Solingen - 20 Jahre danach
Lokalzeit Bergisches Land. 23.05.2013. 05:43 Min.. Verfügbar bis 30.12.2099. WDR.
Brandanschlag in Solingen: Innenministerium reagiert auf Vorwürfe
Stand: 22.04.2022, 16:19 Uhr
Welche Rolle spielte der V-Mann Bernd Schmitt beim Brandanschlag von Solingen? Diese Frage wirft ein NDR-Interview mit dem V-Mann Jan P. auf, das jetzt veröffentlicht wurde. Das Innenministerium möchte nun prüfen, ob sich noch Akten dazu im Archiv des NRW-Verfassungsschutzes befinden.
Der ehemalige V-Mann Jan P. war in den 1990 Jahren zunächst in Wuppertal, später auch in Solingen auf die links-autonome Szene angesetzt. Nach seinen Angaben kam er eher zufällig zu seiner Tätigkeit als Vertrauensmann des Verfassungsschutzes, weil er in Wuppertal neben einem besetzten Haus wohnte und sein Auto von der Bereitschaftspolizei eingeparkt war. Die Polizei vermutete dort eine Zelle der linksextremistischen Terrorgruppe RAF, die seit den 70ern die Bundesrepublik in Angst und Schrecken versetzte.
Jan P. galt als zuverlässiger Informant
Der heute 55-Jährige galt beim NRW-Verfassungsschutz als zuverlässiger Informant. Er wurde in den 90ern auch auf einen Kollegen angesetzt, einen V-Mann, der in der rechten Szene arbeitete: Bernd Schmitt. Er betrieb eine Kampfsportschule in Solingen. Dort trainieren drei junge Männer. Sie und ein weiterer Mann zünden am 29.5.1993 das Haus der türkischstämmigen Familie Genç in Solingen an. Ihr Motiv: Rassismus.

Bei dem Brandanschlag sterben zwei junge Frauen und drei Mädchen. Saime Genç, das jüngste Opfer ist erst vier Jahre alt. Auch die Täter sind jung: Vier Neonazis zwischen 16 und 23 Jahren. Zwei Jahre dauert der Prozess: Drei von ihnen werden nach Jugendstrafrecht verurteilt. Sie müssen für 10 Jahre in Haft, nur der älteste, Markus G., bekommt eine 15-jährige Haftstrafe.
V-Mann trainierte Solinger Täter
Bernd Schmitt trainierte drei der Solinger Täter. Seine Arbeit für den Verfassungsschutz kam im Prozess um den Brandanschlag heraus. Der Kampfsportler hatte Kontakte zur Neonaziszene und berichtete seit 1992 an den Verfassungsschutz. Er wurde - genauso wie Jan P. - dafür bezahlt.
Schmitt im Prozess als V-Mann enttarnt
Als der Richter den Kampfsporttrainer der drei jungen Angeklagten fragte, ob er eine Ausnahmegenehmigung vom Verfassungsschutz brauche, bejahte der Solinger das. Diese Enthüllung brachte den damaligen NRW-Innenminister Herbert Schnoor (SPD) in Bedrängnis. Nach seinen Angaben hatte Schmitt vorab jedoch nicht zur Radikalisierung der Täter beigetragen.
Stachelte V-Mann die Täter an?
Eine Behauptung, die angezweifelt werden kann, denn die drei Täter neben Christian R. stammten aus unterschiedlichen Familien: Der Arztsohn Felix K. kam aus linksliberalem Elternhaus. Der Vater von Christian B. war Handwerker. Markus G. hatte seine Mutter verloren, der Vater war alkoholkrank. Alle drei hatten eine Gemeinsamkeit: Das Training in der Kampfsportschule Hak Pao von Bernd Schmitt. Das legt die Vermutung nahe, dass hier ein V-Mann des Verfassungsschutzes die Solinger Täter zu ihrem Verbrechen angestachelt hat.
Diesen Verdacht nährt das kürzlich veröffentlichte NDR-Interview. Jan P. wird den Verdacht nicht los, dass er 1993 eingesetzt wurde, um die Aufklärung des Solinger Brandanschlags zu verhindern. "Aus heutiger Sicht habe ich den Verfassungsschutz geschützt, nicht die Verfassung," sagt Jan P.
Innenministerium reagiert auf Berichterstattung
Das Innenministerium beruft sich auf das Gerichtsverfahren von damals, in dem auch die Rolle des Betreibers der Solinger Kampfsportschule beleuchtet wurde. Man habe keine Kenntnis, dass sich damals der Verdacht erhärtete, dass er die Täter zur Tat angestachelt habe. Allerdings: eine Sprecherin des Innenministerium bestätigte dem WDR, dass man vor dem Hintergrund der aktuellen Berichterstattung und "im Interesse einer transparenten Aufklärung prüfen wolle, ob sich noch Unterlagen oder Akten zu dem Gesamtkomplex im Archiv des NRW-Verfassungsschutzes befinden."