Luisa Neubauer: "Es ist völlig unklar, wie die Klimaziele noch eingehalten werden sollen"

Stand: 27.05.2022, 11:01 Uhr

Wie schaffen wir es, die Klimaziele einzuhalten und die Klimakrise zu bewältigen - mitten im Ukraine-Kieg? "Fridays For Future"-Aktivistin und Grünenpolitikerin Luisa Neubauer im WDR-Interview.

Die Debatten beim Weltwirtschaftsforum in Davos oder auch beim Treffen der G7-Energieminister, das heute in Berlin zu Ende geht: Überall wird über den Klimaschutz und den Krieg in der Ukraine diskutiert. Auch auf dem heutigen Katholikentag in Stuttgart, auf dem Luisa Neubauer auftritt. Sie kritisiert, dass weiterhin langfristig in fossile Energien investiert wird - und fürchtet, dass das Jahr 2022 das Jahr werden könnte, in dem wir den Absprung verpasst haben.

WDR: Diskutiert wird über eine grundlegende neue Sicherheitsarchitektur und eine wirtschaftliche Neuordnung, die Lösungen für den Klimawandel finden muss. Die G7-Staaten werden heute ihre Abschlusserklärung abgeben und im Entwurf steht wohl eine Verpflichtung zum Ende der klimaschädlichen Kohleverstromung bis 2030. Können wir also über Fortschritte reden?

Luisa Neubauer: Rhetorisch höchstens. Gas und Öl sind nicht wesentlich besser für das Klima. Was wir erleben ist, dass während einige Staaten sehr zögerlich aus der Kohleverstromung aussteigen, die Finanzierung von Kohleenergie weltweit weiterhin stattfindet, auch von den G7-Staaten.

Und vor allem erleben wir einen solchen Boom von Öl- und Gasvorhaben weltweit – auch wiederum finanziert von deutschen Institutionen – und auch vorangetrieben von der deutschen Regierung unter anderem, das ist gravierend, das macht mir riesengroße Sorge. Denn es ist völlig unklar, wie die Klimaziele noch eingehalten werden sollen.

WDR: Wo sehen Sie, dass es von der deutschen Regierung vorangetrieben wird?

Neubauer: Zuletzt war zum Beispiel Olaf Scholz in Afrika, im Senegal zu Gast - das ist einer der Orte, der am allermeisten von der Klimakrise betroffen sein wird – und er bewarb dort unter anderem ein neues Gasfeld. Dabei ist die Rechnung ganz leicht: Wenn wir noch eine Chance haben wollen, das Pariser Klimaziel einzuhalten, dann darf es kein einziges neues fossiles Projekt geben.

Kein neues Gasfeld, kein neues Ölfeld und gleichzeitig plant man auch hier in Deutschland bis zu zwölf neue LNG-Terminals, was auch bedeuten würde: Es wird unmöglich für uns, unsere Klimaziele einzuhalten. Was wir überall sehen ist, dass Regierungen aus lauter Angst vor Veränderung eine Flucht in die fossile Welt hineintreten und das ist dramatisch.

WDR: Aber auf der anderen Seite muss man ja schauen: Wie bekomme ich Energiesicherheit hin? Deshalb war nicht nur Olaf Scholz in Afrika, sondern auch Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen, denen Sie ja auch angehören, in Katar, um sozusagen die Unabhängigkeit von Russland voranzutreiben. Muss man nicht auch gucken, was für Prioritäten man wo setzt?

Neubauer: Der Krieg geht mittlerweile fast 100 Tage lang. Übrigens haben wir als Deutschland diesen Krieg die volle Zeit mitfinanziert, dass Putin es vorantreiben kann, indem wir immer noch keine Vorschriften verhängt haben. Und wir haben am Anfang des Krieges alle ganz euphorisch darüber gesprochen, dass es jetzt Zeit ist, aus den fossilen Energien auszusteigen und in die erneuerbaren reinzugehen.

Also ich habe das Gefühl, man vergisst manchmal, dass es eine Alternative zu fossilen Energien gibt und natürlich wird die Abhängigkeit von Autokraten nicht besser, nur weil man den Autokraten wechselt. Wir müssen natürlich sofort raus aus Putins Energien, aber dann doch nicht langfristig rein in Abhängigkeiten von fossilen Energien von anderen Autokraten. Stattdessen braucht es echte Pläne, wie wir da wegkommen von allen fossilen Energien, die Autokraten stärken und Lebensgrundlagen zerstören.

Mit skurrilen Ausreden und Kriegsbezügen werden neue fossile Abhängigkeiten für die Zukunft geschaffen. Luisa Neubauer, FFF-Aktivistin und Grünen-Politikerin

WDR: Aber findet das nicht auch parallel statt? Man muss einen Übergang in irgendeiner Weise managen, auf der anderen Seite sind erneuerbare Energien und die Förderung dessen nicht nur in Deutschland sondern auch europaweit das Thema im Moment.

Neubauer: Ja es ist das Thema, aber wo? Im Zweifel eben nicht dort wo es wirklich umgesetzt wird. Man sieht ja gerade wieder: mit skurrilen Ausreden und Kriegsbezügen werden neue fossile Abhängigkeiten für die Zukunft geschaffen. Statt zu sagen: Wir müssen kurzfristig Löcher stopfen. Für die nächsten paar Jahre werden wir ein bisschen Lücken füllen müssen.

Mit neuen fossilen Abmachungen schafft man jetzt gerade langfristige Abhängigkeiten, langfristige Verträge werden unterschrieben und eben Fördervorhaben wie zum Beispiel bis zu zwölf neue LNG-Terminals in Deutschland angestrebt, die alles andere als ein Ende der fossilen Ära einläuten, sondern uns in einer ganz neuen Dimensionen weiter in die Fossilität stürzen.

Da muss man eben genau hingucken, was gesagt und was gemacht wird. Aber gerade jetzt und das ist sehr einfach zu erkennen, geht das nicht auf. Dabei gibt es ja die Alternativpläne, wie es anders und erneuerbar gehen könnte. Aber da müssen sich Regierungen ehrlich machen und anerkennen: Natürlich braucht es Einsparung, natürlich braucht es ein Tempolimit.

WDR: Frau Neubauer, ich kämpfe heute Morgen für eine etwas positivere Sicht der Dinge und würde gerne mit Ihnen noch einmal nach Davos gucken zum Weltwirtschaftsforum. Klimakrise, Ukrainekrieg, Pandemie - all das war auch dort Thema. Und auch klar, dass sich die Wirtschaft nicht mehr aus der Verantwortung ziehen kann. Wer in Zukunft Geld verdienen will, muss bei der Energiewende dabei sein. Kapitalismus kann mit der Energiewende überleben. Ist das keine gute Nachricht?

Neubauer: Was wir gerade erleben - letzte Woche war die Aktionärsversammlung der Deutschen Bank, diese Woche haben andere große Konzerne wie Total und Shell Aktionärsversammlungen gehabt - wie überall olympiareifes Greenwashing betrieben wird, also Konzerne, die sagen: 'Ja klar, wir machen alles jetzt erneuerbar', aber im Endeffekt den allergrößten Teil ihres fossilen Business vorantreiben.

Und was wir eben auch sehen, was Untersuchungen zeigen, dass weltweit so viele neue fossile Projekte geplant werden, von besagten Unternehmen und finanziert werden von den Banken und nicht verhindert werden, von den entsprechenden Regierungen, dass das nochmal richtig übel enden kann, noch schlimmer als es ohnehin ist.

Ich bin die Erste, die zu begeistern ist, für die positive Vision und ich sehe überall die Menschen, die sich einsetzen und die verstehen, dass es anders und gerechter und nachhaltiger gehen könnte. Aber ich sorge mich so sehr, dass rückblickend 2022 das Jahr ist, in dem wir den Absprung verpasst haben. Einfach, weil es alles so gut klingt und weil es so schön aussehen könnte und Regierungen – wenn man genau hinguckt – genau das Gegenteil tun.

Das Interview führte Judith Schulte-Loh für das WDR 5 Morgenecho am 27. Mai. Für die schriftliche Fassung wurde es sprachlich bearbeitet.