Symbolbild: Rückansicht eines jungen Menschen, der aus einem Fenster schaut.

Corona-Pandemie: Deutlich mehr psychische Störungen bei Jugendlichen

Stand: 27.05.2022, 13:06 Uhr

Während der Corona-Pandemie haben einer aktuellen Studie zufolge Depressionen und Essstörungen bei Teenagern deutlich zugenommen - besonders im zweiten Corona-Jahr 2021.

Die Zahlen sind alarmierend: Während der zwei Pandemie-Jahre 2020 und 2021 ist die Zahl der Jugendlichen, die wegen einer psychischen Störung ins Krankenhaus eingeliefert wurden, sprunghaft angestiegen. Mädchen waren dabei viel öfter betroffen als Jungen. Das ist das Ergebnis der Analyse aktueller Krankenhausdaten der Krankenkasse DAK-Gesundheit für ihren "Kinder- und Jugendreport 2022".

Um welche Krankheiten geht es? Was sagen Ärzte zu der Entwicklung? Wo gibt es Hilfe für Betroffene? Fragen und Antworten.

Was haben die Forscher untersucht?

Für den Report haben Wissenschaftler der Universität Bielefeld zusammen mit Datenanalysten die Abrechnungsdaten von rund 800.000 Kindern und Jugendlichen im Alter bis 17 Jahren untersucht, die bei der DAK-Gesundheit versichert sind. Das entspricht etwa 5,7 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in der Bundesrepublik - eine im Vergleich zu anderen Untersuchungen sehr große Datenbasis. Analysiert wurden die Jahre 2019 bis 2021.

Nicht gezählt wurden Fälle, bei denen Jugendliche wegen psychischer Störungen ambulant, also bei Haus- und Fachärzten behandelt wurden. Man kann deshalb davon ausgehen, dass die Studie vor allem schwere Erkrankungen erfasst, die einen Klinikaufenthalt unbedingt nötig gemacht haben.

Wie war die Entwicklung bei Depressionen?

Während der Pandemie wurden Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren erheblich öfter mit der Diagnose einer "depressiven Episode" im Krankenhaus behandelt als in der Vor-Corona-Zeit. Im Jahr 2021 gab es insgesamt 25 Prozent mehr Einweisungen als 2019. Während 2019 nur 672 von 100.000 Jugendlichen betroffen waren, stieg die Zahl im Jahr 2021 auf 841.

Auch "emotionale Störungen" wie Trennungsangst oder soziale Ängstlichkeit mussten häufiger behandelt werden: Die Zahlen stiegen von 2020 bis 2021 um 42 Prozent - hier waren vor allem junge Frauen betroffen.

Im Jahr 2020 hatte es hingegen einen leichten Rückgang bei den Krankenhauseinweisungen wegen einer depressiven Episode gegeben. Möglicherweise hätten Ärzte und Eltern gezögert, die Jugendlichen ausgerechnet zur Hochphase der Pandemie in den ohnehin überlasteten Kliniken behandeln zu lassen, sagte Wieland Kiess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendmedizin an der Uniklinik Leipzig, dem WDR am Freitag. Auch sei es noch schwieriger gewesen als zu "normalen" Zeiten, einen geeigneten Therapieplatz zu finden. Möglicherweise sei der starke Anstieg der Fälle im Jahr 2021 zum Teil auf "Nachholeffekte" zurückzuführen.

Wie sieht es bei Essstörungen aus?

Insgesamt hat 2020 und 2021 die Zahl von Jugendlichen, die unter Essstörungen wie zum Beispiel Magersucht oder starker Fettsucht leiden, im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr merklich zugenommen. Im Jahr 2021 stiegen im Vergleich zu 2019 die Krankenhausaufenthalte bei Essstörungen sogar um 40 Prozent.

Auch bei den Essstörungen waren Mädchen viel stärker betroffen als Jungen: Im Jahr 2021 wurden von 100.000 Jungen durchschnittlich nur rund 13 mit dieser Diagnose im Krankenhaus behandelt. Bei den Mädchen waren es 424.

Gibt es auch gute Nachrichten?

Während insgesamt mehr Jugendliche wegen Essstörungen, depressiven Episoden, Entwicklungs- und Angststörungen ins Krankenhaus kamen, mussten andere psychische und psychosomatische Erkrankungen seltener behandelt werden. Darunter fallen zu Beispiel Verhaltensstörungen durch Alkohol oder Cannabis. Ob Jugendliche in der Pandemie tatsächlich weniger Rauschmittel konsumiert haben, ist allerdings unklar. Auch hier könnte der Mangel an geeigneten Therapieplätzen eine Rolle spielen.

Wie bewerten Ärzte die gestiegenen Zahlen?

Die Zahlen seien alarmierend, sagte Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, am Freitag. Sie zeigten vor allem, dass die Bedürfnisse junger Menschen in der Pandemie lange ignoriert wurden. "Kinder und Jugendliche stellen eine ebenso vulnerable Gruppe innerhalb der Bevölkerung dar, wie alte oder vorerkrankte Bürgerinnen und Bürger." Der Schaden sei erheblich, erklärte Fischbach. "Wie viele Dauerschäden entstanden sind, ist heute noch schwer zu erfassen."

Für Wieland Kiess von der Uni Leipzig sind die Zahlen wenig überraschend. Allerdings sei es schwierig, die Zunahme bei den Behandlungen ausschließlich mit der Pandemie zu erklären. Hierzu brauche es einen längeren Beobachtungszeitraum. Insbesondere müssten auch die Fälle von Jugendlichen einbezogen werden, die nicht im Krankenhaus, sondern ambulant behandelt wurden. Nach Aussage einer DAK-Sprecherin liegen diese Daten für das Jahr 2021 allerdings noch nicht vor.

Wo gibt es Hilfe?

Zunächst können sich betroffene Kinder, Jugendliche und Eltern an ihren Hausarzt wenden: Dieser kann bei Bedarf einen Facharzt hinzuziehen oder zu Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten informieren. Eine gute erste Anlaufstelle kann auch ein Infoportal im Netz sein. Ein Beispiel ist das Angebot "ich-bin-alles.de" der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dort gibt es alle Infos zu psychischen Krankheiten im Jugendalter und Adressen von Hilfs- und Beratungsstellen - mit Erklärvideos und Podcasts.