Ein Schwimmbad-Besuch im vergangenen August wurde zum Ankerpunkt für eine Diskussion in Göttingen, Niedersachsen. Eine Frau, so schien es, war oberkörperfrei im Badeparadies Eiswiese unterwegs. Sie wurde zunächst von Schwimmgästen darauf angesprochen, dann vom Personal des Bades.
"Die haben lange mit der Dame diskutiert", erinnert sich Andreas Gruber. Er ist Geschäftsführer der Göttinger Sport und Freizeit GmbH. Die Dame, die da ihre Brust nicht bedeckte, ist Mina Berger. Nur: Berger sieht sich nicht als Frau - und hat sich dagegen gewehrt, als solche "gelesen zu werden".

Ab 1. Mai kann in Göttingen "oben ohne" geschwommen werden
Eine Situation mit vielen unterschiedlichen Standpunkten. Badegäste, die wollen, dass andere Badegäste ihre Brust bedecken. Berger indes sagt, dass es nicht sein kann, dass manche Brüste - die von Männern - gezeigt werden dürfen und andere nicht. Und das Personal des Schwimmbades, das auf eine bestehende Badeordnung verweist.

Mina Berger
Schlussendlich machte das Badeparadies von seinem Hausrecht Gebrauch - und verwies Berger des Schwimmbades. Fünf Monate Hausverbot inklusive. Der Vorfall wurde daraufhin öffentlich. Geschäftsführer Gruber erläutert, man habe die Öffentlichkeit dann in die Diskussion mit einbeziehen wollen. Der Fall landete vor dem Sportausschuss der Stadt.
Und der sprach sich nun für folgende Regelung aus: Vom 1. Mai an dürfen alle Badegäste ohne Oberkörperbekleidung schwimmen - allerdings nur am Wochenende. Die Regelung gelte für alle Schwimmbäder, die von der Göttinger Sport- und Freizeitgesellschaft betrieben werden, sagte ein Stadtsprecher am Mittwoch.
"Oben ohne" am Wochenende
Unter der Woche bleibt es aber beim Betrieb mit Oberteil. Für Mina Berger ist die neue Regelung daher nur ein Etappensieg. "Ein kleiner Schritt, dem viele weitere folgen müssen." Berger empfindet die Regelung als ein Signal, dass man ein Problem erkannt hat - sich aber nicht wirklich darum kümmern will. "Es wird vorgegaukelt, es gäbe Gleichberechtigung. Und gleichzeitig ist klar: An fünf von sieben Tagen sind wir nicht erwünscht. Und dürfen nicht so sein, wie wir sind, wie wir gerne baden möchten."

Andreas Gruber
Geschäftsführer Gruber betont indes, es gebe unter der Woche viele Institutionen, die im Badeparadies schwimmen gehen. Schulen beispielsweise wolle man nicht vorschreiben, "wie sie mit dem Schwimmsport umzugehen haben". Und im professionalen Schwimmsport gäbe es ja ohnehin andere Bekleidungsordnungen - dort müssten Schwimmanzüge getragen werden. Wenn "oben ohne" nur am Wochenende gilt, könne man vielleicht alle einbeziehen - auch die, die nicht "freischwimmen" wollen.
Mina Berger indes meint: Wenn beispielsweise Eltern nicht möchten, dass ihre Kinder Oberkörper sehen, dann müssten wir darüber sprechen, ob alle sich einen Bikini oder Badeanzug anziehen sollen. Berger will sich daher weiter dafür einsetzen, dass Gleichberechtigung jeden Tag stattfindet - und nicht nur am Wochenende.
Wenn Eltern nicht möchten, dass ihre Kinder Oberkörper sehen, dann müssen wir darüber sprechen, ob alle sich einen Bikini oder Badeanzug anziehen sollen. Mina Berger
"Oben oben"-Schwimmen in der Testphase

Joey Juschka
Auch Joey Juschka von der Bewegung "Gleiche Brust für alle" setzt sich dafür ein. Dabei gebe es eigentlich gar kein Problem, sagt Juschka. "Aber es wird zu einem gemacht. Dadurch, dass gesagt wird, dass es ganz schlimm ist, eine weibliche Brust zu sehen." Sie würde sofort mit Sex gleichgesetzt, zum Sexobjekt gemacht. Juschka wünscht sich einen "normaleren Umgang". Es sei diskriminierend, aufgrund eines Aspekts - der Brust - anders behandelt zu werden, zum Beispiel im Schwimmbad.
Geschäftsführer Andreas Gruber rechnet damit, dass das "Oben ohne"-Modell des Badeparadieses Eiswiese bald von anderen Bädern übernommen wird. Doch noch ist die Testphase nicht mal gestartet. Von Mai bis August will man die neue Regelung zunächst testen. Und dann öffentlich erfragen, wie das "Oben ohne"-Schwimmen ankommt.