"Wir sehen derzeit eine höchst unsoziale Inflation"

Stand: 13.07.2022, 12:28 Uhr

Die Inflation hat sich in Deutschland leicht abgeschwächt, bleibt aber auf hohem Niveau.

Für Verbraucher war die Situation im Juni etwas entspannter - doch das Leben in Deutschland ist noch immer extrem teuer. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte, stiegen die Verbraucherpreise im Juni im Vergleich zum Vorjahresmonat um 7,6 Prozent. Im Mai hatte die Inflationsrate noch bei 7,9 Prozent gelegen.

"Hauptursachen für die hohe Inflation sind nach wie vor Preiserhöhungen bei den Energieprodukten", sagte der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Geort Thiel. "Leicht dämpfend wirkten sich im Juni 2022 das 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt auf die Gesamtteuerung aus." Im Vergleich zum Mai stiegen die Preise im Juni um 0,1 Prozent.

Entlastungsmaßnahmen im Verkehr zeigen Wirkung

Im Bereich Verkehr schwächte sich die Teuerung den Angaben zufolge auf 8,3 Prozent ab, nach 16,3 Prozent im Mai. Wären - ohne Entlastungsmaßnahmen - die Preise für Kraftstoffe und für den öffentlichen Personenverkehr im Juni unverändert gegenüber Mai geblieben, hätte sich der Verbraucherpreisindex insgesamt um 8,6 Prozent gegenüber Juni 2021 erhöht.

Die Preise für Energieprodukte insgesamt lagen im Juni 2022 um 38,0 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats, nach 38,3 Prozent im Mai.

"Wir sehen derzeit eine höchst unsoziale Inflation" DIW-Präsident Marcel Fratzscher

Lebensmittelpreise steigen weiter

Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich im Juni für die privaten Haushalte um 12,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, wie es weiter hieß. Damit verstärkte sich der Preisauftrieb erneut (Mai: 11,1 Prozent, April: 8,6 Prozent). Bei allen Nahrungsmittelgruppen wurden im Juni Preiserhöhungen beobachtet. Erheblich teurer wurden Speisefette und Speiseöle (43,1 Prozent). Ebenso wurden für Fleisch und Fleischwaren (18,9 Prozent), Molkereiprodukte und Eier (15,3 Prozent) sowie Brot und Getreideerzeugnisse (12,5 Prozent) Teuerungsraten im zweistelligen Bereich ermittelt.

Energiepreise geben den Ausschlag

Die Inflationsrate ohne Energie lag laut Statistikbehörde im Juni bei 4,2 Prozent. Wie stark aktuell zudem die Nahrungsmittelpreise Einfluss auf die Gesamtteuerungsrate nehmen, zeigt sich an der Inflationsrate ohne Berücksichtigung von Energie und Nahrungsmitteln: Sie lag bei 3,2 Prozent und damit nicht einmal halb so hoch wie die Gesamtinflationsrate.

Diakonie fordert 100-Euro-Zuschlag für ärmere Haushalte

Die Diakonie forderte angesichts der gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel einen monatlichen Zuschlag für einkommensschwache Haushalte in Höhe von 100 Euro. Den sogenannten Kristenzuschlag sollten alle Haushalte, die Leistungen wie Wohngeld, Kinderzuschlag, Sozialgeld oder Grundsicherung erhalten, bekommen. Die Diakonie schlägt vor, den Zusatzzahlungen auf sechs Monate zu befristen. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie verwies auf ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und sagte, dass der Vorschlag mit Kosten von etwa 5,4 Milliarden Euro auch bezahlbar sei.

DIW-Gutachten: Ärmere Haushalte leiden überporportional

Das DIW-Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die bereits beschlossenen Entlastungspakete zwar Wirkung zeigten und auch einkommensschwächere Haushalte stärker davon profitierten als reichere. Die Maßnahmen wie die Energiepreispauschale, Einmalzahlungen und Heizkostenübernahme reichten aber nicht aus, um die Belastung vollständig zu kompensieren.

Gutverdiener können Preissteigerungen durch Rücklagen ausgleichen

Demnach geben die einkommensschwächsten 20 Prozent der Haushalte gut 62 Prozent ihres Konsums für die Preistreiber Nahrungsmittel, Wohnen und Haushaltsenergie aus. Bei den einkommensstärksten 20 Prozent seien es nur rund 44 Prozent. Anders als Gutverdiener könnten die Ärmeren die Preissteigerungen für lebensnotwendige Güter nicht durch Einsparungen oder Rücklagen ausgleichen.

DIW-Chef Fratzscher fordert permanent höher Löhne und Sozialleistungen

DIW-Präsident Marcel Fratzscher kritisierte: "Wir sehen derzeit eine höchst unsoziale Inflation." Bei einer Jahresteuerung von rund 7,1 Prozent im Jahresschnitt 2022 liege die relative Belastung der untersten zehn Prozent der Haushalte fast fünf Mal höher als die der einkommensstärksten zehn Prozent. "Die Politik muss einen Weg finden, die Härten insbesondere für einkommensschwache Haushalte abzufedern." Diese hätten kaum die Möglichkeit, ihr Konsumverhalten anzupassen, da ein Großteil des Einkommens ohnehin in Produkte des täglichen Bedarfs fließe. Einmalzahlungen stellten nur eine vorübergehende, aber keine dauerhafte Lösung dar. "Wir brauchen permanent höhere Löhne und Sozialleistungen", erklärte der DIW-Chef.


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