
NRW verliert Äcker in der Landwirtschaft
Stand: 21.05.2023, 12:37 Uhr
Mehr als die Hälfte der verkauften Äcker und Böden in NRW gingen 2022 nicht mehr an Landwirte. Investoren, Unternehmen und Kommunen erwarben die Felder stattdessen. Was bedeutet das für uns?
Von Hannah Lesch, Lara Lohmann und Jakob Rhein
Unter dem Plastikdach des Gewächshauses ist es warm, es riecht nach Erde. Friederike von Brevern kniet mit ihren Kollegen auf einem Trampelpfad zwischen den ordentlich gepflegten Reihen voller Gemüse und pflanzt Tomaten.
Die 23-Jährige macht hier auf dem Laakenhof im Münsterland eine Ausbildung zur biologischen Gemüsegärtnerin. Sie möchte gerne als junge Landwirtin in ein paar Jahren einen Hof und Flächen bewirtschaften - doch der Traum droht zu scheitern.

Friederike von Brevern, Auszubildende
Landwirtschaftliche Flächen sind im Münsterland sehr teuer geworden. “Die Preise haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt bis vervierfacht. Dass ich die wahrscheinlich gar nicht bezahlen kann, ist ein blödes Gefühl”, sagt von Brevern. “Es fühlt sich irgendwie bedrohlich an. Land ist die Grundlage, wenn ich Landwirtschaft machen will”.
Kaufpreise verdoppelt
In ganz NRW sind die Pacht- und Kaufpreise für landwirtschaftliche Flächen stark gestiegen. Inflationsbereinigt haben sich die Preise in den vergangenen 15 Jahren mehr als verdoppelt.
Der Traum vom eigenen Hof wird dadurch für viele Landwirte unmöglich, sie können die hohen Preise nicht zahlen. Anders als Unternehmen, Investoren oder auch Kommunen. Die drängen, gemeinsam mit anderen Akteuren, auf den Flächenmarkt in NRW.
Viele Flächen gehen nicht an Landwirte
In den vergangenen Jahren wurden im Schnitt die Hälfte aller Kaufverträge für landwirtschaftliche Flächen mit Nicht-Landwirten geschlossen. Zahlen der Landwirtschaftskammer NRW, die dem WDR exklusiv vorliegen, zeigen: Der Trend setzt sich fort. Auch 2022 gingen 51% der verkauften Flächen nicht mehr an andere Landwirte.
Die Folge: Viele Flächen werden der Landwirtschaft entzogen - zum Beispiel für den Ausbau von regenerativen Energien oder den Naturschutz. Andere Flächen werden weiterhin an Landwirte verpachtet, die geraten damit aber in Abhängigkeit von landwirtschaftsfremden Akteuren.
Wenig Transparenz bei Unternehmen
Auf Anfrage des WDR wollten viele einflussreiche Unternehmen in NRW keine Auskunft über ihren Flächenbesitz geben oder genauer erklären, was sie mit den Flächen in Zukunft vorhaben. Eine transparente Erfassung der Käufer und damit der relevanten Akteure auf dem Flächenmarkt gibt es deutschlandweit nicht. Für eine bessere Regulierung wäre das aber eine wichtige Grundlage.
Gefahr der Abhängigkeit
Auch der Laakenhof im Münsterland war abhängig von einem landwirtschaftsfremden Unternehmen. Der Hof stand vor einigen Jahren dadurch fast vor dem Aus - als den Betreibern des Hofs von ihrem Verpächter, der damaligen HeidelbergCementAG, gekündigt wurde.

Reinhold Hövelmann, Landwirt
“Das war für uns erstmal eine existenzielle Krise, dass wir schon gedacht haben, machen wir überhaupt weiter?” sagt Reinhold Hövelmann, der den alten Hof mehr als 20 Jahre lang bewirtschaftet hat. Die Suche nach einem neuen Hof und Flächen war eine riesige Herausforderung. So berichtet Hövelmann, dass fast keine Flächen zum Verkauf auf dem Markt sind.
“Wenn es Flächen gibt, sind sie in solchen Preisdimensionen, dass man sie als Landwirt nicht finanzieren kann. Nicht durch das Einkommen, das man als Landwirt erwirtschaftet”, sagt der 57-Jährige.
Landwirte schlagen Alarm

Bernhard Conzen, Präsident Rheinischer Landwirtschafts-Verband
Bernhard Conzen, Präsident des Rheinischen Landwirtschafts-Verbands, beschreibt einen starken Strukturwandel: "In 10 Jahren sind 30 Prozent der Landwirte weg". Schon jetzt sorgt unter anderem der Kampf um die Äcker für steigende Preise bei regionalen Produkten. Langfristig sei "die regionale Vermarktung und regionale Produktion gerade bei 18 Millionen Verbrauchern, die wir in NRW vor der Tür haben damit nicht gesichert, sondern nimmt immer weiter ab."
Lösung Landgesellschaft?
Eine mögliche Lösung: In den meisten Bundesländern gibt es bereits sogenannte gemeinnützige Landgesellschaften. Ist ein Landwirt an einer Fläche interessiert, die ein Nicht-Landwirt kaufen möchte, kann die Landgesellschaft ein Vorkaufsrecht durchsetzen. Sie kauft dann die Fläche und verkauft oder verpachtet sie direkt an den Landwirt weiter.

Julia Kahle-Hausmann, SPD
Die Landtagsabgeordnete Julia Kahle-Hausmann (SPD) findet, dass sich in der Bodenpolitik dringend etwas ändern muss: “Gerade weil es so ein begrenztes Gut ist, gerade weil wir es nicht vermehren können, müssen wir uns über eine intelligente Flächennutzung Gedanken machen”.
CDU und Grüne wollen laut Koalitionsvertrag auch in NRW eine Landgesellschaft gründen. Das kann aber noch dauern. Aus dem Landwirtschaftsministerium heißt es: “Bei der Planung (...) sind inhaltliche, rechtliche, organisatorische und finanzielle Fragen zu klären. Erst danach kann die Phase des Aufbaus einer möglichen Landgesellschaft beginnen.”
Lösungen nur im Kleinen
Während im Großen noch nach Lösungen gesucht wird, hat der Laakenhof eigene Wege gefunden. Sie sind jetzt Teil einer Genossenschaft. Die hatte das Kapital, um einen neuen Hof zu kaufen. Den verpachtet sie nun zu fairen Preisen an Reinhold Hövelmann und seine Mitstreiter weiter.
Auch Friederike von Brevern lässt sich von ihrer Leidenschaft für die Landwirtschaft durch die aktuelle Situation nicht abbringen: “Wir alle wollen essen und wir alle müssen essen und wir brauchen nachhaltige Landwirtschaft.”
Über dieses Thema berichtet der WDR unter anderem in seinen Hörfunk Nachrichten und in der Sendung Westpol am 21.05.2023.