Ihre Wahl 2017: Die Arena

WDR 04.05.2017 01:57:35 Std. Verfügbar bis 30.12.2099 WDR

Jeder gegen jeden in der Wahlarena

Stand: 05.05.2017, 12:52 Uhr

  • Sieben Kandidaten bei der Wahlarena im WDR Fernsehen
  • Intensive Diskussion über die großen Themen im Wahlkampf
  • Überraschende Übereinstimmungen bei manchen Themen

Von Rainer Kellers

Anderthalb Wochen vor der Landtagswahl ist es am Donnerstag (04.05.2017) in der Wahlarena im WDR Fernsehen zum Schlagabtausch gekommen - und zu einem Vorgeschmack darauf, wie schwierig Koalitionsgespräche werden könnten.

Die Ausgangslage

Im Fernsehstudio ist es dieses Mal eng: Sieben Spitzenkandidaten sind Rekord für die WDR-Wahlarena. Vertreten sind alle Parteien, die im Landtag sitzen - also SPD, CDU, Grüne, FDP und Piraten - sowie die zwei Parteien, die nach jüngsten Umfragewerten eine gute Chance haben, in den nächsten Landtag gewählt zu werden. Das sind die AfD und die Linkspartei. Die Sendung vor Publikum ist fast doppelt so lang wie das TV-Duell am Dienstag (02.05.2017) - knapp zwei Stunden.

Wie war die Atmosphäre?

Anders als beim TV-Duell, natürlich. Hier kämpfen nicht zwei gegeneinander, sondern sieben für sich, ihre Argumente und gegen die Uhr. Kontrovers geht es zu, es fehlt nicht an gegenseitigen Angriffen. Die beiden Moderatorinnen Ellen Ehni und Sabine Scholt müssen einige Male eingreifen, um Zahlensalat oder allzu ausschweifende Monologe zu unterbinden.

Worum ging es?

Zur Sprache kommen die großen Themen Verkehr, Bildung, Sicherheit, Flüchtlinge und soziale Gerechtigkeit - also jene Themen, die die WDR-Zuschauer in Befragungen als besonders wichtig genannt hatten.

Es ist spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Konzepte der Parteien in vielen Bereichen sind - und dass es manchmal überraschende Übereinstimmungen gibt. Beim Turbo-Abi zum Beispiel könnten Piraten, Linke und AfD eine Koalition für G9 eingehen. Grüne, Linke und Piraten wären sich vermutlich schnell einig darin, Busse und Bahnen weitgehend ganz kostenlos zu machen. Die Linke Özlem Demirel und FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner allerdings stellen gegen Ende fest, eigentlich in gar keinem Punkt übereinzustimmen.

Wie hat sich Hannelore Kraft geschlagen?

Hannelore Kraft (SPD) hat offenbar Lehren aus dem TV-Duell gezogen. Dieses Mal lässt sie sich nicht aus der Ruhe bringen, wirkt weniger genervt und souveräner. Ihr kommt aber auch zugute, dass die Debatte um die innere Sicherheit - ihre offene Flanke - vergleichsweise wenig Raum einnimmt.

Kraft kann mehrmals auf die aus ihrer Sicht positive Regierungsbilanz hinweisen. Überraschend sagt sie kein einziges Mal "Kein Kind zurücklassen". Dafür aber lobt sie die geplante kostenlose Kernzeit bei Kitas als "größer als alle Steuerentlastungen der letzten zwanzig Jahre".

Wie hat sich Armin Laschet geschlagen?

Verkehrte Rollen: Beim TV-Duell hatte der Herausforderer von der CDU abgeklärter gewirkt. Jetzt ist er derjenige, der schimpft, anderen ins Wort fällt und insgesamt einen etwas unkonzentrierten Eindruck macht. Als es um Fahrverbote für Dieselautos geht, behauptet er, die Grünen wollten Dieselfahrzeuge bis 2030 verbieten. Tatsächlich hat Spitzenkandidatin Löhrmann sehr deutlich gesagt, ab 2030 keine neuen Diesel mehr zulassen zu wollen.

Laschet setzt aber auch Treffer. Als Kraft staatsmännisch die Leistungen ihrer Regierung lobt, fährt er dazwischen: "Sie können es nicht besser machen, wenn Sie immer sagen, es ist alles super." Unangenehm für Kraft ist zudem - mal wieder - seine Kritik an Innenminister Ralf Jäger (SPD).

Wie hat sich Sylvia Löhrmann geschlagen?

Die grüne Spitzenkandidatin hat schwere Tage hinter sich. Die Grünen sind in Umfragen dramatisch eingebrochen und fürchten mittlerweile sogar um den Einzug in den Landtag. Löhrmann ließ sich davon nichts anmerken. Mit fester, lauter Stimme moderierte sie jede Kritik an den Grünen und ihrer Amtsführung als Schulministerin weg.

Probleme mit dem G8? Das habe sie geerbt, und die Schulen seien jahrelang gegen eine Rückkehr zu G9 gewesen. Ideologisch motivierte Fahrverbote für Diesel? "Es hat nichts mit Ideologie zu tun, wenn man Grenzwerte ernst nimmt." Abschiebung nach Afghanistan? Es brauche eine Neubewertung dieses Landes: "Afghanistan ist nicht sicher."

Wie hat sich Christian Lindner geschlagen?

Der junge Parteichef der Liberalen spricht druckreif, denkt in Überschriften und ist schlagfertig. Solche Eigenschaften sind von Vorteil bei der Wahlarena. Von allen Teilnehmern hat Lindner am Ende die meiste Redezeit. Allerdings bleibt er dabei überraschend moderat - die guten Umfragewerte scheinen beruhigend zu wirken. Aus dem Landtag ist man von ihm mehr Aggressivität, mehr Kritik gewohnt. Finanzen und Wirtschaftspolitik - die Lieblingsthemen der FDP - kamen allerdings auch nur am Rande vor.

Lindner wurde gefragt, warum er als NRW-Spitzenkandidat nach der Wahl lieber in Berlin Bundespolitik machen will. Die Antwort ist bekannt: Er habe stets offen gesagt, für beide Wahlen zu kandidieren. Seiner Beliebtheit beim Wähler scheint das Thema ohnehin nicht zu schaden.

Wie hat sich Michele Marsching geschlagen?

Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Piraten in den neuen Landtag einziehen werden. Entsprechend locker konnte Spitzenkandidat Michele Marsching mit lila Hoody bei der Wahlarena auftreten. Er hatte nicht viele Redeanteile, brachte aber Humor in die Runde - und einen etwas anderen Blick auf das ein oder andere Thema. Beim Turbo-Abi zum Beispiel erinnerte er daran, dass Politik auch auf die Schüler, nicht nur auf Lehrer und Eltern hören sollte.

Als es um Sicherheit, mehr Polizei und mehr Schutz für Bürger ging, warnte Marsching, sich nicht von Angst leiten zu lassen, sondern von Fakten. "Sonst schaffen wir die Freiheit ab, die wir schützen wollen." Bester Spruch: "Wir waren die Zecke im Nacken des Landtags, und das wollen wir wieder sein."

Wie hat sich Marcus Pretzell geschlagen?

Der AfD-Spitzenkandidat wirkte angespannt. Offenbar hatte er sich vorgenommen, als Biedermann aufzutreten, als "echte Opposition", die einen "realpolitischen, bürgerlichen Kurs" einschlägt, wie er sagt. Extreme Positionen wie sie beim AfD-Bundesparteitag in Köln zu hören waren, äußert Pretzell nicht. Seine Taktik geht allerdings nur zum Teil auf.

Ins Schwimmen gerät er, als er nach Konsequenzen aus dem Anschlag auf den BVB-Bus gefragt wird. Und so richtig verheddert er sich beim Thema Kindergartenplätze. Pretzell sagt, er wolle den Eltern eine echte Wahlfreiheit geben, ob sie ihre Kleinkinder unter drei Jahren in eine Kita schicken oder nicht. Im Wahlprogramm allerdings plädiert die AfD dafür, dass Mütter, zumindest in den ersten drei Jahren, die Kindererziehung zuhause übernehmen. Was genau will Pretzell? Das wird nicht klar.

Als er am Ende prognostiziert, Marine Le Pen werde am Sonntag (07.05.2017) französische Präsidentin, buht das Publikum ihn aus.

Wie hat sich Özlem Demirel geschlagen?

Die Linken-Spitzenkandidatin muss von den Moderatorinnen ein ums andere Mal gebremst werden. Mit Nachdruck fordert sie Redezeit ein und ist dadurch eine der Wenigen, die zu fast jedem Thema zu Wort kommen. Demirel spricht schnell, verhaspelt sich manchmal, konnte aber ihre Argumente durchaus anbringen. Das G8-Abitur nennt sie neoliberal, sie fordert eine Schule für alle bis zur zehnten Klasse, will das System der V-Leute im Verfassungsschutz abschaffen, ein billiges Sozialticket genauso einführen wie einen Mindestlohn von zwölf Euro und eine 30-Stunden-Woche.

Hannelore Kraft sagt am Schluss, ihre Skepsis gegenüber Rot-Rot-Grün habe sich durch Demirels Einlassungen bestätigt.

Die überraschendste Erkenntnis?

Sylvia Löhrmann und Marcus Pretzell haben doch etwas gemein: Sie sind die einzigen Spitzenkandidaten, die privat einen Diesel fahren.