Thora-Schüler aus der Ukraine lernen jetzt in Düsseldorf

Stand: 06.04.2022, 16:59 Uhr

40 Schüler und zwei Rabbiner einer jüdisch-orthodoxen Thora-Schule in der Ukraine sind vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen. Jetzt leben sie in Düsseldorf - zu Gast in einer kleinen jüdisch-orthodoxen Gemeinde.

Von Jens Oliver Hoffmann

Um sich vor Bomben und Raketen zu schützen, lernten die 40 Schüler und ihre Lehrer zuletzt im Keller ihrer großen traditionellen Thora-Schule in Dnipro, rund 400 Kilometer südöstlich von Kiew. Seit ihrem 13. Lebensjahr beschäftigen sich die 13- bis 16-Jährigen täglich mit heiligen Schriften, der Thora, dem Talmud und ihren Auslegungen. Während in ihrer Heimat fortwährend gegen eines der wichtigsten Gebote dieser Schriften verstoßen wurde: Du sollst nicht töten.

Der 14-jährige Mordechai David Schneerson ist einer der 40 Schüler und jetzt zum ersten Mal in Düsseldorf - der Stadt, in der sein Urgroßvater, dessen Vater und seine Verwandten einst gelebt haben. Geplant war das so nicht.

"Wir hatten gar keinen Plan, als wir aufbrachen", sagt Rabbiner Chaim Chazan lächelnd. Er ist einer der beiden Rabbiner, die die 40 Thora-Schüler auf ihrer Flucht aus der Ukraine begleitet haben.

50 Stunden auf der Flucht

Erst nachdem sie Dnipro verlassen hatten und im Zug nach Odessa saßen, bekamen sie die Einladung nach Düsseldorf. Der Rabbiner der kleinen Düsseldorfer Gemeinde Chabad Lubawitsch, Chaim Barkahn, hatte von ihren Fluchtplänen erfahren. Chabad Lubawitsch ist eine weltweit verbreitete Bewegung, die ein traditionelles, spirituelles orthodoxes Judentum vertritt.

Von Odessa aus ging es für die Schülergruppe über die moldawische Hauptstadt Chisinau nach Rumänien. Von Bukarest flogen sie in zwei getrennten Gruppen nach Paris oder Brüssel. Von dort ging es schließlich nach Düsseldorf.

Rabbiner Chaim Barkahn und seine Gemeinde hatten unterdessen gemeinsam mit der Stadt Düsseldorf und Sponsoren Schlafplätze organisiert. 50 Stunden nach der Flucht waren alle untergebracht.

Schon die Vorfahren hofften hier auf ein Leben in Sicherheit

In Düsseldorf holt den 14-jährigen Mordechai jetzt seine eigene Familiengeschichte ein. Der Zufall führte ihn in die Stadt, in die 1909 seine Vorfahren flohen - vor antisemitischen Pogromen in Galizien (heute Südpolen und Westukraine). 1938 schoben die Nazis die Kaufmannsfamilie aber zusammen mit rund 440 "ostjüdischen" Einwohnern Düsseldorfs an die polnische Grenze ab.

Die meisten von ihnen wurden später im Holocaust ermordet. Nur sein Urgroßvater emigrierte vorher rechtzeitig nach Palästina. Mordechai hat dazu Unterlagen in der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte gesehen.

"Ironie der Geschichte"

"Ist es nicht eine Ironie der Geschichte?", fragt Rabbiner Chaim Chazan. "Das macht das Wunder unserer Flucht noch größer. Statt von hier wegzulaufen, kommen wir her, um in Sicherheit zu sein." Und sein Gastgeber, Rabbiner Chaim Barkahn, ergänzt mit ein wenig Stolz in der Stimme: "Ich habe ein Kind gehört vor ein paar Tagen, das hat gesagt, ich möchte hier bleiben. Das sagt viel".

Über dieses Thema berichten wir am 06.04.2022 in der Lokalzeit aus Düsseldorf im WDR Fernsehen.