Putin kündigt "Teilmobilmachung" an: Was bedeutet das?

Stand: 22.09.2022, 08:37 Uhr

Im Krieg gegen die Ukraine hat Russlands Präsident Wladimir Putin eine "Teilmobilisierung" der russischen Streitkräfte angekündigt. In 40 Städten in Russland kam es am Mittwoch zu Protesten.

Knapp sieben Monate, nachdem Russland einen Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, hat der russische Präsident eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet. Ein entsprechendes Dekret sei bereits unterschrieben, die Mobilisierung beginne noch an diesem Mittwoch, so Kremlchef Wladimir Putin in einer Fernsehansprache.

"Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht ist, werden wir alle verfügbaren Mittel einsetzen, um unser Volk zu schützen - das ist kein Bluff", sagte Putin. Dem Westen warf er nukleare Erpressung vor.

Was heißt "Teilmobilmachung"?

Von einer "Mobilmachung" wird laut Bundeszentrale für politische Bildung dann gesprochen, wenn Soldatinnen und Soldaten in Bereitschaft gesetzt werden, um in den Kampf ziehen zu können. Das kann auch Reservistinnen und Reservisten betreffen, also Menschen, die früher im Militär gedient haben, inzwischen aber nicht aktiv dabei sind.

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu erklärte, dass 300.000 Reservisten mit militärischer Erfahrung mobilisiert werden sollen. Laut dem Ministerium sind ehemalige Wehrpflichtige sowie Zeitsoldaten mit Mannschaftsdienstgrad im Alter bis 35 Jahre und Reserveoffiziere der unteren Dienstgrade bis 45 Jahre betroffen. In erster Linie sollen demnach Männer mit Kampferfahrung und einer militärischen Spezialausbildung in den Krieg geschickt werden.

Um die "Teilmobilmachung" durchzusetzen, wurden Russlands Gouverneure angewiesen, die Einberufung in ihren Regionen zu organisieren. Zur Durchsetzung hat Putin gerade erst mehrere Gesetze verschärfen lassen. So werden Fahnenflucht und der "freiwillige" Eintritt in die Kriegsgefangenschaft hart bestraft. Außerdem dürfen wehrpflichtige Russen ihren Wohnort laut Gesetz nicht mehr verlassen. Aus Moskau hieß es am Mittwoch aber, innerhalb Russlands könnten die Menschen weiterhin ungestört reisen, Auslandsreisen seien aber nicht mehr zu empfehlen.

Wie sind die politischen Reaktionen?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht die russische "Teilmobilmachung" als Zeichen der Schwäche. "Die jüngsten Entscheidungen der russischen Regierung sind ein Akt der Verzweiflung", sagt er. Russland könne diesen "verbrecherischen Krieg" nicht gewinnen und Putin habe die Situation völlig unterschätzt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach von einem "schlimmen und falschen Schritt" Putins.

US-Präsident Joe Biden beklagt, Russland spreche "verantwortlungslose atomare Drohungen zum Einsatz von Atomwaffen" aus. "Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf nie geführt werden." Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, die Anordnung werde Russland weiter in die Isolation führen. Dieser Schritt Putins sei ein Fehler.

Und nach Meinung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zeigt die "Teilmobilisierung", dass Moskau Probleme mit seinem Militärpersonal hat. Putin brauche "eine millionenschwere Armee", sehe aber, "dass seine Einheiten einfach weglaufen", sagte Selenskyj im Interview der "Bild". Putin wolle "die Ukraine in Blut ertränken, aber auch im Blut seiner eigenen Soldaten."

Wie nehmen die Menschen in Russland und in der Ukraine die Ankündigung wahr?

In Russland haben am Mittwoch in rund 40 Städten Menschen gegen die Mobil-Machung für den Krieg in der Ukraine protestiert. Nach Angaben von Bürgerrechtlern wurden 1.300 Demonstrierende festgenommen - die meisten von ihnen Frauen. Den Betroffenen droht bis zu 15 Jahren Haft, wie die Behörden im Vorfeld vor den Demos mitteilten.

Unmittelbar nach der Fernsehansprache von Putin hatte ein Kamerateam in Moskau in einer Straßenumfrage versucht, die Stimmung unter Passanten auszuloten. Die meisten der Befragten hätten aus Angst nichts sagen wollen, sagte ARD-Korrespondentin Ina Ruck. Lediglich eine Mutter habe weinend mitgeteilt, dass ihr Sohn von der Mobilmachung betroffen sei. Ein anderer Mann habe gesagt: Er sei dabei und stehe als Reservist zur Verfügung.

Bezeichnend sei aber, dass die Nachfrage nach One-Way-Flügen rasant gestiegen sei, so Ruck Direktflüge von Moskau nach Istanbul und Eriwan in Armenien - beides Ziele, die Russen eine visumfreie Einreise ermöglichen - waren laut Aviasales, einer russischen Such-Plattform für Flugtickets, bereits am Mittwoch ausverkauft.

In Kiew wird die Mobilmachung als Zeichen der Schwäche Russlands gewertet, so ARD-Korrespondent Vasilli Golod. Die Menschen stuften das russische Vorhaben als Antwort auf die Gegenoffensive der Ukrainer ein. Die Russen hätten das Staatsgebiet der Ukraine illegal vereinnahmt - und das wollten sich die Ukrainer zurückholen, so Golod.

Wie sieht es an der finnisch-russischen Grenze aus?

Videos in den sozialen Medien hatten kurzzeitig für Wirbel gesorgt. In den Videos war von einem 35 Kilometer langen Stau an der Grenzkontrolle die Rede. Das wurde damit in Verbindung gebracht, dass viele Russen offenbar versuchten, nach Finnland auszureisen. Das finnische Außenministerium stellte später klar: "Die Situation an der finnischen Grenze ist ruhig, die Schlange entsprichit dem üblichen Tagesverkehr."

Zwischenzeitlich scheint aber der Verkehr an der russisch-finnischen Grenze leicht zuzunehmen, wie aus einem Tweet des finnischen Außenministeriums hervorgeht:

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