Hannelore Kraft - Wahldebakel einer Landesmutter

Stand: 14.05.2017, 18:59 Uhr

Es ist eine dramatische Wahlniederlage: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) liegt bei der Landtagswahl deutlich hinter der CDU. Sie tritt zurück von ihren SPD-Spitzenämtern. Ein Porträt.

Von Martin Teigeler

Nach der Niederlage der Sozialdemokraten bei der NRW-Landtagswahl hat Hannelore Kraft ihren Rücktritt vom Landesvorsitz erklärt. Auch als SPD-Bundesvize hört sie auf. Das Ergebnis der Landtagswahl vom Sonntag (14.05.2017) ist für die 55-jährige SPD-Politikerin der Tiefpunkt einer ungewöhnlichen und steilen politischen Laufbahn. Die Landesmutter musste ausgerechnet am Muttertag eine bittere Abfuhr in der traditionellen Hochburg der Genossen einstecken.

Arbeiterkind mit Bildungskarriere

"Einfach kann jeder, dafür bin ich nicht geboren", sagte Kraft einmal über sich selbst. Sie kommt aus einer Arbeiterfamilie im Ruhrgebiet. Sie ist die Tochter eines Straßenbahners und einer Schaffnerin. Die Bildungsreformen der 70er Jahre ermöglichten ihr einen Werdegang, der "Malocherkindern" zuvor verwehrt war. "Für mich war die größte SPD-Errungenschaft immer Bildung und Bafög. Das war der Grund, weshalb ich an die Uni konnte."

Später Eintritt in die SPD

Nach dem Abitur machte Kraft eine Banklehre, bevor sie in den 80er Jahren Wirtschaft in Duisburg und London studierte. Nach ihrer Rückkehr arbeitete die Diplom-Ökonomin als Unternehmensberaterin. Erst 1994 trat sie in die SPD ein - als Reaktion auf die Niederlage der Sozialdemokraten bei der Kommunalwahl in ihrer Heimatstadt Mülheim an der Ruhr. Sie dachte damals, "da müsste man was tun", so Kraft.

Rasch stieg sie in der Partei auf - ein Polit-Talent mit Ruhrpott-Charme, manchmal aufbrausend, aber ziemlich bürgernah. 2000 kam Kraft erstmals in den Landtag. Ministerpräsident Wolfgang Clement (damals SPD) machte sie 2001 zur Europaministerin. Unter Peer Steinbrück (SPD) wurde Kraft 2002 Wissenschaftsministerin.

Hannelore Kraft (SPD) verteilt in Dülmen während eines Wahlkampfauftrittes rote Rosen

Zwei Wahlen bestritt Kraft für die SPD erfolgreich

Seit Januar 2007 steht Kraft an der Spitze der SPD in NRW. Zwei Jahre war sie da schon Fraktionschefin im Landtag gewesen. Damals übernahm Kraft einen kaputten Landesverband. Nach 39 Jahren an der Macht hatten die Genossen 2005 die Macht an Jürgen Rüttgers (CDU) verloren.

Wahlerfolge 2010 und 2012

2010 gelang es Kraft, Ministerpräsident Rüttgers nach der knappen Landtagswahl  abzulösen. Sie wagte - ermutigt von den forschen Grünen - das Experiment einer von den Linken tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung und profiliert sich im Spiel mit wechselnden Mehrheiten. Seit der vorgezogenen Wahl 2012 regierte NRWs erste Ministerpräsidentin mit einer klaren rot-grünen Mehrheit. Damals avancierte die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende sogar zur beliebtesten Politikerin Deutschlands.

Als sie Ende 2013 einer möglichen Kanzlerkandidatur für die SPD eine klare Absage erteilte ("nie, nie" wolle sie nach Berlin), erntete die SPD-Vizevorsitzende viel Kopfschütteln. Später hagelte es Negativ-Schlagzeilen: Kraft sei angeblich amtsmüde und abgehoben. Ihr Privatleben mit Ehemann Udo und dem erwachsenen Sohn schirmte Kraft meist sorgsam ab.

Widrige Regierungsbilanz

Der Regierungsalltag gestaltete sich zusehends widrig für Rot-Grün. Lange Zeit kämpfte die Koalition gegen Haushaltslöcher, Bildungsdefizite, Wachstumsschwäche und soziale Probleme im bevölkerungsreichsten Bundesland an. Vor allem das Ruhrgebiet gilt in Teilen immer noch als abgehängtes Armenhaus der Republik. Hinzu kamen handfeste Skandale: Hooligan-Krawalle, die Kölner Silvesternacht und der Terror-Fall Amri.

Hannelore Kraft vor dem Untersuchungsausschuss im Fall Anis Amri

Kraft vor dem Amri-Untersuchungsausschuss

Das Thema Innere Sicherheit wurde zum Schwachpunkt von Rot-Grün. An ihrem umstrittenen Innenminister Ralf Jäger (SPD) hielt die Ministerpräsidentin dennoch bis zum bitteren Ende fest. Kraft wurde immer öfter vorgeworfen, sich zu wenig um die konkreten Probleme in NRW zu kümmern. Das Image der volkstümlichen, resoluten "Kümmerin" bröckelte. Im Wahlkampf stand sie voll im Mittelpunkt - der Kanzlerkandidat (und NRW-Genosse) Martin Schulz wurde beinahe hinter Kraft versteckt.

Eine NRW-SPD ohne Kraft

Was passiert nun bei den Sozialdemokraten in ihrem alten Stammland? Wie die Zukunft der NRW-SPD ohne Kraft aussehen wird, ist völlig offen. Seit Johannes Rau hat wohl kein Politiker die Sozialdemokraten in ihrer langjährigen Hochburg so geprägt wie Kraft. Ihr Landtagsmandat will Kraft ausüben, betonte die Ministerpräsidentin am Sonntagabend.

Und was wird aus Kraft? Dem WDR hatte sie neulich anvertraut, dass sie nach der politischen Laufbahn einmal Saxophon spielen wolle. Dieses Musikinstrument habe sie vor längerer Zeit geschenkt bekommen. Es liege seitdem bei ihr zu Hause.