Krebshilfe-Verein: Vorstand mit eigenen Interessen?

Stand: 22.11.2022, 19:30 Uhr

Ein gemeinnütziger Verein aus dem Ruhrgebiet organisiert Urlaube für krebskranke Menschen. Doch WDR-Recherchen bringen Ungereimtheiten ans Licht. Hinter dem Verein steht ein verurteilter Betrüger.

Von Arne Hell und Thorsten Pfänder

Ein Wohnwagen an der Nordsee. Gute Luft, der Strand. Und für krebskranke Menschen ist der Urlaub hier umsonst. Darum kümmert sich der Verein "Auszeit für die Seele". Er organisiert Ferien für Menschen, die wegen ihrer Erkrankung Geldprobleme haben. Angeblich kommt die Idee dazu aus Israel.

Der kleine Verein aus Bönen tut viel, um sich bekannt zu machen: Motorradtouren, auf denen zu Spenden aufgerufen wird. Fototermine mit der Feuerwehr. Ein Infostand vor einer Uni-Klinik. Mehrere Politikerinnen wurden im Internet als Schirmherrinnen präsentiert.

Annemarie Hunecke wird im Studio der Lokalzeit aus Dortmund interviewt

Vorsitzende Hunecke in der WDR Lokalzeit im Juli 2020

Viele Medien berichten gerne über dieses wohltätige Engagement, auch der WDR. In der "Lokalzeit aus Dortmund" konnte die Vereinsgründerin Annemarie Hunecke 2020 davon erzählen, wie sie einer todkranken Frau und ihrer Familie eine Woche an der Nordsee ermöglicht hat.

Vereinsvorstand ist in dubiose Geschäfte verwickelt

Nach der Ausstrahlung bekam die Redaktion damals allerdings einen Hinweis, dass in dem Verein nicht alles mit rechten Dingen zugehen soll. Im Zentrum: der Lebensgefährte der Vereinsvorsitzenden. Er führt den Verein mit ihr, ist bei Terminen stets an ihrer Seite. E-Mails unterschreibt er gerne auch mit ihrem Namen. Tatsächlich heißt er anders: Reinhard Göddemeyer.

Im Internet findet sich zu dem 71-Jährigen auf Anhieb einiges, das aufhorchen lässt: zum Beispiel ein Aliasname, den er benutzen soll, eine Verurteilung zu einem dubiosen Abmahngeschäft. Oder eine Briefkastenfirma in Großbritannien, in der angeblich mehr als eine halbe Million Euro gelegen haben soll – dabei ist Göddemeyer offiziell zahlungsunfähig.

Göddemeyer ist mehrfach wegen Betrugs verurteilt

Außerdem ist er mehrfach vorbestraft. Der extremste Fall: Vor mehr als 15 Jahren gaukelte er einer alten Frau vor, ihr Sohn sei tödlich verunglückt. Die Frau brach zusammen und überlebte nur knapp. Der Richter schickte ihn damals für zwei Jahre ins Gefängnis und hielt im Urteil fest, ihm sei in 30 Jahren "kein solcher Fall von Brutalität, Niederträchtigkeit, Hinterlist und Dreistigkeit vorgekommen." Auch wegen Betrugs ist Göddemeyer mehrfach verurteilt worden.

Reinhard Göddemeyer im Interview

Reinhard Göddemeyer im August 2021

"Alles alte Geschichten", sagte er dazu, als der WDR ihn im August 2021 in einem Interview mit seiner Vergangenheit konfrontierte. Mit dem Verein "Auszeit für die Seele" habe das alles nichts zu tun. Anfang 2022 wurde er dann allerdings wieder wegen Betrugs zu einer Geldstrafe verurteilt. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Und WDR-Recherchen zeigen: Auch bei Göddemeyers Vereinsarbeit häufen sich Ungereimtheiten. Zum Beispiel behauptete er im Gespräch mit einer Zeitung, ein Motorrad für den Verein angeschafft zu haben, für Werbefahrten. Tatsächlich läuft um das Motorrad ein Gerichtsverfahren. Der vormalige Besitzer fordert die Herausgabe. Er sagt, er habe Göddemeyer die Maschine nur für ein paar Monate überlassen. Der habe sie aber bis heute nicht zurückgegeben.

Bundestagsabgeordnete war gar keine Schirmherrin

Mehrmals kündigte Göddemeyer außerdem Veranstaltungen zugunsten des Vereins an, die dann gar nicht stattfanden. Und auf den Vereinsseiten im Netz wurden Bundestagsabgeordnete wie Michelle Müntefering aus Bochum als angebliche "Schirmherrin" aufgeführt – dabei wusste sie davon gar nichts, wie sie dem WDR auf Anfrage bestätigt hat.

Ein anderes Beispiel: 2018 konnte der Verein einen Mann für sich gewinnen, der in Norddeutschland schon bekannt für seine Fahrradtouren war, mit denen er Spenden für Krebskranke sammelte. Der Mann aus Schleswig-Holstein war fast jedes Jahr als "Opa Hans" unterwegs. Er ist inzwischen verstorben. Auf den Internetseiten des Vereins wird "Opa Hans" für das gemeinsame Engagement immer noch gefeiert.

"Es geht bei ihm immer darum, davon zu profitieren"

Opa Hans steht neben Reinhard Göddemeyer

Göddemeyer mit "Opa Hans" im Jahr 2017

Was dort nicht erwähnt wird: Noch während der gemeinsamen Tour 2018 zeigte "Opa Hans" die Vereinsvorsitzenden Göddemeyer und Hunecke an, wegen des Verdachts auf Spendenbetrug.

Konkret hätten sie Lose für ein Fahrrad verkauft, das danach aber gar nicht als Gewinn ausgeschüttet, sondern selber weiter privat genutzt worden sei. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen zwar ein. Aber "Opa Hans" wollte mit dem Verein nichts mehr zu tun haben.

Dass das Fahrrad weiter genutzt wurde, räumt Göddemeyer im WDR-Interview ein. Allerdings sei es dabei um Vereinswerbung gegangen. Er und seine Lebensgefährtin hätten nie Dinge, die für den Verein angeschafft wurden, privat genutzt. Dies gelte auch für ein Auto, das sie angeblich für den Verein angeschafft haben. Die 30.000 Euro dafür haben sie bezahlt mit Spendengeldern einer Lotteriegesellschaft.

Christoph Hambrügge im Interview

Christoph Hambrügge

"Es geht bei ihm immer darum, in irgendeiner Weise davon zu profitieren", sagt dagegen jemand, der Göddemeyers angeblichen Einsatz für den guten Zweck aus nächster Nähe kennengelernt hat. Christoph Hambrügge gründete vor Jahren einen Verein, der ebenfalls kostenlose Urlaube für krebskranke Menschen organisierte – unter demselben Slogan "Auszeit für die Seele". Göddemeyer und seine Lebensgefährtin halfen dort eine Zeitlang mit.

Ist die Vereinsidee "geklaut"?

Reinhard Göddemeyer mit Vereinsmitgliedern von "Engel mit Herz"

Göddemeyer und Hambrügge bei einem Vereinstreffen im Jahr 2017

"Er hat den Verein versucht, zu übernehmen", erinnert sich Hambrügge, "und das ist ihm nicht gelungen." Es habe Streit gegeben. Göddemeyer soll Geld gefordert haben für Werbeaktionen und auch für seine eigenen Spesen.

2017 kam es zum Bruch. Mehr als ein Dutzend mal verklagte Göddemeyer danach Hambrügge und den Verein, behauptete etwa, bei dem Verein angestellt gewesen zu sein. Keine der Klagen wurde zugelassen. Aber Hambrügge gab danach seine ehrenamtliche Arbeit entnervt auf. Er wirft Göddemeyer vor, die Idee mit dem kostenlosen Urlaub gar nicht aus Israel, sondern von ihm geklaut zu haben.

Vorstandsmitglieder dürfen sich Geld auszahlen lassen

Denn kurze Zeit später, im Dezember 2017, gründeten Göddemeyer und seine Lebensgefährtin ihren neuen Verein "Auszeit für die Seele". In die Satzung ließen sie aufnehmen, dass sie sich als Vorstandsmitglieder eine "angemessene Aufwandsentschädigung" auszahlen lassen dürfen. Der Verein darf außerdem bei Göddemeyers eigenen Firmen Leistungen in Auftrag geben.

Davon hätten sie nie Gebrauch gemacht, behauptet Göddemeyer im WDR-Interview im vergangenen Jahr. Keinen Cent hätten sie sich auszahlen lassen. Schriftlich teilen er und seine Lebensgefährtin mit, die Spendeneinnahmen des Vereins seien "überschaubar". Die Urlaubsunterkünfte für die krebskranken Menschen würden dem Verein von den Anbietern kostenlos zur Verfügung gestellt, auch der Wohnwagenstellplatz an der Nordsee.

Rechnet man das, was der Verein seit 2017 erhalten haben will, allerdings zusammen, liegt die Summe bei mehr als 65.000 Euro. Diese Zahlen teilen Göddemeyer und Hunecke auf Anfrage selbst mit. Überprüfen lässt sich das nicht. Anders als viele andere gemeinnützige Vereine veröffentlicht "Auszeit für die Seele" die Einnahmen auch nicht. "Dazu besteht keine Veranlassung, da gibt es keine Vorschrift", sagte Göddemeyer im Interview.

Motorrad wurde nicht versteigert - sondern privat verkauft

WDR-Recherchen erhärten allerdings den Verdacht, dass Göddemeyer auch eigene Interessen mit seinem Vereinsengagement verfolgt. Im Jahr 2020 hatte er sich von einer Motorradwerkstatt in Bönen eine Maschine aus Einzelteilen zusammenbauen lassen, um sie zugunsten des Vereins zu versteigern.

Motorradmechaniker Daniel Voss steht in seiner Werkstatt

Mechaniker Voss aus Bönen

"Ich habe das gemacht, weil es für eine gute Sache war", sagt der Mechaniker Daniel Voss, der das Motorrad in vielen Stunden Arbeit ohne Bezahlung zusammensetzte, "und am Abend vorher haben wir erfahren, dass die Veranstaltung gar nicht stattfinden sollte."

Stattdessen verkaufte Göddemeyer ein Motorrad desselben Modells, eine Honda "Güllepumpe", für 1500 Euro in bar. Auf dem Kaufvertrag steht nur sein Name. Vom Verein "Auszeit für die Seele" ist dort keine Rede.

Verein schweigt zu den meisten Vorwürfen

Was mit dem Geld passiert ist, dazu schweigt Göddemeyer. Auch zu vielen anderen Vorwürfen haben er und seine Lebensgefährtin trotz mehrmaliger Anfrage keine Stellung genommen.

"Für jeden Patienten kann es einen nur freuen, dass es solche Angebote für einen kostenlosen Urlaub gibt", sagt der frühere Mitstreiter Christoph Hambrügge über die Arbeit von "Auszeit für die Seele", "aber die Frage ist: Was läuft hinter den Kulissen? Und da haben ich und viele andere große Bedenken."

Den WDR-Reportern, die ihn mit den Vorwürfen konfrontierten, hinterließ Göddemeyer eine Botschaft, die man als Drohung verstehen kann: Falls sie ihm "dumm kommen", könne er sie im Internet über Nacht zu Pädophilen machen. Und per Mail ließ er danach wissen: Personen, denen man mit Recherchen "auf die Füße tritt", könnten auch mit Brandbomben reagieren.