"Dankbar für jedes Lebenszeichen": Essener versucht seiner Familie in der Türkei zu helfen

Stand: 17.02.2023, 15:13 Uhr

Viele Menschen im Ruhrgebiet möchten ihren Familien in der Erdbebenregion der Türkei helfen und sie vorübergehend zu sich holen. Ihren Angehörigen geht es schlecht - sie leben auf der Straße oder in Zelten.

Von Solveig Bader

Cuma Demir freut sich über jedes Lebenszeichen seiner Familie in der Türkei. Das klappt nur über das Smartphone, wenn die Internetverbindung nicht wieder abgestürzt ist. Sein Bruder, dessen Frau und drei Kinder, haben das Erdbeben überlebt. Sie leben in Gaziantep, einer Großstadt in Südostanatolien, die besonders zerstört ist. Auch seine Eltern konnten noch rechtzeitig aus ihrem Haus laufen, bevor es einstürzte. Ihr ganzes Hab und Gut haben sie verloren.

Cuma Demir und sein Sohn Emrecan telefonieren mit Angehörigen

Cuma Demir und sein Sohn Emrecan freuen sich über jedes Lebenszeichen der Familie.

Vier Angehörige sind unter Trümmern gestorben. "Ich kann kaum schlafen, es ist alles sehr schlimm und traurig", sagt Cuma Demir. Seit 1997 lebt er mit seiner Familie in Essen. Hier hat er sich ein Möbelunternehmen aufgebaut - mit Sitz in der Türkei und Essen. Ihm geht es sehr gut, er hat es zu Wohlstand gebracht. Umso schwerer ist es für ihn zu ertragen, dass seine Angehörigen jetzt so leiden müssen.

Die Familie in der Türkei ist psychisch sehr mitgenommen

Ihre Angehörigen in Gaziantep seien verzweifelt, traumatisiert und übermüdet, erzählt Cuma Demir. Eine Woche mussten sie im Auto schlafen. "Jetzt haben sie zum Glück ein Zelt, doch ihnen ist ständig kalt, die Kinder zittern vor Kälte", sagt er. Sorgen macht er sich vor allem um seine Eltern. Seine Mutter hat eine Gehbehinderung, braucht einen Rollator.

Großer bürokratischer Aufwand

Cuma Demirs Sohn Emrecan versucht gerade alles in die Wege zu leiten, um die Familie aus dem Erdbebengebiet herauszuholen. Sie hätten Platz zu Hause und könnten sogar 15 Leute aufnehmen. Zwei Tage nach dem Erdbeben hat er beim Ausländeramt in Essen online einen Antrag gestellt, jetzt wartet er auf einen persönlichen Termin. Nur Angehörige ersten und zweiten Grades dürfen für maximal drei Monate hier aufgenommen werden. Dafür musste er eine Verpflichtungserklärung ausfüllen, dass er für alle Kosten seiner Familie aufkommt. Dafür sind allerhand Nachweise vorzulegen, auch das Einkommen.

Die Pässe liegen unter Trümmern

Wird der Antrag bewilligt, müssen die Angehörigen zur deutschen Botschaft in Ankara oder Istanbul, um ein Visum zu beantragen. Doch sie haben keine Pässe mehr, die liegen unter den Trümmern ihres Hauses. Deshalb muss erst ein vorläufiger Reisepass ausgestellt werden und das kann mehrere Wochen dauern. In Bochum soll ab kommender Woche ein Sonderservice für schnelle Hilfe für türkische Angehörige eingerichtet werden. Dafür werden gerade drei Mitarbeiter des Ausländeramtes geschult.

Zerstörung, Verzweiflung - und ein bisschen Hoffnung

Nach den verheerenden Beben in der Türkei und Syrien läuft ein Wettlauf gegen die Zeit. Tausende werden noch unter den Trümmern vermutet - ihre Überlebenschancen sinken stündlich. Momentaufnahmen aus dem Krisengebiet.

Der achtjährige Yigit Cakmak ist wieder mit seiner Mutter vereint. Rettungskräfte im türkischen Hatay hatten den Jungen zuvor aus den Trümmern gerettet - nach 52 Stunden.

Für Mesut Hancer aus der Provinz Kahramanmaras gibt es keine Hoffnung mehr. Seine 15 Jahre alte Tochter Irmak hat den Einsturz des Hauses nicht überlebt. Ihr Vater hält ihre Hand - und will nicht loslassen.

Erst aus der Luft ist das wahre Ausmaß der Zerstörung in Hatay zu erkennen.

Wie die Stadt irgendwann aus den Trümmerhaufen neu erstehen könnte - das ist noch unvorstellbar.

Wie hier in Antakya sieht es in vielen Städten nahe des Epizentrums aus. Die Suchmannschaften geben ihr Bestes - und können doch meist nichts ausrichten.

Auch was stehen geblieben ist, könnte jederzeit einstürzen: Für die Helfer besteht Lebensgefahr.

Davon lassen sich die Freiwilligen aber nicht abschrecken. Manchmal gelingt es doch, Verschüttete noch lebend zu orten und zu retten.

Auch wenn die Hoffnung oft vergeblich ist.

Sie haben überlebt - doch die Trauer und Angst um ihre Verwandten ist unerträglich.

Inmitten von Tod und Zerstörung im syrischen Idlib ein Hoffnungsschimmer: Das Bild eines kleinen Mädchens, das noch lebend aus den Trümmern gezogen wurde, geht um die Welt.

Essener Unternehmerfamilie spendet 600 Matratzen in die Türkei

Während die Demirs auf Antworten der Behörden warten, haben sie bereits auch für andere Betroffene vor Ort eine Hilfsaktion angestoßen. 600 Matratzen haben sie gespendet und in das Erdbebengebiet geliefert. Weitere 1000 werden gerade in der Türkei produziert. Jetzt können sie nur hoffen, dass die Anträge zügig bearbeitet werden und sie ihre Familie bald bei sich haben.

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