Was lief da schief? Faeser sagt zum Anschlag in Solingen aus
Aktuelle Stunde . 09.05.2025. 13:46 Min.. UT. Verfügbar bis 09.05.2027. WDR. Von Bernd Neuhaus.
Solinger Terror-Anschlag: Faeser sieht keine Versäumnisse beim BAMF
Stand: 09.05.2025, 17:00 Uhr
Der Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Solingen vernahm Ex-Bundesinnenministerin Faeser als Zeugin. Sie wehrte sich gegen Vorwürfe.
Von Rainer Striewski
Eigentlich sind Ton- und Videoaufnahmen in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss strengstens verboten. Für diese Sitzung am Freitagmorgen wurde jedoch eine Ausnahme gemacht, denn es gab eine prominente Zeugin: "Nancy Faeser, Rechtsanwältin", stellte sie sich zu Beginn der Sitzung vor. Und das Interesse an dem, was ihrer Vorstellung folgen sollte, war vorab schon so groß, dass die Sitzung in einen zweiten Raum des Landtags übertragen werden musste. Beide Säle waren gut gefüllt, die Spannung entsprechend groß.
Ausschuss im Landtag untersucht Umstände
Faeser war als Zeugin in den Landtags-Untersuchungsausschuss zum Terror-Anschlag von Solingen geladen worden - natürlich nicht als Rechtsanwältin, sondern in ihrer früheren Funktion als Bundesinnenministerin.
Der Ausschuss will mögliche Versäumnisse und Fehler der Landesregierung untersuchen, aber auch strukturelle Defizite bei Abschiebungen und Rückführungen in andere EU-Länder unter die Lupe nehmen.
Drei Menschen gestorben, viele verletzt

Trauer in Solingen nach dem Anschlag
Bei dem Anschlag am 23. August 2024 hatte ein Messer-Angreifer auf dem "Festival der Vielfalt" zur 650-Jahr-Feier der Stadt drei Besucher erstochen und mehrere verletzt. Mutmaßlicher islamistischer Attentäter ist ein 27-jähriger Syrer, der seither in Untersuchungshaft sitzt.
In ihrem Eingangsstatement sprach Faeser den Opfern und Angehörigen des Anschlags noch einmal ihr Beileid aus. Für viele Menschen wäre nach der Tat nichts mehr so gewesen, wie es vorher war. Die Bundesregierung habe sich nach dem Anschlag "in Rekordzeit" auf ein Sicherheitspaket mit weitreichenden Maßnahmen verständigt, erklärte Faeser weiter.
Faeser: "Hat keine Verfahrensfehler gegeben"
Zudem betonte sie im Ausschuss mehrfach, dass es beim Asylverfahren des mutmaßlichen Täters Issa Al H. keine Versäumnisse beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gegeben habe. "Anhand der vorliegenden Informationen sind keine Verfahrensfehler beim BAMF ersichtlich", erklärte sie.
Den Sicherheitsbehörden nicht bekannt
Sie stellte klar, dass der Tatverdächtige vor der Tat beim Sicherheitsreferat des BAMF sowie beim Verfassungsschutz völlig unbekannt gewesen sei. "Die Asyl-Vita zeigt keine Unregelmäßigkeiten", so Faeser. Auch dem Bundeskriminalamt hätten keine allgemeinen polizeilichen oder staatsschutzrelevanten Erkenntnisse zu Issa Al H. vorgelegen.
Auf wiederholte Nachfragen der Abgeordneten, ob Issa Al H. den Mitarbeitern im BAMF bei der Einreise und im späteren Asylverfahren überhaupt als Sicherheitsrisiko hätte auffallen können, betonte Faeser mehrfach, dass es gar nicht die Aufgabe der Mitarbeiter sei, die Sicherheitsrelevanz zu prüfen. Neben "Das ist nicht deren Aufgabe" gehörten auch Sätze wie "Dazu kann ich mich nicht äußern" oder "Das gehört nicht zum Untersuchungsauftrag" zum Repertoire der ehemaligen Innenministerin.
Kritik kam von ihr auch an der Umsetzung des sogenannten "Dublin-III-Verordnung". Das Verfahren regelt, welcher EU-Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Der Asylsuchende sollte dann in dieses Land überstellt werden. "Manche Länder stimmen dann zu, machen aber nichts mehr, wenn es um die konkreten Anfragen geht", so Faeser.
"Das ist eines der größten Ärgernisse von Dublin III." Nancy Faeser, ehem. Bundesinnenministerin
Im Fall von Issa Al H. wäre Bulgarien zuständig gewesen, weil er über dieses Land nach Deutschland eingereist ist. Eine bereits geplante Rücküberstellung des Mannes im Juni 2023 scheiterte aber, obwohl Bulgarien der Überstellung bereits zugestimmt hatte. Issa Al H. war am Morgen der geplanten Abschiebung nicht in seinem Zimmer.
Weil die Behörden danach keine weiteren Versuche unternahmen, verstrich die vorgesehene sechsmonatige Frist für die Überstellung im August 2023 ungenutzt - und Deutschland wurde formal für ihn zuständig. Am Tag des Anschlags lebte Issa Al H. deshalb als anerkannter Bürgerkriegsflüchtling in seiner späteren Unterkunft in Solingen.
NRW-Flüchtlingsministerin weiter unter Druck
Faeser betonte im Ausschuss, dass die NRW-Behörden sich bewusst dagegen entschieden hatten, Issa al H. seinen Abschiebetermin anzukündigen. Eine Entscheidung mit Folgen: Denn deshalb galt er trotz seiner Abwesenheit offiziell nicht als flüchtig. Anders wäre es bei einer angekündigten Abschiebung gewesen. Dann hätte sich die Frist für eine Überstellung nach Bulgarien automatisch um weitere zwölf Monate verlängert: "Das sind Dinge, die in solchen Fällen hilfreich sein können", sagte Faeser.

NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul in der Kritik
Seit der misslungen Rücküberstellung steht die NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) deshalb unter Druck. Sie war zudem auch erst vier Tage nach dem Anschlag erstmals vor die Kamera getreten, während Nancy Faeser bereits am Tag nach dem Anschlag zusammen mit NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) Solingen besucht hatte.
Auf die Frage, ob Josefine Paul am Wochenende des Anschlags Kontakt zu ihr aufgenommen hatte, antwortete Faeser im Ausschuss mit "Nein." Mehr noch: Sie habe auch danach mit Paul "über den konkreten Fall nie geredet", führte Faeser aus.
Regierungsfraktionen nehmem Paul in Schutz
Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen sehen dagegen auch bei Faeser Angriffspunkte: "Als oberste Dienstherrin hätte Nancy Faeser heute erklären müssen, warum die Dublin-Regelungen nicht verbessert worden sind. Sie hingegen schob die Verantwortung auf die Länder ab", kritisierte Fabian Schrumpf (CDU) die Aussagen Faesers. Die ehemalige Bundesinnenministerin trage für zentrale Versäumnisse politisch die Verantwortung, so Schrumpf.
Die Grünen nahmen ihre Fluchtministerin Paul in Schutz: "Es ist absurd, dass die Opposition weiter versucht, die Probleme bei den Rücküberstellungen bei der NRW-Landesregierung abzuladen, obwohl allein der Bund die Verhandlungen mit den aufnehmenden EU-Mitgliedstaaten führt", so Laura Postma (Grüne).
Prozessbeginn Ende Mai
Der Prozess um den Terror-Anschlag startet am 27.Mai vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht. Dem Angeklagten wird dabei dreifacher Mord und zehnfacher versuchter Mord vorgeworfen. Er soll der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) die Treue geschworen haben und damit ihr Mitglied geworden sein.
Der Angeklagte habe sich zu den Tatvorwürfen bislang nicht geäußert, sagte eine Gerichtssprecherin. Er sei von einem Sachverständigen psychiatrisch begutachtet und für schuldfähig befunden worden.
Über das Thema berichten wir am Freitag (09.05.) in den Hörfunknachrichten, in der WDR 5-Sendung Westblick ab 17.04 Uhr und in der Aktuellen Stunde im WDR Fernsehen.
Unsere Quellen:
- Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses
- Statement von Fabian Schrumpf (CDU)
- Statement von Lauta Postma (Grüne)
- Landtag NRW
- Nachrichtenagentur dpa
- eigene Recherchen