Schulministerin: Coronakrise nicht zur Bildungskrise machen

Stand: 23.06.2020, 15:28 Uhr

  • Nach den Sommerferien wieder normaler Schulunterricht
  • Schulministerin Gebauer erläuterte den Fahrplan
  • Viele Fragen bleiben aber noch offen

Von Nina Magoley

Für etliche Schülerinnen und Schüler in NRW war die Freude über das Wiedersehen mit Klassenkameraden nur von kurzer Dauer: In mehreren Orten - darunter Wuppertal und zuletzt Dortmund - haben Schulen nur wenige Tage nach der Öffnung wieder schließen müssen, weil es neue Infektionen unter Schülern und Lehrern gegeben hatte. Wochenlang hatten tausende Schüler in NRW zuvor so gut wie keinen Schulunterricht bekommen.

Dennoch zeigt sich Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) zuversichtlich, dass nach den Sommerferien der Unterricht an allen Schulen "so normal, wie möglich" wieder starten kann. Das sagte sie am Dienstag (23.06.2020) in einem Pressestatement. Unterrichtet werde dann in festen Klassenverbänden und Lerngruppen, ohne Abstandsregeln. Lehrer seien dazu verpflichtet, alle Teilnehmer regelmäßig zu dokumentieren. Auf den Fluren und Pausenhöfen dagegen soll ein Mundschutzgebot gelten.

"Wachsam bleiben"

Gleichzeitig solle das "Lernen auf Distanz" aber eine "sichere Maßnahme" bleiben. Im Verlauf der Woche wolle sie genaueere Pläne dazu bekannt geben, kündigte Gebauer an. Die erneuten Corona-Einschränkungen in Gütersloh hätten gezeigt, dass die Pandemie Realität bleibe. Man müsse "wachsam sein", aber "verhindern, dass die Coronakrise zur Bildungskrise wird".

Für das kommende Schuljahr wolle die Landesregierung "alles tun", um faire Bedingungen für alle Schüler zu schaffen. Die Zentralen Prüfungen der 10er-Jahrgänge sollen so terminiert werden, dass ihnen zusätzliche eineinhalb Wochen Unterricht vorangehen, Abiturienten des nächsten Schuljahrens werden neun zusätzliche Unterrichtstage haben. Die Abiprüfungen 2021 seien für den 23. April festgelegt worden.

"Nie dagewesenes Ferienprogramm"

Um die entfallenen Lehrstunden teilweise zu kompensieren und Eltern zu entlasten, kündigte Gebauer ein "nie dagewesenes Ferienprogramm" an. An 15 Werktagen in Folge sollen Schüler der ersten bis zur achten Klasse täglich sechs Stunden Ferienangebote erhalten, die das sprachliche, motorische und soziale Lernen fördern. Auch das Mittagessen soll übernommen werden. Insgesamt stellt das Land laut Schulministerin dafür 75 Millionen Euro zur Verfügung.

Neue Lehrkräfte gesucht

Lehrkräfte, die zur Risikogruppe gehören, waren bislang teils für den Unterricht ausgefallen. Ihr Anteil scheint aber, den Angaben der Ministerin zufolge, mittlerweile gering: Die wöchentliche Abfrage bei den Schulen habe zuletzt eine "Dienstfähigkeit" von knapp 85 Prozent ergeben, sagte Gebauer. Dennoch müssen für die erforderlichen Unterrichtskonzepte in der Pandemie zusätzliche Lehrkräfte engagiert werden. Das soll gelingen, indem die ohnehin für den G9-Bedarf eingestellten Gymnasiallehrer zunächst auch in andere Schulformen "teilabgeordnet" werden.

Bezüglich der bisherigen Schulpolitik während der Coronakrise zog die Schulministerin eine zufriedene Bilanz: 90.000 Schüler hätten erfolgreich ihr Abitur abgelegt, darunter habe es gerade mal fünf Covid19-Verdachtsfälle gegeben, von denen sich nur drei bestätigt hätten. Dennoch gestehe sie auch "den einen oder anderen Fehler" ein.

Schulministerium beständig in der Kritik

Nicht nur die Opposition im Landtag, auch Lehrer- und Elternverbände hatten in den vergangenen Wochen ein Wirrwarr um ständig neue und widersprüchliche Vorgaben des Ministeriums zum Thema Schulöffnung beklagt. Auch nach der Wiedereröffnung der Grundschulen am Montag vergangener Woche (15.06.2020) hatte es massiv Kritik gegeben. Schulen hätten viel zu wenig Vorbereitungszeit gehabt, bemängelten SPD und Grüne. An den Ganztagsschulen würden Kinder zudem im Laufe des Tages in unterschiedlichen Gruppen betreut, was einen Infektionsschutz fraglich mache.

Der neue Plan des Ministeriums enthalte einige Regelungen, die die Schulen dringend "und eigentlich viel früher" gebraucht hätten, bilanziert Maike Finnern, Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW NRW. Dennoch fehle ihr der "Plan B" - vor allem angesichts der neuen Erfahrungen in Gütersloh. Es fehlten Handreichungen, wie genau Schulen vorgehen sollen, die wegen eines neune Infektionsausbruchs geschlossen werden müssen.

In einer aktuellen "Schulmail" informiert das Ministerium darüber, wie Schulleitungen vorgehen sollen, wenn an ihrer Schule ein Corona-Fall auftritt. Ein genauer Ablaufplan dazu sei allen Schulen landesweit zur Verfügung gestellt worden.

Schulstart als "großes Experiment"

Der geplante Start nach den Ferien sei "ein großes Experiment", ist sich Dorothee Kleinherbers-Boden, Schulleiterin in Wuppertal, sicher. Es werde sicherlich dazu kommen, dass Schulen zwischendurch wieder geschlossen werden müssten, meint sie. In Wuppertal mussten bereits zwei Schulen wegen Infektionen wieder schließen. "Wir müssen uns auf einen Wechsel zwischen Präsenzunterricht und geschlossen einstellen", meint sie. Das Problem dabei sei aber, dass nach wie vor viele Schülerinnen und Schüler kein digitales Endgerät hätten.

Insgesamt sei sie aber mit den Ankündigungen der Schulministerin zufrieden. Sie sehe eine "klare Richtung". Positiv sei, dass Gebauer Ersatzlehrkräfte "für Risikogruppen-Lehrer" angekündigt habe.

Der Philologen-Verband Nordrhein-Westfalen sorgt sich wegen des fehlenden Abstandsgebots: Bislang habe die Abstandsregel als zentrale Maßnahme zur Eindämmung der Infektion gegolten, sagt die Vorsitzende Sabine Mistler. Der aktuelle Corona-Ausbruch in Gütersloh und anderen "Corona-Hotspots" zeige, dass das auch sinnvoll war. "Wenn diese Regel in den Schulen fällt", fragt Mistler, "heißt dies, dass sie auch in der Öffentlichkeit aufgegeben wird?"