
Diese Armut gehört nicht ins reiche Deutschland | MEINUNG
Stand: 12.03.2025, 12:03 Uhr
Deutschland - die drittgrößte Volkswirtschaft und trotzdem eine Menge Armut. Wie kann das sein? Das geht so nicht, meint Liz Shoo.
Von Liz Shoo
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Zu den Kommentaren [148]"Diskussion um Bettelverbot in Bielefeld", lese ich vergangene Woche in der WDR aktuell App. Das weckt sofort mein Interesse! Ich lese weiter und erfahre, dass es um einen Antrag der CDU und der FDP im Stadtrat geht. Es soll um die Sicherheit gehen, es gebe viele aggressive Bettler. Außerdem - und das ist das Spannende - wolle man durch Bettelverbotszonen die Innenstadt verschönern. Am Ende scheitert der Antrag, doch die Story beschäftigt mich weiter.
Bettler raus, damit unsere Innenstadt schön bleibt. Ja, als Fußgänger angepöbelt zu werden nervt. Aber geht es uns nur darum, oder wollen wir bei unseren Shopping-Trips lieber ausblenden, dass in unserer Stadt auch Menschen leben, die um ihre nächste Mahlzeit betteln müssen? Natürlich gibt es "Berufsbettler" und berüchtigte Banden, die Menschen auf die Straße schicken. Aber eben auch die, die nach kleinen Spenden fragen, weil sie keinen anderen Ausweg sehen.
Für mich als Afrikanerin war es am Anfang ein großer Schock, Bettler in deutschen Innenstädten zu sehen. Damit hatte ich in einem so reichen Land wie Deutschland nicht gerechnet.
Mittlerweile weiß ich, dass dies nur die sichtbarste Form von Armut in Deutschland ist. Die andere, die viel größere Form der Armut ist eine unscheinbare, nicht aufdringliche, leise, versteckte. Es sind die Millionen von Menschen denen wir im Supermarkt, im Bus oder in der Schule begegnen. Nicht aber in Cafés, im Kino oder beim Shopping in Markenläden. Wenn überhaupt reicht das Geld höchstens für den Second-Hand-Laden oder die Kleiderkammer. Oft arbeiten diese Menschen sogar, oder sie haben gearbeitet - nur die Rente ist zu klein.
Überlebensängste gibt’s nicht nur im Krieg
Seit dieser Woche laufen Koalitionsverhandlungen zwischen der Union und der SPD. Es wird viel über die Sicherheit Europas gesprochen, wie viele Milliarden die neue Regierung dafür ausgeben möchte. Das mag alles wichtig sein. Doch für viele Menschen ist nicht Putin die größte Bedrohung in ihrem Leben, sondern die Sorge, dass sie aus ihrer Wohnung fliegen, weil die Miete steigt oder der Eigentanteil für den Zahnersatz sehr hoch wird.
Diese Menschen haben leider keine große Lobby und schämen sich oft dafür, dass sie arm sind. Ihre Themen haben es schwerer auf die politische Agenda zu kommen - auch, weil Menschen in Armut seltener wählen gehen. Gründe gibt es viele: wenig Vertrauen in die Politik, es wird möglicherweise nicht erkannt, dass alltägliche Probleme, wie hohe Lebensmittelpreise und Wohnungsnot auch politisch veränderbar sind.
Private Haushalte so reich wie nie – wo ist das Geld?
Der Staat hat in den vergangenen Jahren immer mehr Einnahmen. Laut Bundesfinanzministerium waren es im vergangenen Jahr gut 861 Milliarden Euro. Doch nicht nur der Staat ist reich, sondern auch viele Privatmenschen. Noch im Januar meldet die DZ Bank, dass die Deutschen unterm Strich so viel Geld auf der hohen Kante haben, wie noch nie - insgesamt 9,3 Billionen Euro.
Dem gegenüber stehen gut 15 Prozent der Menschen im Land, die von Armut bedroht sind. Nimmt man die, die von sozialer Ausgrenzung bedroht sind dazu, sind es ein Fünftel der Bevölkerung. Wie passt das zusammen?
Eine Person gilt in der EU übrigens als von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, wenn
- ihr Einkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze liegt.
- ihr Haushalt von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen ist.
- im Haushalt nur wenige arbeiten.
Viele Ursachen, viele Lösungen
In Deutschland wird Armut leider oft vererbt. Genauso wie Reichtum. Leute mit hohem Abschluss verdienen oft mehr. Wer mehr verdient, kann mehr beiseitelegen, anlegen oder investieren - zum Beispiel in Immobilien, die im Wert tendenziell auch steigen. Heißt: Reiche werden schneller noch reicher und die Lücke zu den Ärmsten im Land noch größer.
Das fängt beim Frühstück an: Es gibt viele Familien, in denen die Kinder ihre erste Mahlzeit des Tages erst in der Schule bekommen. Ein Frühstück können sich die Eltern nicht leisten. Muss der Staat dem Kind ein Frühstück bereitstellen? Nein! Ich finde aber, dass er Bedingungen schaffen muss, dass die Eltern genug in der Tasche haben, um dem Kind ein Frühstücksbrot zu schmieren. Denn dann kann sich dieses Kind auch besser im Unterricht konzentrieren, und mit einer besseren Bildung hat es später die Chance, aus der Armut herauszukommen.
Damit Menschen die Möglichkeit bekommen, mehr für sich und ihre Familien zu erwirtschaften, kann ein Staat viel tun. Ich nenne nur ein paar Ansätze und wünsche mir, dass das auch umgesetzt werden kann, denn es waren alles Wahlversprechen von SPD und Union. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft ist die wichtigste Waffe gegen Armut Arbeitsplätze. Deshalb muss das Wirtschaftswachstum, das uns die Union versprochen hat, nicht nur irgendwelche Arbeitsplätze schaffen, sondern stabile, gut bezahlte Jobs, damit Menschen nicht im Niedriglohnsektor verharren.
Bürgergeld: Totalverweigerer sind nicht das Hauptproblem der Armut
Beim Stichwort Arbeit oder keine Arbeit landet man schnell bei der aktuellen Bürgergeld-Debatte. Union und SPD wollen das Bürgergeld in Grundsicherung umbenennen und das System reformieren. Dass sie Menschen schnell wieder in Arbeit bringen wollen, finde ich gut. Aber es muss sich auch mehr lohnen zu arbeiten, statt zuhause zu bleiben. Zumindest soll der Mindestlohn 2026 auf 15 Euro steigen. Das ist eine gute Nachricht!
Es ist richtig, dass demnächst Leistungen stärker gekürzt oder ganz gestrichen werden, wenn Menschen, die arbeiten können, Arbeitsangebote ablehnen. Aber das wird kaum Probleme lösen. Denn Fakt ist, dass unter den 5,4 Millionen Bürgergeldempfängern relativ wenige „Totalverweigerer“ sind. Laut der Bundesagentur für Arbeit wurde letztes Jahr 16.000 "Totalverweigerern" der Regelsatz gekürzt. Viele Menschen stocken mit dem Bürgergeld aber lediglich auf – sie haben eine Arbeit, die nicht zum Leben reicht. Deswegen wieder der Apell für besser bezahlte Jobs.
Andere Menschen können kaum oder gar nicht arbeiten, weil sie Angehörige pflegen. Vielleicht würde diesen Menschen bezahlbare Pfleger helfen, damit sie einer Tätigkeit nachgehen können. Dann gibt es noch diejenigen, die nicht die Qualifizierungen haben, die der Arbeitsmarkt benötigt. Hier muss es mehr Qualifizierungsangebote geben.
Wenn die SPD Armut bekämpfen will, muss sie sich in der neuen Regierung ernsthaft für bezahlbares Wohnen und verlässliche Bildung in Kitas und Schulen einsetzen. Wer weniger Miete zahlt hat mehr im Portemonnaie. Wenn eine Frau einen Platz in einer Ganztagsbetreuung in der Schule oder Kita hat, kann sie, wenn sie möchte, länger arbeiten oder überhaupt arbeiten. Das schützt sie vor der Teilzeitfalle und verhindert mögliche Altersarmut, die häufiger Frauen betrifft.
All das sind Stellschrauben, die nicht nur jetzt sondern auch später Menschen aus und vor der Armut retten können. Natürlich kostet das alles Geld. Deshalb finde ich es richtig, dass im "Sondervermögen Infrastruktur" auch Geld in die Kommunen fließen wird. Es ist eine notwendige Investition in die Zukunft.
Denn was passiert, wenn ein Land auf der einen Seite eine Wirtschaftsmacht ist und auf der anderen Seite mit massiver Armut zu kämpfen hat, sieht man in den USA. In der größten Volkswirtschaft der Welt gibt es ein massives Obdachlosigkeitsproblem in den Großstädten. Millionen Menschen haben keine Krankenversicherung und viele halten sich mit Zweit- und Drittjobs über Wasser. So weit darf es in Deutschland nicht kommen.
Ich finde, der Staat sollte ein großes Interesse daran haben, die Armut zu reduzieren. Denn sie ist nicht nur gegen die Menschenwürde, sondern sie gefährdet auch unsere Demokratie. Wenn es "denen da unten" ein bisschen besser geht, gibt es vielleicht auch weniger Neiddebatten, weniger nach unten treten, weniger Spaltung, weil Menschen nicht das Gefühl haben, dass eine andere Gruppe ihnen was wegnimmt. Die Verhandler in Berlin haben jetzt die Chance, uns in eine reichere Zukunft zu führen.
Wo begegnet euch Armut im Alltag und was sagt ihr zur Bürgergeldreform? Lasst uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.
148 Kommentare
Kommentar 148: Ruhri schreibt am 19.03.2025, 11:28 Uhr :
WDR 18.03.2025: „Für faire Löhne: DGB fordert Umsetzung eines Tariftreuegesetzes“. Genau da liegt der Knackpunkt bei Armut trotz Arbeit. „Zahlt ein Betrieb Löhne nach Tarifvertrag, sei er oft nicht wettbewerbsfähig - sagt der DGB NRW und fordert das versprochene Tariftreuegesetz.“ Der Staat als Arbeitgeber kann auch nicht mit guten Beispiel vorangehen, wenn Steuereinnahmen aus Lohn- und Verbrauchssteuern von Arbeitnehmern stammen, die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Der Wettbewerb im gemeinsamen Markt der EU lässt sich national nicht regulieren. So ist aus dem Wettbewerb der EU ein Wettbewerb der niedrigsten Löhne und Renten geworden. Auch wenn alle EU-Länder verpflichtet werden nach nationalen Tarif die Löhne zu zahlen bleibt das Lohngefälle. Sollte es in Polen und Bulgarien so etwas wie nationale Tarifverträge geben sind die Arbeitskosten dort immer noch viel geringer. Daher mein Plädoyer für den DExit.
Kommentar 147: WDR verblödet /verarmt! schreibt am 19.03.2025, 03:59 Uhr :
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Kommentar 146: Hallo Cancel -Shoo ! schreibt am 19.03.2025, 03:51 Uhr :
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Kommentar 145: Tassilo schreibt am 18.03.2025, 21:53 Uhr :
Protestantische Arbeitsethik scheint überholt. Mit Luther gaben Kleinbauern die Allmende auf und begaben sich in Lohnabhängigkeit. Seitdem sind Menschen angehalten, ihre Lebenszeit als Arbeitszeit zu verkaufen. Die Produktivität steigt aber für ewiges Wachstum sind die Ressourcen zu begrenzt. Ulrike Herrmann hat im Ansatz des "Grünen Schrumpfens" in dieser Hinsicht jedenfalls einen berechtigten Punkt.
Kommentar 144: Ruhri schreibt am 18.03.2025, 17:31 Uhr :
Die Superverschuldung ist durch den Bundestag, Arbeit wird weiter ins Ausland verlagert, neue Jobs nur in prekärer Beschäftigung, Sozialausgaben stehen auf der Sparliste aber für Krieg ist immer Geld da. Ich fürchte, die Abwärtsspirale hat den Tiefpunkt noch lange nicht erreicht und für eine andere Bundesregierung werden planmäßig die Wähler erst wieder in 4 Jahren gefragt.
Antwort von Tassilo , geschrieben am 18.03.2025, 21:37 Uhr :
Die vom WDR produzierte ARD-Sendung Monitor begab sich für die letzte Sendung nach Rheydt. Das wahre überfremdete Rheydt wurde nicht dargestellt. Stattdessen wurden in einer Schankwirtschaft als einzige Gäste zwei desillusionierte Wähler interviewt, die Angaben die AFD gewählt zu haben. In Rheydt gibt es aber grundsätzlich kaum noch Betriebe mit deutschen Gästen oder traditioneller Inhaberschaft. Die Tristesse ist überall spürbar. Der ehemals quirlige Ort liegt im Leerstand in letzten Zügen. Die Gesellschaft ist eine Neue. Aber eine neue Hoffnung ist dort noch nicht entstanden. Das bedeutet, dass die migrantische Bevölkerung längst die eigenen Lebensumstände generiert. Die Vielfalt, auch unter den Migranten, verhindert aber einen gemeinsamen neuen Horizont zu entwickeln. Ein Siechtum dessen Abwärtsspirale sich wahrscheinlich fortsetzen wird. Mg-Rheydt ist kein Einzelfall. Die Politik ist "dort" gefordert, nicht in Herstellung von Menschenvernichtungswaffen!!!
Antwort von Stoppt Blöddumm-WDR , geschrieben am 19.03.2025, 03:43 Uhr :
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Antwort von , geschrieben am 19.03.2025, 04:24 Uhr :
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Kommentar 143: 18.03.2025, 12:50 Uhr :
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Kommentar 142: 18.03.2025, 12:05 Uhr :
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Kommentar 141: Olaf Wahnsinn schreibt am 18.03.2025, 10:41 Uhr :
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Kommentar 140: Stimmt ! schreibt am 18.03.2025, 09:05 Uhr :
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Kommentar 139: Schneider schreibt am 18.03.2025, 08:25 Uhr :
Es gibt viele Formen, der Angst vor Armut! Wo keiner drüber spricht, ist z.B. Wirtschaftskriminalität im Mittelstand! Es gibt Anwälte die sich darauf spezialisiert haben, Menschen Ihr Lebenswerk komplett weg zu nehmen oder zu zerstören. Was bleibt ist NICHTS und Angst. Die Kölner Staatsanwaltschaft ist z.B. eine der wenigsten, die Ihre Arbeit macht. Egal wie viel Beweise man Ihnen vorlegt. Sie stellen so gut wie alles einfach ein, Hauptsache vom Tisch! Dazu kommt dann noch, dass die Politik in solchen Fällen komplett unfähig ist in ihrer Handlung, so dass sich die Staatsanwaltschaft keine Gedanken machen muss!
Antwort von KGAL , geschrieben am 18.03.2025, 20:09 Uhr :
Aber sie vergessen die Oberstaatsanwältin Frau Anne Brorhilker aus der Kölner Staatsanwaltschaft im Cum-Ex-Steuerbetrug erlangte sie internationale Bekanntheit. Dabei hat sie sich für das Recht und Gesetz aufgerieben und kämpfte gegen Windmühlen, auch politische. Sie hat ihr Amt und die Ermittlungen aufgegeben, ein Satz von ihr sagt alles:Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.
Kommentar 138: M. Lechmann schreibt am 18.03.2025, 07:31 Uhr :
Klimageld immer wieder versprochen aber nie verwirklicht. Die Parteien machen doch immer wieder nur Politik für Reichen.
Antwort von KGAL , geschrieben am 18.03.2025, 16:35 Uhr :
Die CO 2 Abgabe zahlt der Bürger schon seit 2021, somit zahlen wir schon im fünften Jahr diese Abgabe. In der Ampel-Koailtion war in der Regierungserklärung ein Klimageld vorgesehen. Aber die Regierung hatte die EEG-Umlage abgeschafft und holt sich jetzt über die CO2 Abgabe das Geld zurück, alles Taschenspielertricks, aus der einen Tasche nehmen und in die andere stecken, ja der Olaf, man denke nur an den Cum-Ex Skandal und die Mrd. Steuerverluste, Herr Scholz konnte sich in den Prozessen an nichts mehr erinnern, somit zahlt der dumme Michel brav weiter die CO2 Abgabe.