Bei der Stichwahl zur Präsidentschaft am Sonntag (07.05.2017) in Frankreich standen zwar nur Emmanuel Macron und Marine Le Pen auf dem Wahlzettel, dennoch entfielen knapp neun Prozent der Stimmen auf keinen der beiden. Knapp drei Millionen Franzosen gaben einen leeren Umschlag oder ein unbeschriebenes Blatt ab - in Frankreich wird dies als "vote blanc", als "weiße Wahl" bezeichnet. Dazu kommen über eine Million Wähler, die ihren Wahlzettel beschrieben oder zerrissen haben. Diese werden als "ungültig" gezählt.
Wann gilt eine Stimme als ungültig?
Auch bei der NRW-Landtagswahl am kommenden Sonntag (14.05.2017) ist wieder mit mehreren zehntausend ungültigen Stimmen zu rechnen. Bei der Landtagswahl 2012 waren laut Landeswahlleiter 120.658 Erststimmen (1,5 %) und 107.273 Zweitstimmen (1,4 %) ungültig.
In NRW gilt ein Wahlzettel laut Landeswahlordnung als ungültig, wenn der Wählerwillen nicht zweifelsfrei erkennbar ist, etwa weil:
- mehrere Wahlkreisabgeordnete oder Landeslisten angekreuzt sind
- die Ankreuzung nicht eindeutig ist
- die Stimmzettel zerrissen oder stark beschädigt sind
- Zusätze, Vorbehalte oder Anlagen eine weitere Willensäußerung zum Ausdruck bringen
Dagegen ist es zulässig, bei einem Bewerber oder einer Partei mehrere Kreuze zu machen oder das Kreuz hinter statt vor dem Namen des Bewerbers oder der Partei zu machen. Auch ist es möglich, eine ungültige Erststimme und eine gültige Zweitstimme beziehungsweise eine gültige Erststimme und eine ungültige Zweitstimme abzugeben.
Landeswahlleiter: Grund für ungültige Stimmen nicht ersichtlich
Aber wie viele dieser ungültigen Stimmen wurden mit Absicht abgegeben? Und bei wie vielen liegt ein Versehen vor, weil etwa das Wahlsystem oder der Stimmzettel nicht verstanden wurden? Darüber gibt es keine verlässliche Angaben, sagte der stellvertretende Landeswahlleiter Markus Tiedtke am Montag dem WDR: "Es gibt mit Sicherheit verschiedene Gründe, warum die Menschen ungültige Stimmen abgeben. Aber welche Motivation jetzt im Einzelnen dahinter steckt, ob es sich um Absicht oder ein Versehen handelt, lässt sich hinterher bei der Auszählung nicht zweifelsfrei feststellen." Am Ende werden alle diese Stimmen gleichermaßen als "ungültig" gewertet.
Wahlenthaltung ein "demokratisches Bürgerrecht"?
Wer seine Stimme bewusst ungültig macht, will damit seinen Protest gegen die zur Wahl stehenden Parteien und Kandidaten zum Ausdruck bringen, nicht aber gegen das demokratische Prinzip als solches. Für die Bochumer Organisation unwaehlbar.org ist die Wahlenthaltung daher ein "absolut legitimes demokratisches Bürgerrecht". Sie fordert ähnlich wie in Frankreich die Möglichkeit einer "vote blanc": "Die Abgabe eines 'ungültigen Stimmzettels' ist zwar eine begrüßenswerte, weil aktive Form der Wahlverweigerung, allerdings rechnet das Wahlsystem auch diese Stimmen zur Wahlteilnahme und damit zur Legitimation des ganzen Prozesses", heißt es auf der Homepage.
Abhilfe würden hier nur zusätzliche Wahlfelder schaffen, mit denen die Wahlberechtigten sich "enthalten" oder klar ausdrücken könnten, dass sie keine der Parteien bzw. Kandidaten wählen wollen. Dass es diese Option nicht gebe, sei ein Skandal. Denn die bisherige Variante, den Stimmzettel "ungültig" zu machen, diskreditiere schon vom Namen her ein solches Wählervotum und werde meist als Unvermögen abgetan, den amtlichen Wahlzettel vorschriftsgemäß zu gebrauchen.
Politologe: Parteienspektrum in NRW breit genug
Der Politologe Tim Spier von der Universität Siegen kann die Möglichkeit der "vote blanc" im französischen Wahlsystem durchaus verstehen. "Bei einer Stichwahl ist das mit Sicherheit eine angemessene Möglichkeit, damit die Wähler zum Ausdruck bringen können, wenn sie keinen der beiden Kandidaten präferieren." In Nordrhein-Westfalen sei das politische System allerdings gänzlich anders. "Bei der Landtagswahl treten 31 Parteien an, das Spektrum ist entsprechend ausdifferenziert, gerade auch im Bereich der kleineren Protestparteien. Da hat man eigentlich genug Auswahl", so Spier. Wer hier seinen Wahlzettel ungültig mache, wolle sich möglicherweise von den Nichtwählern abgrenzen, die aus Apathie zu Hause blieben.
Ungültige Stimmen zählen zur Wahlbeteiligung
Genauere wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema gebe es zwar nicht, dennoch ist sich der Politologe Spier sicher: "Es gibt hier keinen Trend in dieser Richtung." Zudem glaube er nicht, dass ungültige Stimmen wirksam seien. "Wer grundsätzliche Kritik am demokratischen Prozess üben will, greift mit einer ungültigen Stimme zum falschen Mittel. Im Grunde legitimiert er das System durch seine Stimme." Denn auch ungültige Stimmen werden bei der Wahlbeteiligung mitgerechnet.