9-Euro-Ticket: Anti-Werbung für Busse und Bahnen?

Stand: 20.05.2022, 13:35 Uhr

Am 1. Juni kommt das 9-Euro-Ticket für den ÖPNV auch in NRW. Als letzte Hürde hat am Freitag auch der Bundesrat zugestimmt. Sollte es noch mehr Fahrgäste in überfüllten Zügen im Sommer geben, könnte die Werbeaktion aber auch nach hinten losgehen.

Der Bundesrat stimmte dem vom Bundestag beschlossenen Finanzierungsgesetz für die Sonderaktion zu, die ab 1. Juni für drei Monate starten soll. Nach wiederholten Drohungen mit einem Nein im Bundesrat gab auch Bayern grünes Licht.

Das Ticket ist wie die auf den gleichen Zeitraum befristete Senkung der Energiesteuer auf Benzin und Diesel Teil des Entlastungspakets, das die Bundesregierung angesichts stark steigender Energie- und Lebensmittelpreise versprochen hatte. Mit dem 9-Euro-Ticket ist auch die Hoffnung verbunden, dass mehr Menschen vom Auto auf Bus und Bahn umsteigen.

Erfolgsversprechend wie das "Schöne-Wochenende-Ticket"

Bahn- und Busbetreiber sowie die Verkehrsverbünde stellen sich auf einen größeren Andrang von Fahrgästen ein. Gerechnet wird vor allem an Wochenenden mit vollen Zügen zu Ausflugszielen. Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) rechnet etwa mit bis zu drei Millionen neuen Nutzern, wenn am 1. Juni die 9-Euro-Tickets für 30 Tage starten.

"Dass bei diesem Angebot viele Leute in die Nahverkehrszüge strömen, ist sicher", sagte Lothar Ebbers, Sprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn NRW, am Freitag dem WDR. Er verweist auf die Erfahrungen bei der Einführung des "Schönes-Wochenende-Tickets" in den 90er-Jahren. Das gab es 24 Jahre lang bei der Bahn, bevor es vor ziemlich genau drei Jahren abgeschafft wurde. Ebbers geht davon aus, dass das 9-Euro-Ticket ähnlich erfolgreich wird.

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Mehr Fahrgäste - bei gleicher Taktung

In einzelnen Städten und Kreisen gibt es seit der Corona-Pandemie immer noch eingeschränkte Fahrpläne. Die Taktung wird während der drei Monate, in denen das 9-Euro-Ticket gelten soll, zumeist nicht kurzfristig erhöht, da es dafür zum Beispiel zu wenig Personal oder auch einfach nicht genug Busse gibt. "Es wird Engpässe zu bestimmten Zeiten und auf bestimmten Strecken geben", so Pro-Bahn-Sprecher Ebbers.

Dort, wo die Nachfrage ohnehin schon hoch sei, wie bei den schnellen RE-Linien mit langlaufenden Verbindungen sowie im Berufs- und Freizeitverkehr, drohten Kapazitätsengpässe, sagte eine Sprecherin des Zweckverbands Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL). Auch im Fall von Schienenersatzverkehr könnte es eng werden. Der VRR geht davon aus, dass insbesondere zu reizvollen Zielen mehr Menschen mit Bus und Bahnen fahren werden.

Besonders an Wochenenden und insbesondere auf Strecken zu touristisch attraktiven Regionen wird laut Pro Bahn die Nachfrage hoch sein - zum Beispiel ins Sauerland, also etwa auf der Linie RE 57 Dortmund-Winterberg, sowie auf langlaufenden Regional-Express-Linien wie Düsseldorf-Osnabrück, Wesel-Koblenz, Köln-Minden. Hier seien bereits heute die Kapazitäten zu Spitzenzeiten kaum ausreichend.

Worst-Case-Szenario: Das Ticket wird zur Anti-Werbung

Das 9-Euro-Ticket sollte auch so etwas wie eine Werbemaßnahme für Busse und Bahnen sein. Möglichst viele sollen vom Angebot des ÖPNV überzeugt werden und dann umsteigen. Besteht hier nicht ein Risiko, dass genau das Gegenteil eintritt? Also, dass Stammkunden von Massen an neuen Gästen genervt sind und die neuen Gäste von dem überfüllten und dadurch wohl auch verspäteten Bahn- und Busverkehr abgeschreckt werden?

Das WDR5 Stadtgespräch aus Wuppertal zu der Frage "Steckt NRW im Dauerstau fest?"

Lothar Ebbers, Pro Bahn NRW, hofft auf den langfristigen Erfolg der Aktion.

"Diese Gefahr besteht durchaus", sagt Ebbers. Man hoffe dennoch, dass mehr Kunden langfristig in die Bahn und den ÖPNV gelockt werden als jetzt durch diese Aktion vergrault werden. Er gehe davon aus, dass viele Züge Verspätungen haben werden und dadurch zahlreiche Anschlüsse nicht erreicht werden.

"Andererseits wird diese Aktion die Schwachstellen des heutigen SPNV und ÖPNV offenlegen. Wenn die Verkehrswende ernst gemeint ist, muss hier noch viel passieren, baulich und beim Angebot, damit der ÖV seine notwendigen Aufgabe beim Klimaschutz erfüllen kann." Lothar Ebbers, Sprecher Pro Bahn NRW

Langfristig brauchen Busse und Bahnen mehr Geld

Der Bund gibt für das 9-Euro-Ticket etwa 2,5 Milliarden Euro. Das Geld ist als Ausgleich für die fehlenden Ticket-Einnahmen der Verbünde und der Bahn gedacht. Nicht für mehr Busse und Bahnen, für das Liniennetz oder mehr Personal. Das wurde am Freitag bereits vom Städte- und Gemeindebund kritisiert: Das Geld hätte besser investiert werden können.

"Wir stimmen einhellig zu", so auch Lothar Ebbers zum WDR. Die gestiegenen Energie-, Bau- und Ersatzteilkosten müssten ausgeglichen werden.

"Wenn Bund und Länder hier nicht nachschießen, bekommen wir im Herbst eine Diskussion über überproportionale Tarifsteigerungen und/oder Angebotsreduzierungen bei Bus und Bahn. Das wäre eine Katastrophe." Lother Ebbers, Sprecher Pro Bahn NRW