9-Euro-Ticket: Wirklich eine gute Idee?

Stand: 04.05.2022, 19:28 Uhr

Seit Mittwoch beraten die Verkehrsminister der Länder über das 9-Euro-Ticket, das ab Juni drei Monate lang im deutschen Nahverkehr gelten soll. Tolle Werbung für den ÖPNV? Oder Fehlplanung?

Die Ziele sind hoch gesteckt: "Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger angesichts der stark gestiegenen Energiekosten mit einem deutlich verbilligten ÖPNV-Ticket unmittelbar entlasten", sagt Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Der günstige Fahrschein für den gesamten deutschen Nahverkehr soll von Juni bis einschließlich August gelten und "Anreize zum Energiesparen setzen und die Nutzung des ÖPNV langfristig attraktiver machen", so der FDP-Politiker.

Ob das Ticket wirklich auf lange Sicht die Attraktivität des Nahverkehrs steigern kann - daran gibt es noch Zweifel. Das Ticket sei zwar eine "Riesenchance", betont Jens Schwarz, Vorsitzender des Konzernbetriebsrates der Deutschen Bahn. Allerdings fürchtet er auch, dass die Infrastruktur der Bahn auf einen Ansturm neuer Kunden nicht vorbereitet ist.

Chaos auf Bahnsteigen

Schwarz erinnert sich noch gut an das Jahr 1995, als die Bahn mit dem "Schönes-Wochenende-Ticket" um neue Kunden warb. Für nur 15 Mark konnte man damals mit bis zu fünf Reisenden in Regionalzügen quer durch Deutschland fahren. Das Angebot war ein Riesenerfolg - mit Folgen: Auf beliebten Strecken waren die Züge heillos überfüllt, manchmal mussten Hunderte Passagiere auf den Bahnsteigen zurückbleiben. Anderswo konnten die Züge wegen des Gedränges auf den Bahnsteigen nicht rechtzeitig abfahren - die gut gemeinte Aktion ging nach hinten los.

Arbeitnehmervertreter der Bahn befürchten ab Juni ganz ähnliche Bilder. Überall, wo Züge in die Berge oder ans Meer fahren, könne es Probleme geben: Bahnsteige seien zu kurz für längere Züge, eingleisige Verbindungen duldeten oft keine zusätzlichen Fahrten und an kleinen Bahnhöfen fehle Personal, das für die Sicherheit sorgen könnte.

Städtetag verlangt hohe Investitionen

Aber selbst wenn es Bahn und die regionalen Verkehrsunternehmen schaffen, für ausreichende Kapazitäten zu sorgen - ob eine dreimonatige Rabattaktion wirklich die Attraktivität von Bus und Bahn langfristig steigern kann, das glaubt nicht jeder. "Wir brauchen einen attraktiven, gut ausgebauten und vernetzten ÖPNV, um die Klimaziele zu erreichen", sagt zum Beispiel Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags. Das könne man nicht kurzfristig erreichen, dafür brauche es Zeit und sehr große Investitionen.

Ticket nur für Stadt-Bewohner interessant?

Das sieht Michael Stang aus dem WDR-Quarks-Team ähnlich. Günstige Ticketpreise seien zwar ein wichtiger Anreiz, öfter das Auto stehen zu lassen. Aber auf lange Sicht müsse nicht nur der Preis, sondern auch der Service stimmen. "Schlechte Takte, umständliches Umsteigen, lange Fahrzeiten, zu wenig Komfort" - das sei leider für Millionen Bahnkunden immer noch Alltag. Hinzu käme, dass vor allem Menschen in urbanen Zentren von dem 9-Euro-Ticket profitieren werden: "Wenn ich auf dem Land wohne und der Bus kommt nur zwei Mal am Tag, dann ist das nicht attraktiv."

Wirkung könne man vor allem mit langfristigen Angeboten erzielen, meint Stang und verweist auf ein erfolgreiches Projekt in Hessen. Dort wird Schülern und Azubis seit 2017 ein Ticket angeboten, mit dem sie für 365 Euro im Jahr im ganzen Land Busse und Regionalbahnen nutzen können. Inzwischen nutzten mehr als die Hälfte der Zielgruppe das Angebot. Wer schon in jungen Jahren viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sei, der bleibe auch oft dabei.

Über dieses Thema berichten wir auch am Mittwoch, ab 18.45 Uhr in der "Aktuellen Stunde" im WDR-Fernsehen.

Weitere Themen