Medizin-Ethikerin: Jeder ist für die Gesundheit aller verantwortlich

Stand: 29.07.2020, 17:43 Uhr

  • Christiane Woopen ist Vorsitzende des Europäischen Ethikrates
  • Woopen: Test ist ein "kleiner Eingriff mit großem Nutzen"
  • Gesundheit ein solidarisches Prinzip, deshalb sei "jeder verantwortlich"
  • "Mit konsequenten Tests wären wir das Virus schon los"

Sind wir für unsere eigene Gesundheit verantwortlich oder für die aller? Ist Freiheit wichtiger als Solidarität? Für Christiane Woopen ist die Sache klar: Die Medizinethikerin der Universität Köln definiert Gesundheit als solidarisches Prinzip, jeder trage für die Eindämmung der Corona-Pandemie Verantwortung.

Zudem hält die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates einen verpflichtenden Coronatest für Reiserückkehrer nur für einen "kleinen Eingriff in die Freiheit". Sie kann sich sogar mehr vorstellen. Im WDR 5 Morgenecho sprach Christiane Woopen über...

...die Frage, ob alle oder die Einzelperson für Tests zahlen soll:

"Ich halte es für gerechter, wenn alle dafür bezahlen, denn es geht um eine Frage der öffentlichen Gesundheit. Wir sind dabei, die Freiheit zu schützen und müssen uns überlegen, ob der Grundsatz die Freiheit ist und wir alle für die Sicherheit zahlen. Oder ob wir es zum Grundsatz machen, die Freiheit einzuschränken und man sich die Freiheit dann kaufen muss."

...die Verantwortung jedes Einzelnen:

"Wir können alle auf Alkohol, Sahnetorten und Zigaretten verzichten oder uns mehr bewegen und würden das Gesundheitssystem damit erheblich entlasten. Wir haben es in unserer öffentlichen Gesundheit aber zum Prinzip gemacht, ein solidarisches System zu haben und die Gesundheit als Gut zu betrachten, für das wir alle gegenseitig einstehen. Insofern muss man dafür auch die Konsequenzen ziehen und in diesem Fall der Freiheit den Vorrang lassen. Gleichwohl möchte ich den Appell unterstützen, dass man auf freiwilliger Grundlage alle überflüssigen Risiken vermeidet - gerade in der Pandemie."

...verpflichtende Tests für Reiserückkehrer:

"Die sind deswegen ethisch vertretbar, weil es hier um ein hohes Gut geht, nämlich die öffentliche Gesundheit. Der Eingriff in die Freiheit, sich testen lassen zu müssen, scheint aus meiner Perspektive verhältnismäßig zu sein. Das ist ein kleiner Eingriff für den Einzelnen, aber es ist ein großer Nutzen für die öffentliche Gesundheit, wenn nämlich Infektionsketten unterbrochen werden."

...Massentest für die gesamte Bevölkerung:

"Es gibt ein interessantes Modell von (den Wissenschaftlern) Hans Lehrach und George Church: Wenn man alle Menschen regelmäßig über einen gewissen Zeitraum getestet und das konsequent mit Quarantäne verbunden hätte, wären wir dieses Virus sogar los. Das ist natürlich ein sehr anspruchsvolles Konzept, das man auf der ganzen Welt durchführen müsste. Es ließe sich technologisch aber einrichten, weil es neue Arten von Tests gibt, mit denen es möglich wäre, das in dieser Massenskallierung innerhalb der nächsten Wochen durchzuführen. Das wäre mal eine ganz grundsätzliche Art, neu zu überlegen. Dann würden wir das ganze Geld, das wir in die Bewältigung von wirtschaftlichen Problemen stecken, in eine nachhaltigere Strategie stecken. Es scheint mir aber der politische Wille dafür zu fehlen."

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