Lungenarzt zu Pandemiepolitik: "Einiges war überflüssig"

Stand: 28.08.2020, 14:12 Uhr

Anfangs war Thomas Voshaar, Chef der Lungenklinik Bethanien in Moers, scharfer Kritiker der Pandemiepolitik. Jetzt berät er die Bundesregierung - und schaut zuversichtlich in die Corona-Zukunft.

Zu Beginn der Coronakrise hatte er die Bundesregierung dafür kritisiert, dass es keinen aktuellen Pandemieplan gebe. Mittlerweile gehört Thomas Voshaar, Internist und Leiter der Lungenklinik Bethanien in Moers, zum Beraterstab von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der am Freitagnachmittag gemeinsam mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) der Klinik einen Besuch abstattete.

WDR: Ministerpräsident Armin Laschet sagte gestern "wir haben die Pandemie im Griff". Sehen Sie das auch so?

Dr. Thomas Voshaar: Die Situation stellt sich für Deutschland tatsächlich sehr positiv dar. Wir sind relativ glimpflich weggekommen. Das ist unter anderem dem rechtzeitigen, sehr konsequenten Lockdown zu verdanken. Wir hatten zur Spitzenzeit der Reproduktionswelle 80 Prozent freie Intensivbetten. Nur ein Prozent aller Getesteten ist positiv, die Durchseuchung in ganz Deutschland liegt gerade mal bei knapp 1,5 Prozent.

WDR: Aber die Infektionszahlen steigen.

Voshaar: Was jetzt, zum Ende der Sommerferien passiert, war ganz klar voraussehbar. Dennoch haben wir trotz steigender Infektionszahlen kaum vermehrte Inanspruchnahme der Intensivstationen. Seit Monaten liegen dort deutschlandweit konstant nicht mehr als 250 Covid-Patienten - auch jetzt. Es werden deutlich weniger Menschen krank, als wir anfangs befürchteten.

WDR: Wie sinnvoll erschienen Ihnen die politischen Entscheidungen bisher?

Voshaar: Die initiale Entscheidung zum Lockdown war richtig. Es gab gar keine andere Möglichkeit, weil wir nicht im Entferntesten das Wissen hatten, wie jetzt. Es drohte ein Szenario wie in Norditalien. Also konnte die Politik gar nichts anderes machen.

Dann musste man kontinuierlich lernen - und die Konsequenzen daraus ziehen. Und das ist für die Politik nicht so einfach, wenn wir Wissenschaftler keine klaren Angaben machen. Auch die beratenden Virologen sind derzeit alle zwei Wochen ein bisschen klüger. Das erweckt natürlich den Eindruck eines Hin- und Her. Dennoch hätte man im Nachhinein vieles nicht besser machen können.

Einiges war vielleicht überflüssig – wie die Anschaffung von 70.000 Beatmungsgeräten durch Herrn Spahn. Das Geld hätte man sparen können. Auch die Maskenbestellung im Ausland hätte man besser koordinieren können. Und aktuell glaube ich könnten wir unsere Strategie zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung besser kommunizieren.

WDR: Wie meinen Sie das?

Voshaar: Das Hin und Her: Maske in der Schule ja, dann wieder doch nicht. Testen von Reiserückkehrern, dann doch nicht mehr. Das muss man schlicht alles entscheiden nach sicheren wissenschaftlichen Erkenntnissen. Und die sind: 1. Draußen gibt es praktisch keine Infektionen. 2. Drinnen ist alles von der Raumgröße, der Menschenmenge und deren Aufenthaltszeit abhängig. Damit die Leute das verstehen, muss man immer wieder die unzweifelhaften physikalischen Grundsätze erklären.

Auch wäre es besser, wenn sich die Bundesländern besser abstimmen würden und versuchen würden, die Grundlagen ihrer Entscheidungen immer wieder zu kommunizieren. Damit die Menschen nicht das Gefühl haben, dass man so hin und her springt.

WDR: Verschwörungstheoretiker wie Ken Jebsen oder Attila Hildmann werfen der Bundesregierung vor, sich vom Virologen Christian Drosten einseitig steuern zu lassen. Wie beratungsoffen erleben Sie die Politik?

Voshaar: Ich habe wirklich alle Politiker, die ich getroffen habe, als extrem gute Zuhörer empfunden, die immer versucht haben, alles zu verstehen und in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Man darf nicht vergessen, wie unglaublich schwierig das ist. Natürlich verändern wir Berater manchmal unsere Entscheidung, weil wir etwas dazu gelernt haben. Aber man muss den Leuten sagen: Das ist der Stand der Wissenschaft, und daraus folgt, dass wir bestimmte Sachen zulassen und andere nicht.

WDR: Wäre eine zweite Welle ohne einen weiteren Lockdown zu bewältigen?

Voshaar: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so etwas wie eine echte Welle nochmal gibt. Der jetzige Infektionsanstieg zwei Wochen nach Ende der Sommerferien war klar vorhersehbar. Der Rest sind klar erkennbare Cluster: Der Männerchor, die große Geburtstagsfeier, der Fleischverarbeiter. Diese Cluster werden immer verursacht durch einen Superspreader. Auf den Umgang mit solchen Clustern müssen wir uns fokussieren. Ich glaube nicht, dass wir, nur weil es Herbst wird, mehr Infektionszahlen haben werden.

Das Interview führte Nina Magoley.