Meine Treffen mit Margot Friedländer

Aktuelle Stunde 10.05.2025 24:51 Min. UT Verfügbar bis 10.05.2027 WDR Von Alexa Schulz

Erinnerungen an Margot Friedländer: "Sie hatte eine Wahnsinnskraft"

Stand: 10.05.2025, 16:42 Uhr

Margot Friedländers Tod löst tiefe Trauer aus. WDR-Reporterin Alexa Schulz hat sie mehrmals getroffen. Das sind ihre Erinnerungen.

Einen Tag nach den Feierlichkeiten zu 80 Jahre Weltkriegsende ist Margot Friedländer am Freitag in Berlin gestorben. Die Holocaust-Überlebende ist 103 Jahre alt geworden. Unermüdlich hat sie sich bis zuletzt gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung eingesetzt.

Die WDR-Reporterin Alexa Schulz hat mehrfach mit Margot Friedländer gesprochen. Sie erzählt im WDR-Interview, was sie dabei erlebt und welchen persönlichen Eindruck sie von Margot Friedländer bekommen hat.

WDR: Im November 2023 - zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht - hast du Margot Friedländer zum ersten Mal getroffen. Dein letztes Treffen mit ihr war vor einem Monat. Wie erinnerst du dich an diese Begegnungen?

Alexa Schulz: Was mich immer tief beeindruckt hat, war diese Kraft, die sie ausgestrahlt hat. Das war eine Person, die ganz klein und zart war. Ich bin ja schon nicht groß mit meinen 1,63 Meter und sie ging mir gerade mal bis zur Schulter. Sie war zwar ganz schmal und zierlich. Aber sie war in jedem Raum immer unheimlich präsent.

Margot Friedländer im Interview mit WDR-Reporterin Alexa Schulz

"Ihre Augen waren immer ganz wach"

Man hat gemerkt: Von dieser Frau geht eine enorme Kraft aus, auch von ihren Augen. Ihr Körper wurde zwar jedes Mal schwächer, das konnte ich schon sehen. Beim letzten Treffen im April war sie noch mal deutlich schwächer als beim ersten Mal. Aber ihre Augen waren immer ganz wach. Und sie hat immer auf den Punkt geantwortet. Ihr wacher Verstand war deutlich zu spüren, zu hören und zu sehen.

WDR: Margot Friedländer war bei Eurem letzten Treffen bereits 103 Jahre alt. Wie hast du sie da erlebt?

Schulz: Voller Energie! Sie war unheimlich aktiv, obwohl sie körperlich schon sehr schwach war. Sie ist damals von Berlin nach Münster zur Verleihung des Friedenspreises gekommen. Sie war sechs Stunden im Auto unterwegs, weil sie nicht mehr fliegen durfte. Der Bundespräsident hat ihr angeboten, sie im Flugzeug mitzunehmen. Aber das ging nicht mehr, weil Fliegen für ihren schwachen Körper zu gefährlich war.

WDR-Reporterin Alexa Schulze im Interview mit Margot Friedländer

WDR-Reporterin Alexa Schulze im Gespräch mit Margot Friedländer

Trotz dieser langen Autofahrt hat sie sich von mir interviewen lassen, hat danach den Friedenspreis in Empfang genommen und ist abends sogar noch zum Presseball gefahren. Die Frau hatte eine Wahnsinnskraft! Ihr Arzt, der sie immer begleitet hat, erzählte mir, dass er mit Anfang 60 kaum schaffe, was sie so an Pensum hat. Als er abends schon in den Seilen hing, hat sie immer noch gefragt: "So, was machen wir jetzt noch?"

WDR: Als gestern bei der Verleihung des deutschen Filmpreises der Tod von Margot Friedländer bekannt gegeben wurde, gab es im Publikum viele Tränen. Warum war sie eine so beeindruckende Zeitzeugin?

Schulz: Sie hat es geschafft, mit sehr viel Emotion und sehr viel Liebe die Leute mitzunehmen. Trotz ihrer schrecklichen Erfahrungen im Nationalsozialismus hat sie mit ihrem unbedingten Willen immer wieder zur Versöhnung angeregt. Das war ihre große Mission. Diese große Liebe war immer spürbar, in jedem Gespräch mit ihr.

Laudatio zum Tod von Margot Friedländer beim Deutschen Filmpreis | Kurzvideo

01:20 Min. Verfügbar bis 10.05.2027

Ich glaube, das ist etwas, was die Leute einfach auch sehr berührt hat. Außerdem konnte sie die Zeit von damals so sehr ins Jetzt ziehen. 80 Jahre Kriegsende, krisselige Schwarz-Weiß-Bilder - das alles wirkt wahnsinnig weit weg. Und sie hat es mit ihrer Stimme und ihrem lebendigen Erzählen zu uns in die Gegenwart geholt. Das ist für unsere Erinnerungskultur sehr wichtig.

WDR: Was bleibt dir persönlich von Margot Friedländer in Erinnerung?

Schulz: Das ist die Frage, die mich zurzeit sehr beschäftigt. Als ich gestern von ihrem Tod erfahren habe, ist mir das wahnsinnig nah gegangen. Nach unserem letzten Wiedersehen habe ich gewusst: Das war wahrscheinlich unser letztes Treffen.

Was mir bleibt, ist ihre leise Stimme, die manchmal nur ein Flüstern war, die aber so eine Wucht hatte mit ihren Aussagen. Sie hat ganz zum Schluss von unserem letzten Gespräch meine Hände genommen und ganz fest gedrückt. Mit ihren kleinen, zarten, sehr warmen Händen.

Sie hatte noch eine erstaunliche Kraft in den Händen und hat diesen Satz gesagt, den sie ja immer gesagt hat und der symbolisch für ihre Mission geworden ist: "Seid Menschen." Ich habe ihr geantwortet: "Das werden wir uns zu Herzen nehmen." Daran werde ich mich, denke ich, mein Leben lang zurück erinnern.

Das Interview führte Dominik Reinle.

Kommentare zum Thema

4 Kommentare

  • 4 Brianna Harer 11.05.2025, 12:50 Uhr

    Fangt an MENSCHEN zu sein ........ mehr muss man nicht sagen .

  • 3 Brigitta S. 11.05.2025, 11:28 Uhr

    „Seid Menschen“. Diese zwei Worte sagen, lasst das Böse in Euch nicht den Vortritt. Jede Vernunft im Leben hat die Hoffnung, dass die Welt besser miteinander umgeht. Zum Glauben der Hoffnung gehören jedoch gute Taten. „Der Zweifel ist's, der Gutes böse macht.“ Zitat Johann Wolfgang von Goethe. Davon ist im 21. Jahrhundert unfassbar viel vorhanden. Wir haben einen Menschen verloren, der viel vom erlebten Bösen zu erzählen hatte, wobei Menschen unter uns es gibt, die ihr nicht zuhörten. Sie hatte die Kraft uns das Böse vor Augen zu halten. Ruhe in Frieden Margot Friedländer.

  • 2 Franziska 1 10.05.2025, 23:03 Uhr

    Ich kann zu den Worten im Artikel, für die starke Frau Margot Friedländer nur Danke sagen. Ihre Worte: " Seid Menschen", sollte sich jeder - jeden Tag mit ins Gebet nehmen. Ob sich alle Menschen es sich ans Herz legen? Wir trauern um eine tapfere Frau, die niemals die Welt vergessen darf. Ich danke Frau Margot Friedländer, für ihre Kraft und das sie noch lange uns ihre Botschaft brachte.

  • 1 Gandalf 10.05.2025, 23:02 Uhr

    Es ist einfach sehr bedauerlich, daß die Angehörigen dieser Generation nun allmählich von uns gehen. Aber wir können es halt nicht verhindern, das ist nun mal der Lauf der Zeit. Es ist jetzt eindringliche Aufgabe von uns Nachfolgenden, immer wieder anhaltend an die fürchterlichen Gräueltaten der Nazidiktatur zu erinnern und den kommenden Generationen deutlich zu machen, immer, überall und jederzeit Mensch zu bleiben ! Wir sollten ihr diesbezügliches Erbe in einiger Ehrfurcht antreten...