall drin sein", sagt Endruschat. Trotz Trainingsrückstand und Sprachbarriere. Und dann? Europäische Juniorenmeisterschaft. Weltmeisterschaften. Olympische Spiele. "Zuzutrauen wäre ihm das."

Taras selbst ist weniger optimistisch: "Es ist schwer, dem Training zu folgen, da natürlich fast immer Deutsch gesprochen wird. Das wird sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern und ich weiß nicht, ob ich mein Leistungsniveau wiedererlangen kann. Die Verständigung ist wirklich ein Problem und es ist schwierig, Anschluss zu finden."

Nur wenige Meter vom Schwimmzentrum Rüttenscheid entfernt befindet sich das Internat der Eliteschule des Sports Essen. Wenn er nicht gerade im Wasser oder im Kraftraum ist, dann findet man Taras meistens hier. Im Aufenthaltsraum, tief in sein Smartphone versunken.

„Ich kenne niemanden, der noch in der Ukraine ist“

Den Unterricht besucht er hauptsächlich, um Deutsch zu lernen. Mit seiner Schulzeit hatte er eigentlich schon fast abgeschlossen. Er stand kurz vor dem Abschluss, als er mit seiner Familie fliehen musste. Nun will er die Prüfungen von Deutschland aus online ablegen.

Taras Familie denkt bereits darüber nach, möglichst bald wieder nach Kiew zurückzukehren. Für den jungen Sportler ist das keine Option. "Ich kenne niemanden, der aktuell noch in der Ukraine ist", sagt er. "Auch mein Trainer hat das Land verlassen. Ich weiß nicht, wo er sich befindet. Zu meinen Freunden und Mitschwimmern habe ich Kontakt. Die meisten sind nach Polen geflohen."

Wie es um sein ehemaliges Schwimmzentrum steht? Er wisse es nicht. Von Charkiw habe er gehört. Die zweitgrößte Stadt der Ukraine wurde bei russischen Angriffen schwer beschädigt. Eine Wettkampfstätte, in der auch Taras schon eine Medaille gewinnen konnte, liegt in Schutt und Asche.

Für Taras ist klar: Er will in Deutschland bleiben, möchte gerne studieren. Architektur vielleicht. In Mathe war er schon immer gut. Fast so gut wie im Schwimmen.

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