Neue Studie: Ursache für Plötzlichen Kindstod gefunden?

Stand: 17.05.2022, 15:29 Uhr

Was ist die Ursache für den Plötzlichen Kindstod? Eine australische Studie hat offenbar eine Antwort darauf gefunden - ein angeborener Enzymmangel. Ist das ein medizinischer Durchbruch?

Eine grauenhafte Vorstellung: Ein Baby hört im Schlaf einfach auf zu atmen - ohne erkennbaren Grund - und stirbt. Wenn das passiert, spricht man vom Plötzlichen Kindstod. Bislang gibt es dafür keine eindeutige Erklärung. Das könnte sich jetzt ändern. Die australische Biochemikerin Carmel Therese Harrington hat mit ihrem Team des Kinderkrankenhauses Westmead in Sydney offenbar eine Ursache gefunden.

Bisher wurde vermutet, dass bei den Babys ein Defekt im Weckmechanismus des Gehirns vorliegen könnte. Die These war, dass dieser Defekt verhindert, dass die Babys aufwachen, wenn sie zu atmen aufhören. Die Forscherin bestätigt nun dieses Prinzip - nur, dass es kein Defekt, sondern ein Enzym sei, das verhindere, dass die Säuglinge aufschrecken, wenn die Atmung aussetzt.

Mangel an Enzym BChE

Das Enzym heißt Butyrylcholinesterase (BChE). Es ist wichtig für die Kommunikation im Gehirn. Zu wenig BChE könne den Erregungsweg zwischen Atmung und Schlaf beeinflussen, so Forscherin Harrington. Das erkläre auch, warum der Plötzliche Kindstod im Schlaf auftrete.

Die Forscher haben Blutproben von mehr als 60 verstorbenen Säuglingen untersucht. Diese waren bei ihrem Tod zwischen einer Woche und zwei Jahren alt. Ihre Blutproben wurden dann mit Proben gesunder Babys verglichen. Dabei zeigte sich, dass die Aktivität des Enzyms BChE bei Babys, die an Plötzlichem Kindstod starben, deutlich niedriger war.

Test soll entwickelt werden

Die Forscher ziehen aus ihren Ergebnissen den Schluss, dass Babys mit einem Risiko für Plötzlichen Kindstod in Zukunft frühzeitig erkannt werden können. Dafür solle das Enzym BChE gemessen werden.

Das Forscherteam will nun einen Screening-Test entwickeln, um Risiko-Babys zu finden, die an dem angeborenen Enzymmangel leiden. Die Studie ist im Fachmagazin "The Lancet eBioMedicine" erschienen.

Allerdings betonen die australischen Forscher in ihrer Studie, dass der Plötzliche Kindstod immer mehrere Auslöser habe. Ein Enzymmangel alleine reiche nicht aus, zusätzlich spielten weitere Faktoren wie Auf-dem-Bauch-Schlafen oder Passivrauchen eine Rolle.

Kinderärzte-Verband: Noch kein Durchbruch

"Das ist eine sehr interessante Studie, die natürlich durch andere Untersuchungen erst noch bestätigt werden muss", sagte Jakob Maske, Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), am Dienstag dem WDR.

"Sollte sich das Fehlen dieses Enzyms tatsächlich als Ursache herausstellen, birgt dies natürlich hervorragende Möglichkeiten für eine Prävention." Man könne dann zum Beispiel die Enzym-Bestimmung mit in das übliche Neugeborenen-Screening aufzunehmen. "Voraussetzung dafür ist natürlich, dass man den Enzym-Mangel durch Ergänzung tatsächlich beheben kann."

BVKJ-Sprecher Maske schränkt aber ein: "Dies jetzt schon als Durchbruch zu bezeichnen, halte ich für verfrüht, bevor nicht eine unabhängige Bestätigung, die auch finanziell unabhängig ist, vorliegt."

Jährlich rund 150 Fälle von Plötzlichem Kindstod

Nach Angaben der "Gemeinsamen Elterninitiative Plötzlicher Säuglingstod Deutschland" ist die Zahl der Plötzlichen Kindstode in den vergangenen Jahrzehnten gesunken. Dies sei unter anderem auf Präventionsmaßnahmen zurückzuführen, etwa die Vermeidung der Bauchlage beim Schlafen.

Waren es noch in den 1990er-Jahren allein in NRW jährlich bis zu 900 Säuglinge, die in ihrem ersten Lebensjahr ohne erkennbaren medizinischen Grund plötzlich starben, seien es heute bundesweit nur noch rund 150, so die Elterninitiative.

Die meisten Fälle treten im Alter zwischen zwei und sechs Monaten auf. Später nimmt das Risiko stetig ab und sinkt bis zum zweiten Geburtstag auf null. Jungen sind etwas stärker gefährdet als Mädchen.

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