Vorzeitiger Tod durch Feinstaub: Kritik an EU-Zahlen

Stand: 24.11.2022, 19:18 Uhr

Laut EU-Umweltagentur sind im Jahr 2020 rund 240.000 Menschen vorzeitig durch zu hohe Feinstaubbelastung gestorben. Warum solche Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind und was bessere Vergleichsgrößen wären.

Von Peter Hild

"Die Zahl vorzeitiger Todesfälle ist mathematisch nicht belastbar, auch weil die EU gar nicht die dafür benötigten Daten hat", sagt der Mathematiker und Epidemiologe Peter Morfeld von der Ruhr-Universität Bochum. Jährlich werden diese Zahlen von der EU-Umweltagentur veröffentlicht, nach Morfelds Vermutung, vor allem, um in der Öffentlichkeit mehr Wirkung zu entfalten.

Durch diese dramatisch hoch wirkende Zahl könnten sich aber die wenigsten vorstellen, wie stark die Auswirkungen von Feinstaub tatsächlich sind. Morfeld rät dazu, sich stattdessen, auch für Vergleiche, die Folgen von Feinstaub auf die Lebenserwartung anzuschauen.

Feinstaub wirkt auf Lebenserwartung wie Rauchen

Mikroskopische Aufnahme von Feinstaub

Nach einer Studie des Max-Planck-Instituts Mainz im Jahr 2019 hat Feinstaub in Deutschland eine ähnlich starke Auswirkung auf die Lebenserwartung wie regelmäßiges Rauchen. Es verkürze die Lebensdauer im Durchschnitt um gut zwei Jahre.

In anderen Studien, so Morfeld, gehe man von einer verkürzten Lebensdauer durch Feinstaubbelastung in Deutschland und Europa von sechs bis zwölf Monaten aus. "Diese Größenordnung können sich Menschen deutlich besser vorstellen. Klar ist aber auch, es geht immer nur um eine Annäherung, einen groben Mittelwert für eine große Gruppe von Menschen", erläutert der Wissenschaftler. Warum die EU-Behörden diese Kategorie nicht verwenden, wofür es doch bereits zahlreiche Studien und Daten gibt, sei unklar.

Todesursache Feinstaub kaum zu ermitteln

Aus Morfelds Sicht kann Feinstaub für einen einzelnen Todesfall kaum als Ursache herausgefiltert werden: "In der wissenschaftlichen Diskussion geht es etwa beim Herzinfarkt derzeit um rund 250 Einflussfaktoren." Klar wissenschaftlich belegt ist allerdings, dass sich gerade die kleinsten Feinstaubpartikel negativ auf die Gesundheit auswirken können.

Julia Demann aus der WDR-Wissenschaftsredaktion sagt, dass Feinstaub nach dem Rauchen die zweithäufigste Ursache für Lungenkrebs ist. "Er gelangt aber auch über die Bluthirnschranke ins Gehirn und übers Blut auch in andere Organe. Das kann das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko erhöhen, sogar zu Diabetes, Allergien und Asthma führen. Das ist also nicht zu unterschätzen."

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Laut Umweltbundesamt ließen sich 2018 jeweils rund zehn Prozent der Fälle von Lungenkrebs, Schlaganfällen oder auch Diabetes Typ 2 auf eine zu hohe Feinstaubbelastung zurückführen.

Schwierige Diskussion um Grenzwerte

Die EU-Kommission hat kürzlich angekündigt, die Grenzwerte für Feinstaub senken zu wollen, für die kleinsten Partikel von 25 auf zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Das ist aber immer noch doppelt so hoch wie der empfohlene Wert der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Die Festsetzung der Grenzwerte sei immer ein politischer Kompromiss, so Morfeld. Denn Epidemiologen sähen bei jedem noch so niedrigen Grenzwert immer noch Fälle, in denen Menschen durch Feinstaub krank werden. "Die Festlegung durch die Politik ist deshalb immer eine Abwägung, wie viel Schaden durch Feinstaub hält man für die Wirtschaft und das Alltagsleben der Menschen für zumutbar", sagt Morfeld.

Die Feinstaubbelastung geht in Deutschland und der EU seit vielen Jahren kontinuierlich zurück. Die immer sauberere Luft hat laut Morfeld aber auch andere, negative Folgen. "Dadurch, dass weniger Staubpartikel in der Luft sind, die das Sonnenlicht reflektieren, erwärmt sich die Erde schneller. Auch das gilt es bei der Bekämpfung der Klimakrise mit zu bedenken."