Andrea Brauer-Schmidt kann über fehlende Arbeit nicht klagen. Sie allein muss sich im Gesundheitsamt des Kreises Viersen um die gemeldeten Fälle fehlender Masernimpfnachweise kümmern. In den letzten anderthalb Jahren waren das mehr als 1.500, etwa ein Drittel davon ist erst abgearbeitet.
In Dutzenden Fällen verhängte der Kreis auch schon Ordnungsverfügungen und Zwangsgelder über jeweils mehrere hundert Euro. "Die meisten Betroffenen, die ich kontaktiere, sind aber wirklich gewillt und bemüht, die Nachweise beizubringen oder sich noch impfen zu lassen", zeigt sich Brauer-Schmidt trotzdem zufrieden.
Tausende fehlende Nachweise
Ähnliches berichten auch andere Städte und Kreise in NRW: Nach Aufforderung oder Strafandrohung kommt ein Großteil der Nachweispflicht nach.
Trotzdem geht die Zahl der fehlenden Impfnachweise in die Tausende: Die Stadt Düsseldorf zählt bislang knapp 3000 Fälle, der Rhein-Kreis Neuss rund 3.400, vor allem in Schulen und Flüchtlingsheimen, die Stadt Duisburg mehr als 5.000 und Dortmund sogar über 6000 Fälle.
Allein in Bonn wurden bereits in 148 Fällen Zwangsgelder über jeweils 500 Euro verhängt, in Bielefeld in 152 Fällen, teilten die Städte auf WDR-Anfrage mit. In Düsseldorf oder Duisburg wurden dagegen noch gar keine Geldbußen ausgesprochen.
Zahl der Masernfälle nimmt zu
In NRW wurden in diesem Jahr bis Ende Februar bereits 26 Masernfälle gezählt, nach 15 im gesamten Vorjahr und nur zweien im Jahr 2022. Und das trotz laut Robert-Koch-Institut hoher Impfquoten. Die lagen zum Zeitpunkt der Schuleingangsuntersuchung bei rund 95 Prozent, auch an Rhein und Ruhr.
Das Problem: Die hohen Impfquoten werden nicht flächendeckend erreicht, sagt Immunologe Carsten Watzl von der TU Dortmund: "Es gibt Regionen, da ist die Impfquote deutlich geringer, bei unter 90 Prozent. Und da die Masern so ansteckend sind, ist das schon ausreichend, dass es da zum Ausbruch kommen kann."
Gefahren werden unterschätzt
Bei 20 der in diesem Jahr bisher gemeldeten 26 Masernfälle lag laut NRW-Gesundheitsministerium keine Impfung vor. Immer wieder aufmerksam machen und aufklären ist deshalb für Kinder- und Jugendmediziner Ralph Köllges besonders wichtig. Der Arzt aus Mönchengladbach engagiert sich stark für die Masernimpfung, gerade auch bei jungen Erwachsenen.
Denn die seien überproportional häufig bei Masernausbrüchen beteiligt, weil sie in der Kindheit eben nicht geimpft wurden. Und oft würden Erwachsene die Krankheit nach wie vor unterschätzen, eine Impfung vergessen oder sie für nicht notwendig erachten. Denn die Masern greifen unter anderem das Gedächtnis des Immunsystems an, so dass sich der Körper schlechter gegen andere Erreger schützen kann.
Keine flächendeckenden Überprüfungen
Köllges kritisiert, dass die Nachweispflicht nicht ausreichend überprüft werden könne: "Der öffentliche Gesundheitsdienst ist runtergefahren vom Personal her, es ist schwierig, da alles nachzuverfolgen."
Flächendeckende Überprüfungen seien auch gar nicht vorgesehen, teilt das NRW-Gesundheitsministerium mit. Die Kontrollen müssen zum Beispiel die Leitungen von Schulen und Kitas leisten. In der Schule geht jedoch die Schulpflicht vor der Nachweispflicht, so dass dort auch ungeimpfte Schülerinnen und Schüler teilnehmen können.
Im Gegensatz dazu dürfen Kinder wie Erwachsene, die keinen Impfnachweis erbracht haben, nicht in Kitas oder Pflegeheimen arbeiten bzw. betreut werden. Da gibt es laut einer WDR-Stichprobe bisher aber kaum Betretungs- oder Tätigkeitsverbote in den NRW-Kommunen.
Wunsch nach einheitlichen Vorgaben
Andrea Brauer-Schmidt im Kreisgesundheitsamt in Viersen würde sich für den Umgang mit der Masern-Impfpflicht noch einheitliche Vorgaben von Land oder Bund wünschen. Denn bisher agiere jedes Gesundheitsamt nach eigenem Ermessen, etwa bei den Fristen für die Betroffenen oder auch der Höhe des Zwangsgeldes.