Herr Ehlers, gab es rhetorisch gesehen einen Sieger?
Michael Ehlers: Eindeutig ja: Laschet. Er war angriffslustig, nannte sehr viel Konkretes. Kraft dagegen redete stark in Überschriften und wurde im Laufe der Sendung immer emotionaler. Laschet hatte auch rhetorisch mehr drauf.
Was hat Laschet denn so gut gemacht?
Ehlers: Er benutzt zum Beispiel wirkungsvolle Klimaxe, das sind Steigerungen von Ausdrücken. Er sagte zum Beispiel: "Darf jeder Mensch, nein, SOLL jeder Mensch …?" Außerdem benutzte er starke Zitate – etwa "Keine deutsche Leitkultur, sondern eine Leitkultur Deutschlands" oder "Deutschland als ein Teil Europas". So etwas ist in nationalen Fragen wahnsinnig empathisch, weil es wieder integrierend wirkt.
Was hat Kraft gut gemacht?
Ehlers: Sie war beim Einstieg souveräner und wirkte freundlicher mit ihren Mundwinkeln nach oben. Laschet hatte auf den Hacken gewippt und die Mundwinkel runter. Da sieht man seine Nervosität, vielleicht auch Angriffslust. Kraft wirkt souveräner und staatsmännischer durch ihren festen Stand und dadurch, dass sie ihre Körpersprache unter Kontrolle hat. Auch beim ersten Statement ("Was ist Ihnen wichtig?") zeigt sie mehr Leidenschaft. Ihrer Worte wirken stark. Sie spricht vom Herz am rechten Fleck, er nur von einer Idee.
Dann ist es irgendwann zugunsten Laschets gekippt?
Ehlers: Ja. Kraft wurde mit der Zeit immer emotionaler und aufgebrachter. Von der Körpersprache her, aber auch rhetorisch. Als es um innere Sicherheit und die Frage nach Jägers Rücktritt ging, sagte sie zum Beispiel: "Es gibt zurzeit keinen Grund für einen Rücktritt." Wenn ich hinter jemandem stehe, baue ich keinen Weichmacher wie "zurzeit" ein. Damit leitet sie argumentativ ein, dass sie vielleicht doch gerne einen anderen Innenminister hätte. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass sie angeschossen ist.
Wie ging es dann weiter?
Ehlers: Kraft schmeißt bei Sicherheit mit Statistiken und Expertenmeinungen um sich, statt eine eigene Meinung zu nennen. Laschet kommt mit Geschichten und sehr sachlich daher. Das macht ihn greifbarer und konkreter. Er argumentiert sicher und ist angriffslustig. Er kaut sogar, während sie redet – er zermalmt sie sozusagen im Mund.
Das scheint Kraft geärgert zu haben.
Ehlers: Ja, ihre Hände gehen hoch, ihre Unzufriedenheit wird deutlich. Auch ihre Mimik hat sie nicht mehr unter Kontrolle.
Inwiefern?
Ehlers: Da gab eine Steigerung: Beim Bildungsthema hatte sie eine tolle bildhafte Sprache. Sie sagt: "Sie haben die Kommunen ja ausgeblutet in ihrer Regierungszeit. WIR haben die Kommunen von der Intensivstation geholt." Das ist ein Zitat, das sich einbrennt. Aber sie versaut es direkt, indem sie zunehmend lauter und unsouveräner wird. Damit kommt Laschet erstaunlich gut zurecht. Er lässt sich nicht emotionalisieren.
Bei Laschets Angriff "400.000 Kinder leben in Hartz-IV-Familien" guckt Kraft nach unten.
Ehlers: Ja, Laschet sagt hier außerdem noch: "Sie sind gescheitert". Kraft hat das Kinn auf der Brust und schaut auf ihre Hände. Diese Mimik zeigt eindeutig Schuld- und Schambewusstsein. Danach wird es aber noch schlimmer. Sie wird offensichtlich unsouveräner: Sie unterbricht ständig, wird laut, rechtfertigt sich, attackiert und beschuldigt Laschet und redet rein. Vielleicht bekommt sie Panik? Auf jeden Fall ist sie unzufrieden mit sich selbst.
Und Laschet?
Ehlers: Der merkt das und spürt das und wird noch stärker. Zu seiner G8/G9-Lösung wird er gefragt: "Ist die Reparatur eher eine Reparaturpolitik?" Darauf kommt keine Antwort, aber eine gute Geschichte mit einem Sechstklässler, der wegen Unterrichtsausfall an die Ministerin schreibt. Das nennen wir Rhetoriktrainer Storytelling und Geschichten erzählen ist eine gute Sache. Denn wir alle erinnern uns gerne und lange an Geschichten.
Als es um die Infrastruktur geht, räumt Kraft einen Fehler ein. Gut oder schlecht?
Ehlers: Sie sagt: "Es war falsch, dass wir so lange die Verbesserung einer Infrastruktur im Westen ignoriert haben." Das hätte sie positiver formulieren können. Laschet hat jetzt Oberwasser. Kraft merkt das und greift dann in der Schlussrunde sogar noch die Moderatorin an.
Der Einstieg und der Schluss sind in der Wirkung besonders stark. Wie war das hier?
Ehlers: Am Schluss ist es Laschet gelungen, Kraft nicht zu einer Aussage gegen die Linken zu bringen. Sie antwortet platt: "Ich sorge lieber dafür, dass die Linken gar nicht reinkommen" – und Laschet verstärkt noch einmal: "Sehen Sie, sie macht keine Aussage" und jeder Zuschauer denkt den Satz zu Ende – dass sie es wohl doch tun würde, um an der Macht zu bleiben.
Was hat es zu sagen, dass Laschet Kraft nach dem Duell die Hand gereicht hat und nicht umgekehrt?
Ehlers: Als Ministerpräsidentin hätte sie das Recht gehabt, ihm die Hand zu reichen. Dass er ihr die Hand gibt, zeigt, dass Laschet seine Überlegenheit wohl gespürt hat.