Im neu aufgeflammten Kaschmir-Konflikt haben sich Indien und Pakistan nach mehreren Tagen gegenseitiger Angriffe mit dutzenden Toten auf eine Waffenruhe verständigt, diese aber direkt wieder gebrochen. Nur wenige Stunden nach der Einigung am Samstag warfen sich beide Seiten Verstöße gegen die Vereinbarung vor. Zuletzt hatten die verfeindeten Nachbarländer ihren Konflikt deutlich ausgeweitet und Luftwaffenstützpunkte im jeweils anderen Land angegriffen.
Indiens Außenminister Vikram Misri erklärte, sein Land habe nach "wiederholten Verstößen" Pakistans ebenfalls neue Angriffe geflogen. Das pakistanische Außenministerium erklärte, Islamabad fühle sich der Umsetzung der Waffenruhe weiter verpflichtet. Auf indische Verstöße reagierten die pakistanischen Streitkräfte mit "Verantwortung und Zurückhaltung".
Die Waffenruhe war von US-Präsident Donald Trump verkündet worden. "Nach einer langen Nacht mit Gesprächen unter Vermittlung der USA freue ich mich, mitteilen zu können, dass Indien und Pakistan sich auf eine vollständige und sofortige Waffenruhe geeinigt haben", schrieb Trump am Samstag in seinem Onlinedienst Truth Social. Kurz darauf bestätigten auch Islamabad und Neu Delhi die Einigung.
Die Spannungen zwischen Indien und Pakistan haben eine lange Geschichte. Ein Überblick:
Wo liegt der Ursprung des Konflikts zwischen Indien und Pakistan?
Der indische Subkontinent, zu dem beide Staaten zählen, war lange Zeit als Kolonie unter britischer Herrschaft. Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Unabhängigkeit von Großbritannien. Diese hatte eine Teilung der Region in zwei Staaten zur Folge: Der vorwiegend hinduistische Teil wurde zu Indien, der vorwiegend muslimische Teil zu Pakistan. Millionen Menschen siedelten in das jeweils andere Land über - teils geschah das freiwillig, teils kam es zu gewaltsamen Vertreibungen. Pakistan bestand aus einem West- und einem Ostteil, die 1.500 Kilometer voneinander getrennt waren; dazwischen lag Indien.
Welche Rolle spielt die Kaschmir-Region?
Die Bevölkerung in Kaschmir ist traditionell multiethnisch: Dort werden viele verschiedene Sprachen gesprochen und es gibt Angehörige vieler Religionen, die Mehrheit ist allerdings muslimisch. Dennoch schloss sich der Fürstenstaat, der im Hochgebirge Himalaya liegt, nach dem Zweiten Weltkrieg Indien an. Indien erhebt daher Anspruch auf das gesamte Gebiet, kontrolliert aber nur etwa die Hälfte. Der Westen und Norden werden von Pakistan kontrolliert, das seinerseits ganz Kaschmir unter seine Kontrolle bringen will. Zudem gibt es noch einen Teil im Osten, der sich unter chinesischer Herrschaft befindet.
Warum ist das Verhältnis zwischen Indien und Pakistan so belastet?
Nicht nur religiöse Konflikte, auch der Streit um die Kaschmir-Region haben seit Beginn der Staatsgründungen zu Kämpfen geführt. Es wurden mehrere Kriege um Kaschmir geführt, der erste direkt nach der Unabhängigkeit 1947, der bislang letzte 1999. Am Status quo der Region änderte sich durch die Kriege allerdings meist wenig. 1971 kam es zum Bangladesch-Krieg. In Ost-Pakistan wuchs die Unzufriedenheit mit der Dominanz des weit entfernten West-Pakistans auf Politik und Kultur der Region. Diese mündete in einen Generalstreik und schließlich zur Unabhängigkeitserklärung des Landesteils unter dem Namen Bangladesch. Es kam zum Krieg zwischen den beiden Landesteilen, in dessen Verlauf Indien Ost-Pakistan unterstützte und so letztendlich für den Sieg Bangladeschs sorgte.
Obwohl der letzte "offizielle" Krieg zwischen Indien und Pakistan länger her ist, kommt es immer wieder zu Terroranschlägen, Scharmützeln und gewalttätigen Demonstrationen. Auch der Umgang mit der jeweils anderen Religion ist problematisch. Sowohl Muslime in Indien als auch Hindus in Pakistan klagen immer wieder über Diskriminierung und Anfeindung.
Was ist der Auslöser für die aktuelle Krise?
Am 22. April 2025 gab es einen Terroranschlag in Pahalgam, einer Stadt im indisch kontrollierten Teil Kaschmirs. Vier bewaffnete Angreifer töteten dabei 26 Menschen, vorwiegend indische Touristen. Das Ziel der Angreifer, die einer pakistanischen Terrorgruppe angehört haben sollen, waren offenbar insbesondere Hindus. Indien verhängte nach dem Anschlag zahlreiche Sanktionen gegen Pakistan. So sollten alle pakistanischen Staatsbürger vor Ablauf ihrer Visa innerhalb von fünf Tagen das Land verlassen. Indien schloss Grenzübergänge, wies pakistanische Diplomaten aus und setzte den Indus-Wasservertrag aus. Dieser regelt die Wassernutzung beider Länder für den Indus sowie seine Nebenflüsse.
Pakistan schloss seinen Luftraum für alle indischen Fluggesellschaften, wies indische Diplomaten aus und forderte wiederum die Inder im Land auf, dieses zu verlassen. Zudem setzte das Land den Handel mit Indien aus. Pakistan bezeichnete die Aussetzung des Indus-Wasservertrags als Kriegshandlung und drohte damit, das sogenannte Shimla-Abkommen aufzukündigen. Dieses wurde 1972 geschlossen und ist eine Art Friedensvertrag, der beide Seiten dazu verpflichtet, Streitigkeiten friedlich und durch Verhandlungen zu lösen.
Warum ist der Konflikt zwischen den beiden Staaten weltpolitisch so bedeutend?
Zum einen sind sehr viele Menschen davon betroffen: In Indien leben 1,45 Milliarden Menschen, in Pakistan 250 Millionen - das ist zusammen rund ein Fünftel der Weltbevölkerung. Außerdem sind sowohl Indien als auch Pakistan im Besitz von Atomwaffen. Bislang dienten diese nur zur Abschreckung der jeweiligen Gegenseite und kamen nicht zum Einsatz. Beobachter machen sich nun Sorgen über die weitere Entwicklung. Denn Indien und Pakistan sind zwei der nur vier Länder weltweit, die den internationalen Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet haben.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagenturen dpa, AP, Reuters
- tagessschau.de
- Bundeszentrale für politische Bildung