Kanzler Scholz verspricht auf der Digitalkonferenz re:publica mehr Digitalisierung

Stand: 09.06.2022, 19:51 Uhr

Zum ersten Mal besucht ein Kanzler die wohl wichtigste Konferenz für Digitalthemen re:publica. Eine Zeitenwende im Digitalen hat Scholz nicht versprochen, aber doch deutlich mehr Engagement bei der digitalen Verwaltung und bei der Abwehr von Cyber-Angriffen. WDR-Digitalexperte Jörg Schieb erklärt, was der Bundeskanzler angekündigt hat – und wie viel Digitalisierung in der aktuellen Politik steckt.

Am zweiten Tag der re:publica, das „Festival für die digitale Gesellschaft“, das von Mittwoch bis Freitag in Berlin stattfindet (und das bereits zum 15. Mal), besucht Bundeskanzler Olaf Scholz das Festival. Angela Merkel wurde immer wieder eingeladen – hat sich aber nicht blicken lassen. Dabei ist der Weg vom Kanzleramt zum Veranstaltungsort nur wenige Minuten Autofahrt.

Mehr digitale Verwaltung und Abwehr vor Cyber-Angriffen

Zwei Aspekte des digitalen Lebens hat der Kanzler angesprochen. Zum einen hat er über seine eigenen Erfahrungen berichtet, für die Verlängerung eines Personalausweises und Reisepasses selbst auf dem Amt erscheinen zu müssen – denn online geht in Deutschland nichts. Scholz versprach auf der re:publica in Berlin, mit seiner Regierung die Digitalisierung der Verwaltung "mit größter Geschwindigkeit" voranzutreiben. Dass das keine einfache Aufgabe ist, die trotzdem Zeit dauern wird, hat er kleinlaut eingeräumt: 400 Kreise und kreisfreie Städte in Deutschland sowie 11.000 Gemeinden lassen sich nicht auf Knopfdruck auf digital umstellen.

Immerhin hat der Regierungschef einen Finger in die Wunde gelegt und Besserung gelobt

Ein weiterer Schwerpunkt seiner Rede: Der Schutz vor Cyberkriminalität – vor allem vor dem Hintergrund des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine. "Immer häufiger werden digitale Technologien als geopolitisches Machtinstrument missbraucht, teils auch gezielt für Desinformationskampagnen", sagte Scholz. Der Bundeskanzler versprach auch hier mehr Engagement, etwa gegen Desinformationskampagnen sowie kriminelle Aktivitäten jeder Art übers Netz. "Man kann das nicht ernst genug nehmen", sagte er – und niemand wollte ihm auf der re:publica widersprechen. Hier wissen das die Besucher schon lange.

Scholz ist der erste Kanzler auf der re:publica

Der Besuch des Kanzlers kommt bei Veranstaltern der re:publica und bei den meisten Besuchern gut an: Immerhin ignoriere die Politik die Konferenz nicht mehr und möchte sich an den führenden Debatten beteiligen. Allerdings seien Politiker, auch Bundesminister und auch der Kanzler eher Gäste, keine Akteure.

Publikum sitzt vor einer Bühne

Umfangreiches Programm: Zehn Bühnen (Stages), 400 Sessions und 700 Speaker/Gäste

Wenn sich Betreiber wie Besucher der re:publica eins wünschen, dann nicht mehr Gesetze, sondern mehr Debatte. Die re:publica ist ein guter Ort dafür, denn hier sind alle, die zu drängenden Themen der Zeit – auch zu Ukraine-Konflikt, Klimakrise und Corona – etwas zu sagen haben. Auf der re:publica in Berlin sind die so dringend erforderlichen Debatten möglich.

Mehr Debatte über Digitalisierung

Und auch das höre ich von den Initiatoren der Veranstaltung, insbesondere von Markus Beckedahl, der die re:publica mit gegründet hat und federführend gestaltet: Er wünscht sich, dass die Politik mehr Mechanismen etabliert, um der Bevölkerung zuzuhören und angeregt zu debattieren.

Politik ist aus Sicht der meisten Besucher der re:publica kein Top-Down-Konzept mehr, sondern eine agile Auseinandersetzung. Hier könnten die digitalen Möglichkeiten eine große Rolle spielen. Könnten, die Politik müsste sich nur darauf einlassen und entsprechende Möglichkeiten vorsehen.

Warten auf Umsetzung des Koalitionsvertrags

Netzaktivist Markus Beckedahl

Netzaktivist Markus Beckedahl wünscht sich von der Politik mehr aktive Debatte – auch, aber nicht nur auf der re:publica

Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung enthält viele Aspekte, die man sich auf der re:publica schon seit Jahren wünscht, erklärt Markus Beckedahl. Nur: Die Bundesregierung käme "nicht ins Doing", beklagt der Netzaktivist. Das mag dem Ukraine-Konflikt geschuldet sein. Allerdings macht die Politik schon lange immer wieder Versprechungen, etwa was den Ausbau der Republik mit schnellem Internet betrifft – ohne wirklich entscheidende Verbesserung zu erreichen. Und das seit Jahrzehnten.

Über den Autor

Jörg Schieb, WDR-Digitalexperte.

WDR-Digitalexperte Jörg Schieb

Jörg Schieb, Jahrgang 1964, ist WDR-Digitalexperte und Autor von 130 Fachbüchern und Ratgebern. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf unseren Alltag.

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