Warum Mehl und Butter nicht knapp, Lebensmittel aber teurer werden
Stand: 22.04.2022, 06:00 Uhr
Leere Supermarkt-Regale treiben die Sorge vor Engpässen an. Dabei ist die Versorgung mit Lebensmitteln trotz des Kriegs in der Ukraine sicher. Fakt ist aber auch: Für den Euro gibt es immer weniger Butter.
Von Timo Landenberger
"Nur eine Packung Mehl pro Haushalt." Solche Hinweise finden sich aktuell in etlichen Supermärkten. Sonnenblumenöl ist teils gar nicht zu bekommen. Die Situation weckt Erinnerungen. Keine zwei Jahre ist es her, dass nach Ausbruch der Corona-Pandemie Engpässe befürchtet wurden. Die Menschen füllten ihre Vorratskammern, doch die Sorgen waren damals unbegründet. Und heute?
Mit dem Krieg gegen die Ukraine rückt die Frage der Ernährungssicherung erneut in den Fokus. Das Land gilt als "Kornkammer" Europas. Getreide, Sonnenblumenöl oder auch Tierfutter werden von dort in die ganze Welt exportiert. Derweil beteuern die Verantwortlichen aus Wirtschaft und Politik schon beinahe gebetsmühlenartig: "Die Lebensmittelversorgung in Deutschland ist gesichert." Wie passt das zusammen?
Selbstversorger Europa?
Ende März hat die Europäische Kommission klargestellt, dass die EU bei der Produktion von Nahrungsmitteln weitgehend autark ist. Tatsächlich gehört ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad zu den wichtigsten Zielen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Dadurch ist die Staatengemeinschaft sogar einer der Hauptexporteure von Weizen und Gerste und kann auch den Verbrauch an anderen Grundnahrungsmitteln wie Mais oder Zucker selbst decken. Bei tierischen Lebensmitteln wie Fleisch oder Milchprodukten kann sich die EU ebenfalls selbst versorgen - mit Ausnahme von Meeresfrüchten.
"Die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in der EU ist derzeit nicht gefährdet." Europäische Kommission, Mitteilung vom 23.03.2022
Gleiches gelte für Deutschland, betonte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) mehrfach. Zahlen des Ministeriums belegen: Die heimische Landwirtschaft erzeugt etwa genau so viel Getreide, wie in Deutschland verbraucht wird. Bei Kartoffeln sind es sogar 45 Prozent mehr, bei Schweinefleisch, Milch und Käse jeweils etwa 20 Prozent.
Beim Gemüse und vor allem Obst hingegen muss der Bedarf zum Großteil durch Importe aus dem Ausland gedeckt werden. Wichtigste Lieferländer sind Spanien, Belgien, die Niederlande, Frankreich und Italien.
Um die Ernährung sicherzustellen, ist Deutschland also nicht auf Importe aus der Ukraine oder Russland angewiesen. Auch etliche Supermarktketten, darunter Aldi Süd, Kaufland, Edeka und Rewe beteuern: Durch vielfältige Lieferquellen sei man abgesichert.
Engpässe beim Sonnenblumenöl
Eine Ausnahme: Sonnenblumenöl. Aus der Ukraine kommt rund die Hälfte der weltweiten Exporte. Deutschland importiert mehr als 90 Prozent seines Bedarfs. Hier gebe es tatsächlich einen kurzfristigen Engpass, bestätigt der Verband Ölsaatenverarbeitender Industrie. Aber: es gebe ausreichend andere Ölsorten und mittelfristig werde man auf anderen Wegen an Sonnenblumenöl kommen.

Sonnenblumenöl könnte tatsächlich knapp werden.
Große Vorräte anzulegen sei in der gegenwärtigen Situation also weder notwendig noch sinnvoll, stellte der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels klar und appellierte bereits an die Verbraucher, nur in haushaltsüblichen Mengen einzukaufen. Auf diese Größenordnung sei die Lieferkette ausgerichtet.
Lebensmittelpreise steigen enorm
Doch auch, wenn die Lebensmittelversorgung sicher ist, steigen die Preise teils enorm. Mehrmals innerhalb weniger Wochen hat der Discounter Aldi die Preise angezogen - um bis zu 30 Prozent. Andere Ketten ziehen nach, denn Aldi gilt in der Branche als Preisführer.

Lebensmittel- und Energiepreise hängen eng zusammen
Einer der Gründe für die hohen Kosten für Nahrungsmittel liegt in der Energiepreiskrise, die durch den Krieg in der Ukraine noch einmal deutlich verschärft wurde. Denn bis heute ist Deutschlands Energieversorgung stark abhängig von russischem Gas. Das führt zu hohen Stromkosten - auch, weil Gas nach wie vor in NRW rund 21 Prozent des Strommixes ausmacht. Der hohe Strompreis wiederum verteuert den Betrieb von Treibhäusern, Molkereien oder Ställen ebenso wie von Mühlen oder Bäckereien.
Landwirtschaft: Hoher Gaspreis auf den Getreidefeldern spürbar
Noch unmittelbarerer sind die Auswirkungen auf die Landwirtschaft: Durch den extrem hohen Gaspreis sind die Kosten für mineralischen Dünger um ein Vielfaches im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Denn Gas ist nicht nur als Energiequelle, sondern auch als Rohstoff wichtig für die Herstellung von Stickstoffdünger.
"Bislang habe ich immer mit rund 300 Euro pro Tonne Dünger rechnen müssen. Jetzt sind es schon 1.000 Euro." Thomas Decker, Ackerbauer
Der Ackerbauer Thomas Decker bewirtschaftet eine etwa 250 Hektar große Fläche bei Pulheim in der Nähe von Köln. Ein Drittel davon ist Getreide, hauptsächlich Weizen. Auch der Preissprung beim Diesel macht dem Landwirt zu schaffen, auch wenn die Entwicklung weniger extrem sei. "Eine Tankfüllung beim Traktor umfasst etwa 300 Liter und kostet momentan rund 150 Euro mehr als vor wenigen Monaten. Das merkt man dann schon."
Da hilft es nur bedingt, dass sich auch der Weizenpreis auf einem rekordverdächtigen Niveau befindet. Denn die Mehreinnahmen, die der Landwirt dadurch generiert, werden durch die hohen Kosten wieder aufgefressen.
Weizenpreis mehr als verdoppelt
Auf den Weizenpreis selbst hat Decker keinen Einfluss. Auch wenn er sein Getreide letztlich an eine Mühle in Neuss und damit in der Nachbarschaft verkauft, blickt er zunächst auf die Warenterminbörse in Paris, wo der Preis für Weizen infolge des Kriegs in der Ukraine erstmals auf über 400 Euro pro Tonne kletterte. Im Sommer vergangenen Jahres lag er noch bei unter 200 Euro. Denn der Preis bildet Angebot und Nachfrage auf dem Weltmarkt ab.
Auf die Versorgungslage in Deutschland und Europa hat die Preisspirale keine unmittelbaren Auswirkungen. Aber: Durch die steigenden Produktionskosten für Lebensmittel steigen eben die Preise im Supermarkt.
Besserung in Sicht? Politik will Preise senken
Mit ihrem Energiepaket und einer Verringerung der Steuern und Abgaben will die Bundesregierung für Entlastung sorgen. So soll die Energiesteuer auf Kraftstoffe gesenkt, die EEG-Umlage bereits zum 1. Juli gestrichen werden.
Weitere Möglichkeiten skizzierte die Europäische Kommission: Demnach sollen 500 Millionen Euro Finanzhilfen an die Bauern ausbezahlt werden. Davon 60 Millionen nach Deutschland. Außerdem sollten EU-Staaten die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und Energie senken, um Verbraucher zu entlasten, so die Kommission.