"Einmal drücken", wünscht sich die alte Frau im Rollstuhl von Guranda Bolkvadze. Die Pflegehelferin beugt sich zu ihr hinunter und nimmt sie in den Arm. "Ich kann mich hier um Menschen kümmern", sagt sie. "Das mag ich an meiner Arbeit."
Abschiebung trotz unbefristeter Stelle
Seit einem Jahr arbeitet die 41-jährige Georgierin in einem Pflegeheim des Johanneswerk in Herford. Sie hat hier eine unbefristete Stelle, bezieht keine Sozialhilfe. Und trotzdem bekam sie vor acht Monaten Post vom Ausländeramt. Sie soll abgeschoben werden. "Ich möchte das nicht", sagt sie verzweifelt. "Und ich verstehe das auch nicht."
Großer Fachkräftemangel in der Pflegebranche
Auch ihre Chefin, Anja Zimmermann, kann die geplante Abschiebung nicht verstehen. "Wir können uns das gar nicht leisten, hier nur eine Person zu verlieren", argumentiert sie mit dem Fachkräftemangel in Pflegeberufen. Mehr als 700 Menschen arbeiten in verschiedenen Pflegeeinrichtungen des Johanneswerk in Ostwestfalen. "Etwa 25 Prozent haben einen Migrationshintergrund", erklärt Anja Zimmermann. Vor etwa einem Jahr wurde schon einmal eine Pflegerin nach Georgien abgeschoben. "Wenn das so weiter geht, wird das Pflegesystem irgendwann zusammenbrechen."
Wächst der Druck auf die Ausländerbehörden?
Insgesamt steigt die Zahl der Abschiebungen in NRW: Von Januar bis September 2023 waren es gut 2600, im gleichen Zeitraum 2024: mehr als 3200. Ein Plus von gut 22 Prozent.
Wie viele der Abgeschobenen gut ausgebildet sind oder schon in in NRW gearbeitet haben, wird statistisch nicht erfasst. Die Recherchen von Westpol legen aber nahe, dass es einige sind, die am Arbeitsmarkt nur schwer zu ersetzen sind.
"Es werden vor allem Menschen abgeschoben, bei denen die Ausreisepflicht gut durchsetzbar ist", sagt Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW. "Also Menschen die mit den Ämtern kooperieren und nicht untertauchen."
Diesen Eindruck bestätigt auch der Düsseldorfer Anwalt für Ausländerrecht, Martin Lauppe-Assmann. Er vertritt Geflüchtete, die auf der Arbeit abgeholt wurden, um sie abzuschieben. "Das ist sehr bequem für die Verwaltung", sagt Lauppe-Assmann. "Die Ämter wissen genau, wann die Geflüchteten wo zu greifen sind."
Setzt NRW bei den Abschiebungen die falschen Prioritäten?
Geflüchtete, die nicht arbeiten, können sich in der Praxis oft deutlich leichter einer Abschiebung entziehen. Ein Beispiel: Für den Messer-Attentäter von Solingen war schon ein Flug gebucht. Die Behörden konnten ihn in seiner Einrichtung aber nicht finden. Die Abschiebung scheiterte deshalb.
Gleichzeitig gibt es jetzt mehr Abschiebeflüge. Schieben die Behörden vermehrt Geflüchtete ab, die Arbeit haben, damit hier Tickets nicht verfallen?
Das deutet ein Mitarbeiter einer großen Ausländerbehörde in NRW im Gespräch mit dem WDR an. "Das Land ruft jetzt regelmäßig bei uns an und fragt nach einzelnen Fällen von abgelehnten Asylbewerbern", sagt der Mann, der anonym bleiben möchte. "So etwas hat es früher nicht gegeben."
Fluchtministerin will geltendes Recht durchsetzen
Gibt es also gezielten Druck aus dem Integrationsministerium? Die zuständige Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) will das nicht bestätigen. Sie legt aber Wert darauf, dass die geltenden Regelungen durchgesetzt werden müssten. "Wer keine Bleibeperspektive hat, muss zurückkehren", so Paul.
Arbeitgeber unterstützt Klage
Das gilt auch für Guranda Bolkvadze. Denn Georgien gilt als sicheres Herkunftsland. Trotzdem hat sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Im Dezember beschäftigt sich der Petitionsausschuss des Landtags mit ihrem Fall. Außerdem unterstützt das Johanneswerk sie bei einer Klage gegen den Bescheid vor dem Oberverwaltungsgericht Münster.
Über dieses Thema berichten wir u.a. bei Westpol am 01.12.24 um 19:30 Uhr im WDR Fernsehen.