Holocaust-Vergleich von Abbas: "Es fehlte an nötiger Sensibilität für den Augenblick"

Stand: 17.08.2022, 17:39 Uhr

Der Holocaust-Vergleich von Palastinenserpräsident Mahmud Abbas und die späte Reaktion von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sorgen für Furore. Wie "Spiegel"-Hauptstadtkorrespondent Markus Feldenkirchen den Vorfall einschätzt.

Den Holocaust mit seinen mehr als sechs Millionen Toten relativieren? Da gibt es kein Pardon - das geht einfach nicht. Schon gar nicht auf deutschem Boden, noch dazu im Berliner Kanzleramt. Genau das aber ist passiert. Und zwar aus dem Mund von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zusammengekommen war.

Abbas hatte Israel am Dienstag vielfachen "Holocaust" an den Palästinensern vorgeworfen und damit Empörung ausgelöst. "Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen", sagte er auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz und fügte hinzu: "50 Massaker, 50 Holocausts."

Nach diesem Statement hagelte es Kritik - an Abbas, aber auch an Scholz. An Letzterem ging die Frage, warum er denn nicht sofort reagiert habe, sondern erst Stunden später per Twitter.

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Oder warum er Abbas nicht des Hauses verwiesen habe, wegen der relativierenden Äußerungen zum Holocaust. Zu diesem Vorfall äußerte sich "Spiegel"-Hauptstadtkorrespondent Markus Feldenkirchen im WDR-Interview.

WDR: Hätte Scholz sofort reagieren müssen?

Feldenkirchen: Ja. Kurz zur Erklärung: Vorhin ist die Bundespressekonferenz in Berlin zu Ende gegangen. Dort hatte der Regierungssprecher, also Scholzs Sprecher Steffen Hebestreit – die beiden sind schon lange ein Duo – alle Schuld auf sich genommen. Er hat nämlich nach dieser unsäglichen Aussage von Abbas die Konferenz planmäßig beendet. Das war so vorgesehen, letzte Frage, letzte Antwort, Schluss. Das hätte Hebestreit aber so nicht machen dürfen. Es ist zwar ehrenwert, das später als Fehler anzuerkennen. Aber dennoch wäre ein anderes Zusammenspiel der beiden, also von Kanzler und Sprecher, möglich gewesen. Nur weil der Regierungssprecher eine Pressekonferenz beendet, nimmt das dem Bundeskanzler natürlich nicht die Möglichkeit, die Hand zu erheben und zu sagen: Moment!

Aus meiner Sicht fehlten in dem Moment die Sensoren sowohl beim Bundeskanzler als auch beim Sprecher. Ich würde den beiden niemals unterstellen, dass sie nur annähernd irgendeine Sympathie für die Aussage von Abbas hatten, aber den richtigen Reflex, im richtigen Moment richtig zu reagieren, der fehlte wohl gestern.

WDR: Aber warum wohl? Ist dafür auch nur ansatzweise ein Grund vorstellbar? Ist das so "Scholz-Style" – leider – dass er oft erst nachdenkt und dann verspätet reagiert?

Feldenkirchen: Also, sie berufen sich ja jetzt auf das vereinbarte Verfahren bei der Pressekonferenz: Es war die letzte Frage, es war die letzte Antwort, danach sollte Schluss sein. Und so wurde es auch gemacht. Das wird ja jetzt auch als Fehler vom Sprecher erkannt, dass es an nötiger Sensibilität für den Augenblick mangelte.

Ich glaube, dass gerade Olaf Scholz sehr stolz darauf ist, dass er es in seinem sonstigen politischen Leben schafft, höchst diplomatisch zu sein: Sich nichts anmerken lassen, ein Poker-Face haben, da kann sein Gegenüber noch so einen Unsinn reden. Nur gibt es eben Momente, in denen die coole Fassade nun mal überhaupt nicht angebracht ist. Wenn es im deutschen Bundeskanzleramt um Holocaust-Relativierung geht, da muss man in einem solchen Moment aus dem eingeübten, sonst erfolgreichen Verhaltensmuster auch mal ausbrechen können.

WDR: Also könnte man sagen, dass Palästinenserpräsident Abbas das taktisch tabubruch-mäßig ausgenutzt hat?

Feldenkirchen: Unbedingt – und er kam erst mal ungeschoren davon. Jetzt natürlich überbietet sich die Bundesregierung mit Reaktionen, sie reichen von Distanzierung bis Verurteilung. Ich glaube aber auch gar nicht, dass das groß geplant war von Abbas. Er hat da diese Frage, was man 50 – also das Wort 50 spielt offenbar eine Rolle für die schnelle Synapsenbildung im Gehirn – 50 Jahre nach dem Angriff von palästinensischen Attentätern auf israelische Athleten in München empfindet – und dann sagt er, ja es gibt schon 50 Massaker von Israelis an Palästinensern in den letzten 50 Jahren etcetera. Also das war ein bewusstes Spiel von etwas, was er offenbar tatsächlich so denkt - aber was erst recht nicht auf deutschem Boden gesagt werden sollte.

Das Interview lief am Mittwochmittag auf WDR2 und wurde für die Online-Fassung sprachlich leicht überarbeitet.