Distanzunterricht als Link in die Heimat: Ukrainische Schüler in NRW
Stand: 08.04.2022, 06:00 Uhr
Mehr als 6.000 ukrainische Kinder und Jugendliche gehen in NRW bereits in die Schule. Viele sind parallel per Distanzunterricht weiter mit den Lehrern in ihrer Heimat verbunden. Wie funktioniert das?
Von Peter Hild
Artem schaut konzentriert auf den kleinen Bildschirm seines Smartphones. Er sitzt an einem Holztisch in einer Flüchtlingsunterkunft in Aegidienberg, einem kleinen Ortsteil von Bad Honnef. Der Neunjährige hat gerade Ukrainisch-Unterricht in seiner alten Klasse aus Kiew.
Sein Vater Mochsen ist froh, dass der Onlineunterricht möglich ist. Er sei eine große Unterstützung für sie als Eltern, aber auch für Artem selbst: "Er sitzt quasi zu Hause, hat keine Kontakte. Das ist sehr schlecht und schwer für ihn. Wenn er am Onlineunterricht teilnimmt, kann er so wenigstens mit anderen Kindern kommunizieren."
Situation für Schüler sehr unterschiedlich
Die Situation der ukrainischen Kinder und Jugendlichen sei in NRW immer noch sehr unterschiedlich, berichten Schulleiter und ehrenamtliche Helfer. Ob und wie gut der Onlineunterricht funktioniert, hänge auch vom Alter der Schüler ab und davon, wie stark ihre Heimatregion vom Kriegsgeschehen betroffen ist. Wie viele ukrainische Geflüchtete in NRW aktuell Distanzunterricht aus ihrem Heimatland bekommen, dazu gibt es vom Schulministerium bisher weder Zahlen noch Schätzungen.
Was dagegen bekannt ist: Viele ukrainische Schüler seien aus ihrer Heimat mit Onlineunterricht vertraut und das nicht erst seit Corona, sagt die Bildungsforscherin Heike Roll von der Universität Duisburg-Essen: "Für Jugendliche kurz vor dem Abschluss ist gerade jetzt ukrainischer Unterricht wichtig. Für Jüngere ist es sinnvoll, sowohl Unterricht in deutschen Klassen als auch parallel Onlinestunden auf Ukrainisch zu haben. Wichtig ist dabei vor allem die Begleitung durch Fachkräfte."
"Drehtür-Modell" könnte geflüchteten Schülern helfen
Unterricht in deutschen Klassen und parallel Onlinestunden auf Ukrainisch - Bildungsexperten sprechen dabei vom so genannten Drehtür-Modell. Es soll ukrainische Schüler hier integrieren, sie aber andererseits weiter auf ihre ukrainischen Abschlüsse vorbereiten.
Viele Schulen auch in NRW seien offen für dieses Modell und setzten es bereits um, meint Dirk Zorn, Bereichsleiter Bildung bei der Robert-Bosch-Stiftung. Es brauche aber individuelle Lösungen für jeden Schüler: "Zum einen Integration in den Regelunterricht, dort wo deutsche Sprache nicht so wichtig ist, wo Bewegung oder Musik im Vordergrund stehen. Zum anderen gezielte Sprachförderung in anderen Stunden und auch die Möglichkeit, in den Tagesablauf integriert, das Lernen auf Ukrainisch zu ermöglichen."
Weiter Nachholbedarf bei digitaler Ausstattung
Auch wenn sich durch den Distanzunterricht während der Corona-Pandemie die digitale Ausstattung vieler Schulen verbessert hat, sieht Bildungsforscherin Roll noch Nachholbedarf: "Es können bei weitem noch nicht jeder Schüler und jede Schülerin mit einem digitalen Endgerät ausgestattet werden. Da müsste weiter investiert werden."
Für Artem aus Kiew und seine Familie heißt es unterdessen Koffer packen - aus der Flüchtlingsunterkunft in Aegidienberg geht es übergangsweise weiter in ein Hotel. Voraussichtlich nach den Osterferien soll er dann auch zum ersten Mal eine deutsche Schule besuchen.