Flugausfälle und Warteschlangen: Gründe für den Personalmangel an Flughäfen
Stand: 28.06.2022, 18:42 Uhr
Wer in diesen Tagen in den Urlaub fliegen will, muss an den Flughäfen mit stundenlangen Wartezeiten rechnen. Der gravierendste Grund dafür: Es mangelt an Personal. So ist es zu dem Chaos gekommen.
Von Christian Wolf

Mal dauert die Gepäckaufgabe am Check-in-Schalter, mal gibt es lange Schlangen vor der Sicherheitskontrolle und mal fällt der Flug aus: Wer gerade jetzt zum Start der Ferien fliegen will, muss starke Nerven und viel Geduld mitbringen. An den Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn kommt es immer wieder zu Problemen und Chaos.

Warteschlangen am Flughafen Düsseldorf vor dem Check-in
Doch was sind die Gründe für das Flugchaos mit stundenlangen Warteschlangen, Verspätungen und Flugausfällen? Schließlich erscheinen die Flugreisenden nicht aus dem Nichts. Sie haben Wochen oder Monate im Voraus Tickets gebucht. Einen unerwarteten Ansturm gibt es nicht.
Massiver Personalmangel
Trotzdem klappt es im Moment nicht, die Passagiere normal abzufertigen und zu transportieren. Das Problem ist simpel, aber doch kompliziert: Es fehlt Personal, das sich um die Reisenden kümmert. Los geht es am Schalter, wo jemand die Koffer in Empfang nehmen muss. Auch an der Sicherheitskontrolle braucht es genug Mitarbeiter. Im Flugzeug selbst muss die Crew vollständig sein. Und wenn niemand da ist, der den Koffer aus dem Flugzeug Richtung Gepäckband transportiert, ist der Ärger auch groß.
"Über alle Standorte hinweg fehlen den Dienstleistern, die an der Abfertigung der Passagiere beteiligt sind, rund 20 Prozent Bodenpersonal im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit." Ralph Beisel, Flughafenverband ADV

Ralph Beisel, Flughafenverband ADV
Während es an Bodenpersonal mangele, sei die Zahl der Reisenden zuletzt wieder stark angestiegen, sagte Ralph Beisel, Hauptgeschäftsführer des Flughafenverbandes ADV, dem WDR. "Wir haben im Februar gerade mal 30 Prozent der Reisenden gehabt vom Vor-Krisen-Niveau. Und wir sind aktuell - nehmen wir die aktuellste Zahl von Düsseldorf - bei 80 Prozent der Reisenden."
Kürzlich berichtete das Bundesverkehrsministerium: "Derzeit fehlen nach Angaben der Flugverkehrswirtschaft in allen Bereichen rund 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter." Die Flughafenbetriebsräte schätzen den Gesamtbedarf bundesweit auf 5.500 Kräfte. Und laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft fehlen an deutschen Flughäfen sogar 7.200 Fachkräfte. Die Gründe für den Personalmangel sind vielfältig:
Grund 1: Wechsel in andere Berufe bei Bord- und Bodenpersonal

Auch mit dem Gepäck gibt es Probleme
Viele haben in der Corona-Krise die Branche gewechselt. So sind Beschäftigte der Bodendienstleister zum Beispiel in der Logistikbranche untergekommen. Zwar ist die Arbeit auch dort anstrengend. Aber: "Es ist angenehmer, einen Föhn oder einen Computer in einen Karton zu packen, als einen 23 Kilo schweren Koffer im Rumpf eines Fliegers kriechend zu verwahren", sagt Thomas Richter, Chef des Arbeitgeberverbands der Bodenabfertigungsdienstleister im Luftverkehr (ABL). Der Arbeitsmarkt sei momentan "leergefegt".
Auch bei Piloten und dem Kabinenpersonal wird immer wieder von Berufswechseln berichtet - unter anderem zur Bahn. Anstatt sich um die aktuell oft genervten Fluggäste zu kümmern, schlagen sich ehemalige Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter jetzt mit ebenfalls häufig genervten Bahnreisenden rum. Offenbar erscheint das lukrativer, angenehmer oder sicherer. Neben freiwilligen Umorientierungen kam es durch Corona natürlich auch zu Kündigungen, die sich jetzt bemerkbar machen. Die Airlines stehen in der Kritik, das Personal zu sehr abgebaut zu haben - was ihnen jetzt auf die Füße fällt, wo alle wieder fliegen wollen.
Grund 2: Strukturelle Probleme bei den Sicherheitskontrollen

Beim Personal an den Sicherheitskontrollen kommt ein strukturelles Problem hinzu. Den privaten Unternehmen wird vorgeworfen, zu wenig Mitarbeiter zu rekrutieren. Die Firmen werden vom Bundesinnenministerium für die Kontrollen beauftragt und bezahlt. Als positives Gegenbeispiel wird stets München genannt. Am dortigen Flughafen scheint die Lage besser zu sein, weil das Sicherheitspersonal nicht bei einer Privatfirma angestellt ist, sondern bei einer Firma im Staatsbesitz, die nach dem Tarif des Öffentlichen Dienstes bezahlt.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Bei den Sicherheitskontrollen haben sich viele im Zuge von Corona andere Jobs gesucht, die zum Beispiel keinen Dienstbeginn um drei Uhr nachts beinhalten. Die Mitarbeiter, die geblieben sind und nun mit dem Mangel zurechtkommen müssen, klagen über körperliche und psychische Belastungen. Die Folge: Laut Gewerkschaft Verdi ist der Krankenstand ungewöhnlich hoch. Das heißt: Es fallen zusätzliche Kontrolleure aus.
Schon im vergangenen Jahr habe man vor dem Personalmangel gewarnt, sagte Verdi-Experte Özay Tarim kürzlich im WDR. Aber die Dienstleister und das Bundesinnenministerium als Auftraggeber "haben unsere Rufe nicht gehört oder ignoriert".
Grund 3: Strenge Sicherheitsauflagen für neues Personal
Doch selbst wenn neues Personal gefunden wird, heißt das noch nicht, dass es schnell im Einsatz ist. Denn neue Mitarbeiter im Sicherheitsbereich des Flughafens müssen strenge Sicherheitsauflagen erfüllen. "Die sogenannte Zuverlässigkeitsüberprüfung dauert zwischen sechs und 14 Wochen", sagt ABL-Chef Richter. Viele Mitarbeitende hätten einen Migrationshintergrund und müssten vorige Wohnsitze, Jobs und Sprachkenntnisse nachweisen. Und liegen die Unterlagen vor, muss sie auch jemand bearbeiten. "Die Behörden kommen gerade nicht hinterher", sagt ein Insider aus der Branche.
Deshalb hilft die aktuelle Nachricht, dass demnächst 2.000 ausländische Hilfskräfte nach Deutschland kommen sollen, die zum Beispiel bei der Gepäckabfertigung helfen, nur bedingt. Denn auch sie müssen noch den Sicherheitscheck unterlaufen. ABL-Chef Richter geht davon aus, dass der Juli für die Zuverlässigkeitsüberprüfung gebraucht wird und die Hilfe erst ab August zur Verfügung steht. Doch ausgerechnet der Juli ist in NRW kompletter Ferienmonat. "Für Nordrhein-Westfalen wird es eng", sagt Richter.
Grund 4: Corona-Ausfälle

Bei den Crews kommt es derzeit zu Corona-Ausfällen
Und dann ist da auch noch die aktuelle Corona-Lage, die für zusätzliche Probleme sorgt. Die steigenden Infektionszahlen machen auch vor Pilotinnen und Piloten sowie dem Kabinenpersonal nicht Halt. "In den vergangenen Tagen kam es zu kurzfristigen Krankmeldungen unserer Crews", heißt es zum Beispiel bei der Lufthansa. Auch bei Eurowings ist von einem unerwartet hohen Krankenstand die Rede. Deshalb wurden in den vergangenen Tagen immer wieder Flüge annulliert - zum Teil sehr kurzfristig. Denn die Personaldecke der Airlines ist zu knapp, um die Ausfälle auszugleichen.
Lufthansa-Entschuldigung und Minister-Termin
Am Dienstag hat sich Lufthansa-Chef Carsten Spohr in einem Entschuldigungsschreiben an die Passagiere gewandt. Darin machte er deutlich, dass sich die Situation "kurzfristig kaum verbessern" werde. Zwar plane die Branche allein in Europa mehrere tausend Neueinstellungen. Das werde sich aber erst im Winter auswirken. Spohr räumte eigene Fehler ein und stellte fest, dass auch dem Lufthansa-Konzern in einigen Bereichen Personal fehle.
Die Bundesregierung sieht inzwischen auch Handlungsbedarf. So wollen Verkehrsminister Volker Wissing, Innenministerin Nancy Faeser und Arbeitsminister Hubertus Heil am Mittwoch Maßnahmen zur kurzfristigen Abhilfe vorstellen. Um was genau es geht, ist noch offen.
Probleme beim Fliegen auch woanders
Die Schwierigkeiten beim Fliegen sind übrigens kein deutsches Problem. Auch andernorts gleicht das Reisen mit dem Flugzeug zum Teil einer Nervenprobe. Der Billigflieger Easyjet hat für seine britische Flotte Konsequenzen gezogen: Wegen fehlender Flugbegleiter wird in diesem Sommer bei sämtlichen Flugzeugen vom Typ Airbus A319 die hintere Sitzreihe ausgebaut. Sechs Sitzplätze weniger bedeuten, dass die Airline für die verbliebenen Passagiere nur noch drei statt bislang vier Flugbegleiter einsetzen muss.