Überlastete Gesundheitsämter: "Wir machen nur noch Corona"

Stand: 15.05.2020, 10:25 Uhr

  • Umfrage von WDR und NDR dokumentiert Überlastung der Gesundheitsämter
  • Mitarbeiterin eines Gesundheitsamtes im WDR-Interview
  • Alltag geprägt von Überstunden und Quarantäne-Verweigerern

Die Gesundheitsämter in NRW müssen intensiv die Corona-Infektionsketten nachvollziehen, damit die Pandemie eingedämmt werden kann. Doch viele Ämter kommen mit der Arbeit kaum hinterher. Es fehlen einfach die Mitarbeiter, um die Kontakte von Neuinfizierten nachzuverfolgen.

Der WDR hat mit einer Mitarbeiterin aus dem Gesundheitsamt einer größeren Ruhrgebietsstadt gesprochen. Sie arbeitet dort in dem Team, das die positiven Corona-Fälle ermittelt und dann die Kontaktpersonen nachverfolgt. Die Mitarbeiterin möchte anonym bleiben.

WDR: Ihr Amt hat in einer Anfrage von WDR/NDR angegeben, dass Personal fehlt. Was heißt das in der Praxis?

Mitarbeiterin: In der Praxis heißt das, dass wir Überstunden kloppen. Wir gehen erst nach Hause, wenn die Fälle nachverfolgt sind. Es gibt keine normalen Arbeitszeiten und es kann von jetzt auf gleich in den Außendienst gehen. Es ist auch nicht nur unser Team im Einsatz, sondern eigentlich das ganze Amt. Und da hatten vor der Krise eben ganz viele keine Ahnung von Infektionsschutz.

WDR: Das ganze Amt ist aktuell dafür im Einsatz?

Mitarbeiterin: Ja, das ganze Amt macht neben Corona bis auf einige Bereiche seine sonstige Arbeit nicht mehr. Es steht alles andere still. Es wird nur Corona gemacht. Bis auf Aufgaben wie zum Beispiel Tuberkulose-Nachverfolgung oder die Methadon-Ausgabe. Erst diese Woche fangen wir so langsam wieder mit anderem an. Geholfen hat auch, dass es dann irgendwann Früh- und Spätdienste gab. Die soll es auch wieder geben, wenn die Fallzahlen wieder steigen.

WDR: Wie war das, als es mit Corona im März losging?

Mitarbeiterin: Der Sturm kam von jetzt auf gleich. Keiner war vorbereitet, so wirkte es jedenfalls. Denn das, was vorbereitet war, passte nicht wirklich. Die Umstellung hat dann recht lange gedauert, so drei Wochen. Dass wir es trotzdem so gut hingekriegt haben, lag auch daran, dass alle hier menschlich zueinander gehalten haben. Weil alle geblieben sind, bis die Arbeit erledigt war.

WDR: Sie bekommen dann auch die ganzen einzelnen Schicksale mit, was berührt Sie da?

Mitarbeiterin: Also was uns immer Sorgen macht, ist, wenn jemand durch Zufall positiv getestet wird, also jemand, der eigentlich symptomfrei ist, aber dann z.B. ins Krankenhaus muss. Weil es dann schwer ist, die Kontaktpersonen zu finden, weil diejenigen ja unbewusst das Virus verbreiten. Und ganz schrecklich ist, wenn jemand mit Corona stirbt und die Angehörigen auch positiv sind und nicht zu der Beerdigung können. Oder wenn jemand einsam im Krankenhaus stirbt.

WDR: Wie schaffen Sie es, damit umzugehen?

Mitarbeiterin: Inzwischen ist es besser. Ich schaue auch keine Nachrichten mehr. Am Anfang konnte ich alles nicht aus dem Kopf kriegen. Ich habe zum Glück Freunde, die in der Pflege tätig sind oder Ärzte, die ähnliches erleben, da hat es geholfen mit ihnen zu sprechen.

WDR: Gibt es auch Menschen, die sich nicht an die Vorgaben halten?

Mitarbeiterin: Ja, wir haben das vor allem bei diesen sogenannten Schrottimmobilien, wo Menschen aus Rumänien etwa leben. Die zeigen wenig Verständnis. Da nehmen wir auch Dolmetscher und Ordnungsdienst mit. Und wir wissen auch schon von anderen Infektionskrankheiten, dass sie nicht unbedingt verstehen, dass sie in Quarantäne bleiben sollen, auch wenn sie keine Symptome haben. Die Menschen haben natürlich auch Existenzängste, sie haben einen Minijob und fünf bis sechs Kinder zu ernähren.

WDR: Wie fühlen Sie sich mit all dem?

Mitarbeiterin: Ich habe Angst vor der zweiten Welle. Dass die tatsächlich kommt. Denn ich kann von Menschen, die von Infektionskrankheiten selbst nicht so viel wissen, nicht erwarten, dass sie sehen, warum diese Regeln auch bei den Lockerungen jetzt so wichtig sind. Und sich dann auch daran halten. Und dann will ich eigentlich einmal wieder unbeschwert leben ohne Corona. Und ich würde mir wünschen, dass wir mehr Wertschätzung bekommen. Wir hören immer: man ist zu langsam. Das ist das, was alle Kollegen traurig macht und uns anfrisst. Dass nicht mal gesagt wird – trotz allem – hej, gute Arbeit!

Das Interview führte Kathrin Kühn.

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