Marina Weisband

Panzer für die Ukraine? "Je mehr Unterstützung, desto kürzer wird der Krieg"

Stand: 13.09.2022, 15:39 Uhr

Publizistin und Politikerin Marina Weisband (Grüne) würde die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine begrüßen, sagt sie im Interview.

Marina Weisband ist Publizistin und Politikerin der Grünen. Sie kommt gebürtig aus der Ukraine.

WDR: Welche Stimmung in Ihrer alten Heimat nehmen Sie im Moment wahr?

Marina Weisband: Die Stimmung im Moment ist tatsächlich von Optimismus geprägt. Diese Offensive, die jetzt erstmal wieder langsamer werden wird, hat natürlich viel, viel verändert. Vor allem hat sie auch viel verändert an den Gesprächen, die die ukrainische Regierung mit den anderen Staaten führt. Plötzlich sind doch ganz andere Hilfsangebote möglich und das nimmt die Bevölkerung mit großer Hoffnung auf.

WDR: Geht das auch in Richtung Euphorie?

Weisband: Ich glaube, eine gewisse Euphorie ist zwar da, aber immer mit großer Vorsicht. Man weiß, es ist Krieg, man weiß, es wird noch Rückschläge geben. Jetzt ist es auch erstmal wieder vorbei damit, dass im Stundentakt Städte befreit werden. Man muss jetzt auch wieder konsolidieren, aber es stehen weitere Aktionen an. Auch im Bereich Cherson, was nochmal sehr, sehr wichtig und sehr kritisch wird.

WDR: Wenn Sie mit Ukrainerinnen und Ukrainern reden, die hierher geflohen sind, wächst da der Wunsch, schnell nach Hause zurückkehren zu können?

Weisband: Natürlich, also der Wunsch wächst nicht, der Wunsch ist jeden Tag da. Man beobachtet ganz, ganz aufmerksam das Geschehen, natürlich wollen die Leute nach Hause zurück. Man verlässt nicht aus Spaß seine Heimat. Es kann noch eine Weile dauern, darüber sind sich alle im Klaren, aber es hängt eben auch sehr stark von uns ab, von Deutschland.

"Natürlich wollen die Leute nach Hause zurück. Man verlässt nicht aus Spaß seine Heimat." Marina Weisband

WDR: Die ukrainische Führung um Präsident Selenskyj weiß, dass solche militärischen Offensiven enorme Mengen an Nachschub brauchen, Munition, neue Waffen, andere Waffen, mit denen der Offensivschwung erhalten werden kann. Schnelle Schützen- und Kampfpanzer zumal, und zwar von großer Qualität, wie sie der Westen insgesamt noch nicht geliefert hat. Es mehren sich jetzt auch hier in Deutschland, auch in den Parteien der Ampelkoalition, Stimmen, die zum Beispiel die Lieferung von "Leopard 2"-Panzern an die Ukraine fordern. Wie stehen Sie dazu?

Weisband: Das würde ich auf jeden Fall unterstützen. Je mehr Unterstützung die Ukraine jetzt im Moment bekommt, desto kürzer wird der Krieg. Russland muss einfach entschieden aus den Gebieten verdrängt werden. Putin darf bei dieser Invasion nichts gewinnen, ein Null an Territorium, denn nur so kann sichergestellt werden, dass keine weitere Invasion folgt.

Wir haben den Fehler einer zu schwachen Reaktion 2014 gemacht. Was daraus erwachsen ist, sehen wir jetzt. Wir können diesen Fehler entweder wiederholen oder wir sagen als internationale Staatengemeinschaft: Nein, ein anderer starker Staat darf keinen schwachen überfallen, wir stehen hier als eiserne Mauer und das schreckt natürlich alle Aggressoren ab und das sorgt langfristig für Frieden in Europa.

"Putin darf bei dieser Invasion nichts gewinnen, (...) nur so kann sichergestellt werden, dass keine weitere Invasion folgt." Marina Weisband

WDR: Stichwort Gemeinschaft - die offizielle Position der Bundesregierung lautet: keine Alleingänge. Bisher hat kein NATO-Staat westliche Kampfpanzer geliefert, also Deutschland auch nicht, was ja de facto heißt, solange die Führungsmacht USA es nicht tut, machen wir es auch nicht. Sie stimmen dieser Haltung ausdrücklich nicht zu?

Weisband: Es ist kein Alleingang. Die Ukraine wird von allen osteuropäischen Staaten schon lange mit allem unterstützt, was geht. Insofern: Es gibt einen Konsens, die Ukraine zu unterstützen. Natürlich kann und wird Deutschland auf die USA warten, aber es ist eigentlich affig. Für die USA steht dabei sehr viel weniger auf dem Spiel als für Europa.

Immerhin geht es um europäischen Frieden, es geht um das europäische Bündnis. Und unsere Bündnispartner sind schon lange sehr, sehr enttäuscht von uns. Man nimmt zur Kenntnis, dass Deutschland zwar hilft, aber nur als letztes und nur, wenn es gar nicht mehr anders geht und nur kreischend an den Füßen gezerrt.

WDR: Dass Deutschland aber in dieser Frage den ersten Schritt tut in der NATO, vor den USA, halten Sie das für realistisch?

Weisband: Für realistisch halte ich es nicht, aber ich hielte es für gut und angemessen.

WDR: Die SPD tut sich am schwersten in dieser Frage, der Parteivorsitzende Lars Klingbeil verweist auf den notwendigen Konsens innerhalb der NATO und schließt ergo nichts aus, aber das ist alles, und sein Generalsekretär Kevin Kühnert ergänzt, es bleibe dabei, dass Deutschland sich nicht schleichend in diesen Krieg hineinziehen lassen dürfe und Russland nicht animieren wolle, irrational zu handeln und womöglich noch woanders anzureihen. Verstehen Sie diesen Standpunkt?

Weisband: Überhaupt nicht. Also, es gibt keine guten Argumente gegen Waffenlieferungen, aber vor allem ist das ein explizit schlechtes und irres Argument, also zu sagen, dass wenn man Putin klare Konsequenzen aufzeigt, dass ihn das dazu treiben könnte, andere Staaten anzugreifen. Das Gegenteil ist doch der Fall, bisher haben wir Putin nur Dinge eingeräumt und das hat ihn in erster Linie dazu gebracht, diese ausgeweitete Invasion zu fahren.

Wir müssen im Gegenteil auf seine Aggression mit Härte und mit Werten reagieren,  mit der Einhaltung und Durchsetzung des Völkerrechts und mit einer Solidargemeinschaft. Nur das macht Europa stark. Und Putin hat ein Gangster-Mindset, er wird immer auf alle gehen, die schwächer wirken als er und jedes Eingeständnis ist für ihn kein Friedensangebot, sondern nur ein Zeichen von Schwäche.

Die SPD und auch andere Parteien, die lange an der Macht waren, sind nun mal durchsetzt mit Leuten, die in ihren Machtpositionen sind durch gute Kontakte zu Russland, die wollen das natürlich nicht verlieren. Aber davon dürfen wir uns jetzt nicht in eine internationale Isolation treiben lassen.

WDR: Diese Haltung, europäische Friedensordnung nur mit Russland, in der Tat alle seriösen demokratischen Parteien sind in den vergangenen Jahrzehnten dieser Überzeugung gefolgt und haben so gehandelt. Alle Bundesregierungen haben geglaubt, mit Beschwichtigungen und Verhandlungen seien Probleme zu lösen. Am meisten geglaubt wird es bis heute in den Parteien Die Linke und in der SPD. Verstehen Sie, dass es nach so vielen Jahrzehnten Zeit braucht für eine Zeitenwende in vielen Köpfen und auch Herzen?

Weisband: Wir haben diese Zeit nicht. Wir haben sie weder in der Klimakrise, noch in der Situation mit Russland. Wir müssen einfach jetzt auf Politiker:innen setzen, die die Situation rational betrachten können. Es ist auch nicht so, als seien jetzt alle überrascht davon, was für ein Mensch Putin ist.

Er hat Grozny 1999 dem Erdboden gleich gebombt. Er hat Georgien angegriffen, er hat Syrien angegriffen, er hat Kriegsverbrechen überall verübt. Er hat Teile der Ukraine annektiert und danach wurde Nord Stream 2 genehmigt, danach wurden deutsche Gasspeicher auch von der SPD an Russland verkauft und niemand sollte darüber überrascht sein.

Wir haben jetzt gerade keine Zeit für irrationale Herzenspolitik, die die Sowjetunion mit Russland verwechselt und sich einfach in einer romantischen Version dessen ergeht, was Russland ist und von wem es geführt wird.

Das Interview führte Thomas Scharf am 13.9.22 für das WDR 5-Morgenecho. Es wurde für die schriftliche Fassung sprachlich leicht bearbeitet.

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