Reportage: Zwischen Partystimmung und Schockstarre

Stand: 14.05.2017, 23:11 Uhr

Was für ein Abend: Frenetischer Jubel bei den einen, lange Gesichter bei den anderen. Und ein dramatischer Rücktritt. Mit diesem Wahlergebnis hat wohl niemand gerechnet.

Von Nina Magoley und Christian Wolf

Hannelore Kraft kommt aus dem Nichts. Kein Moderator kündigt die noch amtierende NRW-Ministerpräsidentin an. Kein Applaus zum Einzug in den Saal. Nur die Sicherheitsleute mit ihrem schnellen Schritt und die hektischen Kameraleute deuten darauf hin, dass sich etwas tut. Kraft rauscht einfach so auf die Bühne bei der SPD-Wahlparty. Schon in diesem Moment wird klar, dass wenige Augenblicke später ein politisches Erdbeben passiert.

In nur wenigen Sätzen verkündet Kraft ihren Rücktritt als Vorsitzende der Landespartei sowie stellvertretende SPD-Bundeschefin. Sie übernehme "persönlich die Verantwortung". Sieben Jahre lang habe man in der Regierung das Land "Schritt für Schritt" nach vorne gebracht. "Leider konnten wir es den Wählerinnen und Wählern nicht vermitteln", räumt Kraft ein und fügt hinzu: "Ich habe mein Bestes gegeben."

Gespanntes Warten bei der CDU

In der CDU-Zentrale in Düsseldorf ist die Stimmung am Sonntagabend (14.05.2017) zunächst noch eher verhalten. Man sei "vorsichtig optimistisch" bezüglich des zu erwartenden Wahlergebnisses, ist allenthalben zu hören.

Minuten später hört sich das ganz anders an: Als die erste Hochrechnung über die Bildschirme läuft, bricht frenetischer Jubel aus. Noch lauter werden die Freudenschreie, als klar wird, dass eine große Koalition nur mit Laschet als Ministerpräsidenten denkbar wäre.

Kurz darauf betritt der Fraktionschef selbst den Raum. "Armin, Armin" rufen die Parteikollegen, Laschet strahlt. "Heute ist ein guter Tag für NRW", ruft er, die CDU werde das Land nun bei den wichtigsten Themen auf Platz eins aller Bundesländer bringen: "Weniger Bevormundung, weniger Bürokratie" kündigt er an, und: "Wir wollen Ökologie mit Ökonomie versöhnen."

Laschet dankt der Bundeskanzlerin, Merkel sei "viel im Wahlkampf unterwegs" gewesen. Er werde jetzt Gespräche "mit allen demokratischen Parteien" führen, sagt Laschet, "nicht mit der AfD und nicht mit der Linken".

CDU-Kollegen: "Laschet unterschätzt"

Bei den CDU-Parteifreunden fließt mittlerweile westfälisches Pils, es werden Häppchen gereicht, die Stimmung im Garten der Parteizentrale ist blendend. "Ein sensationelles Ergebnis", staunt Hubert Hüppe, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Unna. Man habe Laschet unterschätzt, räumt er ein, viele hätten ihm Kompetenz gerade bei Themen wie Innere Sicherheit lange nicht zugetraut.

Dass Laschet unter anderem vorgeworfen wurde, er sei als Spitzenpolitiker nicht bissig genug, verkörpere zu sehr den netten Rheinländer - vielleicht sei genau das als seine Stärke bei den Wählern angekommen, überlegt Hüppe: Gerade bei Wirtschaftsthemen brauche es vielleicht jemanden, "der eine ausgleichende Art hat und nicht gleich draufhaut".

Laschet-Begeisterung muss erst noch geübt werden

Zwar hat Laschet ihnen den Wahlsieg gebracht, doch eine echte Begeisterung für ihren Landeschef müssen viele der anwesenden Parteikollegen offenbar noch üben. Als Ministerpräsident sei er "unter den zur Verfügung Stehenden" eine gute Wahl, sagt Hüppe. Auch Martin Schwarz, CDU-Mitglied aus Münster, gibt zu, dass der Laschet-Faktor an der Basis nicht von Anfang an wirkte: "In Westfalen musste man uns erst noch überzeugen", sagt er. Der Wahlsieg sei "eine Gemeinschaftsleistung, mit Laschet als Zugpferd", so formuliert es Georg Lunemann aus dem CDU-Kreisverband Münster.

Als auf den Bildschirmen Hannelore Kraft erscheint, die ihren sofortigen Rücktritt erklärt, geht ein pseudo-mitleidiges "oohh" durch die Reihen. Ein "konsequenter Schritt" sei das, so der allgemeine Kommentar.

"Neuanfang" bei der SPD?

Im SPD-Lager herrscht in diesem Moment längst Schockstarre angesichts von nur gut 30 Prozent der Stimmen. Die meisten SPD-Anhänger nehmen die Worte der noch amtierenden Ministerpräsidentin regungslos auf. Nur ein kurzes "oh" brandet auf, der anschließende Applaus bleibt unterkühlt. Es scheint, als beginne die SPD schon in diesem Moment, sich von ihrer langjährigen Frontfrau zu entfernen. Schließlich nimmt auch Kraft selbst in ihrer kurzen Ansprache das entscheidende Wort in den Mund: "Neuanfang".

Genau darüber wird unter den SPD-Anhängern schon schnell nach Krafts Auftritt diskutiert: Wer könnte den mitgliederstärksten Landesverband der SPD nun führen? Es fallen Namen wie der von Noch-Justizminister Thomas Kutschaty oder von Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski. Aus der Deckung wagt sich aber noch niemand. Erst einmal soll die derbe Niederlage aufgearbeitet werden.

Wie schwer das sein wird, zeigt sich schon an diesem Abend. "Ich kann es nicht erklären", sagt etwa Margarete Wietelmann. Die Bürgermeisterin aus Krafts Heimatstadt Mülheim räumt ein, dass sie die Niederlage schon geahnt habe. Zu schlecht sei die Stimmung beim Wahlkampf auf der Straße gewesen. Andere Genossen nennen die Schul- sowie die Innenpolitik. Mehrmals wird das Festhalten an Innenminister Ralf Jäger genannt. "Das war ein massiver Fehler", sagt ein Sozialdemokrat hinter vorgehaltener Hand.  

FDP feiert sich

Bei der FDP bietet sich derweil ein ganz anderes Bild: Berauscht von ihrem Ergebnis feiern die Liberalen im chicen Medienhafen eine ausgelassene Party. "Ist das geil oder ist das geil?", ruft Generalsekretär Johannes Vogel ins Mikrofon. Die Menge jubelt. Sobald Parteichef Christian Lindner auf den Bildschirmen erscheint, wird frenetisch geklatscht. Junge FDP-Anhänger stimmen "Oh wie ist das schön" an - und selbst altgediente Liberale stimmen mit ein. "Heute Abend wird noch gefeiert, und ab Morgen arbeiten wir weiter", gibt Generalsekretär Vogel die Devise aus.

Bosbach: CDU darf nicht ausflippen

Auf der CDU-Party hat sich mittlerweile auch Parteipromi Wolfgang Bosbach eingefunden. Ihn hatte Laschet bereits vor Wochen mit einem "Kompetenz-Team" beauftragt - für den Fall eines Wahlsiegs. Dass die SPD "so abschmieren" würde - damit habe in seiner Partei keiner gerechnet, sagt Bosbach jetzt. Die CDU dürfe nun allerdings "nicht ausflippen", warnt er, die Union in NRW müsse jetzt "bescheiden sein, fleißig arbeiten" und in den kommenden fünf Jahren beweisen, dass sie ihre Wahlversprechen auch umsetze. "Bisher", so Bosbach, habe die Partei "noch nichts erreicht".