Stauchaos in NRW: Das schlägt Stauforscher Schreckenberg vor

Stand: 02.02.2023, 18:55 Uhr

Ein Drittel aller deutschen Staus finden in NRW statt. Und für dieses Jahr wird mit noch mehr Verkehr gerechnet. Was also tun? Stauforscher Schreckenberg mit Lösungsvorschlägen.

Auf den NRW-Autobahnen wurden im vergangenen Jahr fast 160.000 Staus gezählt. Die in Summe längsten Staus gab es auf der A3 zwischen Köln und Oberhausen. Die meiste Geduld brauchten Autofahrer auf der A42 zwischen Dortmund und Kamp-Lintfort - mit über 7.000 Stunden Stau. Der stauintensivste Tag in NRW in 2022 war Mittwoch, der 14. September.

Insgesamt war die Dauer der Staus in NRW laut ADAC auf dem Niveau von 2021. Auf den NRW-Autobahnen summierte sich die Dauer aller Verkehrsstörungen auf gut 104.000 Stunden. Im Jahr vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie (2019) lag die Staudauer mit 170.500 Stunden allerdings noch deutlich höher. Für dieses Jahr wird wieder mit mehr Verkehr auf den Autobahnen gerechnet.

Michael Schreckenberg ist Professor an der Uni Duisburg-Essen. Er ist Stauforscher und hat den bundesweit einzigen Lehrstuhl für "Physik von Transport und Verkehr" inne.

WDR: Wie deuten Sie die Staubilanz des ADAC?

Schreckenberg: Wir haben 2022 wieder ein wachsendes Verkehrsaufkommen gesehen. Es ist noch nicht so hoch wie 2019, also vor Corona, aber die Tendenz ist klar. Insbesondere für 2023 ist damit zu rechnen, dass das Verkehrsaufkommen wieder so hoch sein wird, wie vor Corona. Was man daraus lesen kann ist, dass Homeoffice sich nicht (mehr) so positiv auf den Verkehr auswirkt, wie man das gehofft hat.

Prof. Michael Schreckenberg

Stauforscher Prof. Michael Schreckenberg

WDR: Was sind Ihre Tipps, wie sich das Stauproblem möglichst schnell beheben lässt?

Schreckenberg: Man sollte das Baustellenmanagement optimieren. Da muss schneller und auch länger gearbeitet werden. Warum wird auf Baustellen nicht rund um die Uhr gearbeitet, wie in anderen Ländern? Außerdem sollte das Angebot im öffentlichen Verkehr drastisch verbessert werden, denn das lädt nicht wirklich zum Mitfahren ein und schreckt eher viele Leute ab, die sich dann trotz Stau lieber ins Auto setzen.

Und, ganz wichtig: Man muss die Leute mitnehmen und nicht einfach Maßnahmen beschließen, bei denen es, wie beim 49-Euro-Ticket ständig hin und her geht. Der Bürger möchte eine klare Linie haben, die ist aber seitens der Politik so nicht gegeben.

WDR: Wie tragen Autofahrer zur Stauentstehung bei?

Schreckenberg: 10 bis 20 Prozent der Staus könnte man vermeiden, wenn Menschen sich nicht so egoistisch auf der Straße verhalten würden, sondern etwas zurückhaltender und kooperativer wären. Aber klar ist auch: Staus sind hauptsächlich auf die vielen Baustellen zurückzuführen und diese Engpässe bleiben meist über eine längere Zeit entstehen. So lange das so bleibt, werden wir auch weiter ein wachsendes Aufkommen auf den Autobahnen haben.

"Der Individualverkehr ist das Rückgrat unserer Mobilität und das wird auch in der nächsten Zeit so bleiben." Stauforscher Michael Schreckenberg

WDR: Viele Autofahrer wechseln im Stau häufiger die Spuren, weil sie denken, dann schneller voranzukommen. Was hat das für Konsequenzen?

Schreckenberg: Spurwechsel bei zähfließendem Verkehr ist ein Unding! Denn durch Spurwechsel entstehen Stauwellen – das ist bewiesen. Es zwingt andere Autofahrer zum Bremsen.

WDR: Könnte ein Tempolimit helfen, Staus zu reduzieren?

Schreckenberg: Nicht pauschal, nein! Durch ein generelles Tempolimit lassen sich Staus auf Autobahnen nicht reduzieren. Die Staudynamik ist seit vielen Jahren erforscht und man weiß, wie Stauwellen entstehen: Nicht bei Geschwindigkeiten von 160 statt 120, sondern bei niedrigen Geschwindigkeiten und zähfließendem Verkehr.

WDR: Fast immer werden die Seitenstreifen auf Autobahnen nicht benötigt. Wäre es da nicht vielleicht sinnvoll, diese zu Spitzenzeiten temporär freizugeben? Das wäre schnell machbar.

Schreckenberg: Den Seitenstreifen an gewissen Tagen und zu bestimmten Tageszeiten für den Verkehr freizugeben ist eine partielle Lösung, die ja auch schon praktiziert wird, um zum Beispiel lokal Ausfahrten zu entlasten. Auf der A57 bei Köln wird das gemacht und auch auf der A3. Es ist aber keine generelle Lösung, da der Seitenstreifen ja eigentlich der Gefahrbeseitigung dient und er oft auch nicht breit genug für den Dauergebrauch ist.

"Die Idee mit dem Seitenstreifen ist Augenwischerei und keine Dauerlösung, in die ich zu viel Hoffnung stecken würde." Stauforscher Michael Schreckenberg

WDR: Könnte Park and Ride helfen, das Stauproblem in den Griff zu bekommen? In den Niederlanden findet man so etwas ja ganz oft.

Schreckenberg: Das Problem ist, dass wir überhaupt nicht die Parkmöglichkeiten haben. Man müsste also erst mal den Raum dazu schaffen – der ist aber im Allgemeinen nicht vorhanden. Das zweite Problem ist, dass man bei Park and Ride ja nicht nur hin, sondern auch wieder zurück muss. Es müsste also das Angebot im ÖPNV gegeben sein. Park and Ride könnte eine Lösung sein, aber es ist noch ein langer Weg, bis das wirklich helfen kann.

WDR: Was halten Sie von Carpooling-Spuren, also Fahrbahnen, die Fahrgemeinschaften nutzen dürfen?

Schreckenberg: Die werden mittlerweile an vielen Stellen ausprobiert. Allerdings bedeuten diese Sonderspuren ja, dass die Fahrbahnen dem restlichen Verkehr weggenommen werden. So lange der Anteil der Carpooling-Autos so gering ist, ist das eher eine Beeinträchtigung des Restverkehrs. Ich sehe für diese Methode in naher Zukunft keine Perspektive.

WDR: FDP und Grüne streiten sich ja gerade darüber, ob eher der ÖPNV oder die Autobahnen ausgebaut werden sollten. Wer hat Ihrer Meinung nach Recht?

Schreckenberg: In erster Linie muss das Autobahnnetz in Betrieb gehalten werden – das allein ist schon eine große Aufgabe. Gleichzeitig müssen wir den ÖPNV bzw. das Schienennetz ausbauen. Das ist aber eine längerfristige Aufgabe, für die man sehr viel Geld in die Hand nehmen muss. Mir persönlich fehlt ein Gesamtkonzept.

Es reicht nicht aus, wenn man nur lokal ein paar Strecken ausbaut. Die Bahn muss komplett überarbeitet werden und zum Beispiel auch komplett digitalisiert werden. Das ist aber ein Problem, das man nicht kurzfristig mit ein paar Milliarden lösen kann.

WDR: Inwiefern sorgen die maroden Brücken für Staus?

Schreckenberg: Es ist ein großes Problem, dass wir immer mehr marode Brücken sperren oder zu Baustellen machen müssen. Dieses Problem wird uns noch mindestens zehn oder sogar fünfzehn Jahre beschäftigen, weil wir da so viel nachzuholen haben. Das wird das Stauaufkommen noch beträchtlich beeinflussen. Hier muss eine strategische Planung her, wie wir die Brücken umfahren können. Denn die Brücken müssen saniert werden, da führt kein Weg dran vorbei.

Das Interview führte Jan-Hendrik Raffler.

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