Ökonom: Gas-Stopp für Polen ist "Rache-Aktion" Putins gegen Deutschland

Stand: 27.04.2022, 17:15 Uhr

Der Gas-Stopp für Polen sei eine klare Botschaft an Deutschland, sagt der Ökonom Jens Südekum. Er erwartet aber nicht, dass Russland auch Deutschland kurzfristig das Gas abdrehen wird. Ein Interview.

Kurz nach dem Besuch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Polen hat Russland für Polen und Bulgarien einen Gas-Stopp verhängt. Was hat das mit Deutschlands Öl-Plänen zu tun - und könnte es auch hier bald einen Gas-Stopp geben? Ein Interview mit Jens Südekum, Volkswirtschaftsprofessor in Düsseldorf und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats im Bundeswirtschaftsministerium.

WDR: Inwiefern ist der russische Gas-Stopp für Polen und Bulgarien auch eine Botschaft für Deutschland?

Jens Südekum: Das ist auf jeden Fall eine Botschaft von Putin und eine Reaktion auf Robert Habecks Ankündigung, dass es in den nächsten Tagen einen Stopp für russisches Öl geben soll.

WDR: Und wieso trifft der Stopp dann Polen - hängt er mit Bundeswirtschaftsminister Habecks Besuch in dem Land zusammen?

Südekum: Ja, es gibt einen direkten Zusammenhang. Hintergrund für Habecks Besuch in Polen ist die Öl-Raffinerie in Schwedt in Ostdeutschland, die dem russischen Staatskonzern Rosneft gehört und an eine Pipeline aus Russland angebunden ist. Diese Raffinerie kann nicht stillstehen: Es würde eine Benzinknappheit drohen, der Berliner Flughafen könnte so lahmgelegt werden.

WDR: Und Öl aus Polen wäre aber eine Alternative?

Südekum: Genau, deshalb war Habeck in Polen. Die Raffinerie in Schwedt könnte über die "Plock"-Pipeline vom polnischen Hafen Danzig beliefert werden. Polen hat sich zu diesen Lieferungen bereit erklärt. Vier Stunden später hat Russland Polen dann den Gashahn zugedreht, das ist also eine direkte Rache-Aktion.

"Vier Stunden nach dem Deal hat Russland Polen dann den Gashahn zugedreht, das ist also eine direkte Rache-Aktion." Der Ökonom Jens Südekum

WDR: Wie weit sind die Verhandlungen zwischen Deutschland und Polen denn?

Südekum: Ich interpretiere das so, dass der Deal fix ist. Es gibt nur noch ein paar technische Fragen, die Anlagen in Schwedt müssen angepasst werden.

WDR: Könnte Putin denn kurzfristig auch einen Gas-Stopp für Deutschland verhängen?

Südekum: Das kann man natürlich nicht ausschließen, ich gehe aber nicht davon aus. Gas ist für Putin eine wichtige Einnahmequelle, auf die wird er nicht verzichten wollen. Es gibt da eine beiderseitige Abhängigkeit. Ich halte es für gut möglich, dass die Gaslieferungen noch einige Monate weiterlaufen - auch wenn es angesichts des Kriegs in der Ukraine nicht schön ist. Sollte Deutschland noch bis Oktober beliefert werden, wären die Speicher bei 90 Prozent, so würden wir durch den Winter kommen. Ein Gas-Stopp in ein paar Monaten wäre also eine ganz andere Situation.

WDR: Aber langfristig wird es einen Gas-Ausstieg geben?

Südekum: Ja, der Komplett-Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas aus Russland kommt. Es wird eine Brückenzeit geben, in der die Energiewende teurer wird als gedacht, bis die erneuerbaren Energien genug ausgebaut sind. Das lässt sich leider nicht vermeiden. Wichtig ist, dass Russland langfristig wirtschaftlich isoliert wird, damit das Land den Krieg in der Ukraine verliert.

Das Interview führte Anna Palm.

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