Frust nach dem Lockdown: Eine Grundschul-Lehrerin berichtet

Stand: 20.06.2020, 06:00 Uhr

  • Lehrerin: Kinder haben extrem reagiert
  • Gefährliche Situationen in Familien haben sich verschärft
  • Sommerferien könnten Situation verschlimmern

13 Wochen waren die Grundschulen geschlossen. Für manche Kinder war das langweilig, für andere sogar gefährlich. Sandra Wiese unterrichtet in einem Kölner Brennpunkt. Ihr Name ist hier geändert, damit die Schule nicht erkennbar ist.

WDR: Frau Wiese, wie haben Sie Ihre Schüler in den ersten Tagen nach der langen Corona-Pause erlebt?

Sandra Wiese: Bei manchen Schülern hat man das Gefühl, die sind zurückgezogen und ängstlich. Dann gibt es Kinder, die noch unruhiger geworden sind. Wo man den Bewegungsmangel merkt. Wo man deutlich merkt, dass die Eltern zuhause hilflos sind und nichts mit ihnen unternehmen.

Teilweise habe ich das Gefühl, die Kinder haben alles verlernt, was vorher da war. Wir fangen bei manchen Schülern mit Zwei-Wort-Sätzen an. Oder damit, dass sie sich auf einen Stuhl setzen und eine halbe Stunde zuhören.

WDR: Haben sie sich denn über die Schulöffnung gefreut?

Sandra Wiese: Total! Wieder zusammen sein zu können, Strukturierung im Alltag zu haben. Bei vielen Kindern war große Erleichterung spürbar. Bei einigen ein starker Rückzug. Die habe ich in den letzten drei Tagen vielleicht zweimal sprechen gehört.

WDR: Warum sind die Kinder so ängstlich?

Sandra Wiese: Sie wissen nicht, wie sie mit den neuen Regeln umgehen sollen. Maskenpflicht, Kontaktverbot ... Sie sind verunsichert.

WDR: Waren sie während der Corona-Pause in Kontakt mit den Kindern?

Sandra Wiese: Ich hatte besonders Familien im Blick, die schon Schwierigkeiten hatten, aber nicht im Jugendamt angebunden waren. Oft bin ich trotz der Abstandsregelung zu ihnen gegangen. Um kurz zu gucken: Wie sehen sie aus? Wie agressiv sind die Eltern gerade? Wir hatten schon vorher viele Probleme mit häuslicher Gewalt. Das hat sich verschärft. Die Belastung konnte man den Kindern deutlich anmerken.

Und ich habe viel auf dem Handy von Geschwistern angerufen. So konnte ich fragen: Ist bei Euch alles in Ordnung? Kann ich vorbeikommen? Braucht ihr Hilfe? Braucht ihr was zu essen?

WDR: War es möglich, die Kinder aus besonders belastenden Situationen zu befreien?

Sandra Wiese: Kinder sind in dieser Zeit in Obhut genommen worden. Es haben sich sogar Kinder selber in Obhut nehmen lassen - eine sensationelle Selbstständigkeit. Insgesamt hat sich wie im Brennglas gezeigt: Jetzt muss wirklich was passieren.

WDR: In einer Woche sind Ferien. Was bedeutet das für die Kinder?

Sandra Wiese: Für sie wäre es gut gewesen, wenn wir die Ferien um zwei Wochen verschoben hätten. Wer Hilfe braucht, kriegt die jetzt noch mal - auch die Eltern. Ich fürchte aber, dass es Rückfälle gibt nach den Ferien. Wir können das nicht auffangen.

Das Gespräch führte Marie Eickhoff.

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