Kriminalwissenschaftler Thomas Feltes

Kriminologe Prof. Dr. Feltes über Missstände bei der Polizei

Stand: 24.06.2022, 08:43 Uhr

Der Jurist Thomas Feltes war von 2002 bis 2019 Universitäts-Professor an der Ruhr-Universität Bochum und Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft. Von 2006 bis 2010 war er Mitglied im Gründungssenat der Deutschen Hochschule für Polizei.

Feltes gilt national wie international als ausgewiesener Kenner der Polizei und ihrer Strukturen und hat zahlreiche wissenschaftliche Studien, Analysen und Beiträge zu Missständen innerhalb der Polizei veröffentlicht.

Herr Feltes, wie sieht es mit der Fehlerkultur bei der Polizei aus, wenn es bei einem Einsatz zu Übergriffen, Beleidigungen oder Körperverletzungen seitens der Beamten kommt?

„Wir haben in diesen Fällen generell das Problem, dass wir ein doppeltes Dunkelfeld haben. Das heißt zum einen ist die ganz große Mehrheit der Betroffenen nicht bereit Anzeige zu erstatten, weil sie wissen, dass dann sofort eine Gegenanzeige wegen Widerstands auf sie zukommt. Das andere Dunkelfeld haben wir dadurch, dass etwa 95 Prozent der Anzeigen von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden. Jetzt könnte man sagen: Okay, sofern die Polizei solche Fälle intern aufarbeitet und aus diesen Fehlern, die gemacht worden sind, lernt, hat das auch einen positiven Effekt. Nur wissen wir leider, dass diese Fehlerkultur in der Polizei nur rudimentär existiert, dass nur hier und da tatsächlich systematisch solche Fälle aufbereitet werden, dass vielmehr in den allermeisten Fällen diese Dinge vertuscht werden.“ 

Es wird weggeschaut?

„Das beginnt schon damit, dass in der Regel die Kollegen, die unmittelbar neben dem Ereignis stehen und dann auch dabei sind, insofern wegschauen, dass sie das, was sie wahrnehmen, nicht unterbinden oder hinterher ihren Vorgesetzten melden. Deshalb wissen viele Vorgesetzte gar nicht von diesen Ereignissen. Auf der anderen Seite kennen alle Vorgesetzten ihre sogenannten Widerstandsbeamte. Das sind Beamte, die immer wieder durch solche übergreifenden Gewaltmaßnahmen auffallen, die eben bekannt sind, die auch immer wieder Widerstandshandlungen provozieren und darauf müsste reagiert werden, was aber nur ganz selten geschieht. Nur ein kleiner Bruchteil kommt dann letztendlich bei der Polizeiführung an und das führt dann dazu, dass die dann oft zu lange wartet oder nichts unternimmt.“

Wie verhalten sich viele Polizeibeamte*innen, die gewalttätige Übergriffe ihrer Kolleg*innen mitbekommen?

„Wir haben einen gewissen Korpsgeist innerhalb der Polizei. Man ist aufeinander angewiesen, das ist Tatsache. Und das führt dann dazu, dass man auch Fehlverhalten von Kollegen deckt, wegsieht und auch nicht interveniert. Und gerade das Intervenieren wäre notwendig. Wenn dann nämlich die Situation vorbei ist, am Tag darauf, können diese Polizeibeamte und -beamtinnen nichts mehr unternehmen, weil sie sich dann möglicherweise selber strafbar machen, wegen Strafvereitelung im Amt. Sie müssten das sofort und unmittelbar anzeigen, das tun sie nicht und das führt dann dazu, dass sie keine Aussage bei Gericht oder bei der Staatsanwaltschaft machen werden. Weil sie sich ansonsten selbst belasten würden.“

Lässt sich dieses Schweigen durchbrechen?

„Also es sind zum einen alle Polizisten und Polizistinnen gefordert in solchen Situationen aktiv tätig zu werden. Das heißt Fehlverhalten zu unterbinden und wenn ihnen das nicht möglich ist, das unmittelbar sofort danach ihren Vorgesetzten zu melden. Die wiederum müssen genauer hinschauen, müssen diese Widerstandsbeamten identifizieren, mit ihnen reden und ihnen Hilfsangebote machen. Sanktionieren oder Disziplinarmaßnahmen nützen hier meines Erachtens nach nichts. Und die Polizeiführung ist verpflichtet viel stärker hinzuschauen, was im Alltag tatsächlich vor Ort geschieht: durch die Auswahl entsprechender Führungspersönlichkeiten, aber auch durch regelmäßige Berichte, die man sich geben lässt, aber auch durch Hineinsehen in entsprechende Verfahren und Akten.“

Wie könnte man Machtmissbrauch auf einer Polizeiwache vorbeugen?

„Eine Möglichkeit das Problem zu lösen, wäre natürlich eine regelmäßige Rotation. Das heißt, dass Beamt*innen nicht nur dort eingesetzt werden, wo die Belastung relativ hoch ist, in sozialen Brennpunkten oder in anderen Bereichen, wo wir wissen, dass die Polizei sehr stark gefordert wird. Sondern, dass sie nach sechs oder zwölf Monaten woanders hin versetzt werden. Das trifft aber oftmals auf Widerstand der Gewerkschaften, die dieses System nicht wollen und auch auf Widerstand der Betroffenen selbst. Aus ganz verschiedenen Gründen, weil sie es zum Beispiel gewohnt sind sich dort zu bewegen, weil sie auch diese Lebhaftigkeit des Einsatzes durchaus wollen und Angst haben, an anderen Stellen möglicherweise zu wenig gefordert zu sein. Hier wäre auch wieder die Polizeiführung gefordert, konsequent zu rotieren, damit niemand zu lange in belastenden Bereichen tätig ist, was dann natürlich auch Auswirkungen auf seine Persönlichkeit und seine psychische Verfassung hat.“

Wo kann ich mich über die Polizei in Dortmund beschweren? Nur bei der Dortmunder Polizei?

„Nein das ist nicht so. Ich kann zum einen direkt zur Staatsanwaltschaft gehen, aber ich kann auch zu einer anderen Polizeidienststelle nach Essen oder Bochum gehen. Im Strafrecht haben wir keine Verpflichtung, dass ich meine Anzeige bei einer bestimmten Dienststelle abgeben muss, womit ich aber rechnen muss ist, dass wenn ich nach Bochum gehe, Bochum das Verfahren wieder an Dortmund abgibt. Deshalb ist die Forderung, die auch in der Regel umgesetzt wird in Deutschland, dass bei solchen Verfahren gegen Polizeibeamtinnen und –beamte nie die Dienststelle ermittelt, die unmittelbar betroffen ist, sondern immer eine andere, das ist auch in Nordrhein-Westfalen eigentlich gängige Praxis.“

Es gibt immer wieder die Forderung nach einer unabhängigen Beschwerdestelle. Wie stehen Sie dazu?

„Also wenn wir tatsächlich eine unabhängige Beschwerdestelle hätten, wie es sie im Ausland gibt, die unabhängig auch vom Innenministerium oder möglicherweise gänzlich unabhängig von der Politik angesiedelt ist, dann würde das etwas bringen. Ich bin sehr skeptisch im Hinblick auf die sogenannten Polizeibeauftragten, die innerhalb der Ministerien oder innerhalb der Landtage angesiedelt sind, weil die nur dann ermitteln dürfen, wenn in einem bestimmten Verfahren nicht bereits strafrechtliche oder disziplinarrechtliche Ermittlungen aufgenommen worden sind. Das haben wir aber in den meisten Fällen, das hier bereits ermittelt worden ist, sei es polizeiintern oder sei es durch die Staatsanwaltschaft. Dann sind diesen Polizeibeauftragten die Hände gebunden, sie dürfen nichts machen und dann würde meine Beschwerde dort auch wieder in Leere laufen.“

Eine wirklich unabhängige Beschwerdestelle gibt es also in NRW nicht?

„Es gibt weder in NRW noch in Deutschland eine tatsächlich unabhängige Beschwerdestelle. Wir haben Polizeibeauftragte in einigen Bundesländern, nicht in Nordrhein-Westfalen. Die sind aber in das System eingebunden und müssen auch dem Innenministerium, beziehungsweise dem Landtag, in Berlin dem Senat, berichten. Aber wir haben wirklich keine ausgelagerten Einrichtungen, wie das im Ausland teilweise gegeben ist.“

Das Interview führte Christof Voigt

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