WDR Europaforum 2022: Deutschland sucht seine neue Rolle

Stand: 02.06.2022, 17:43 Uhr

Welche Konsequenzen hat der Ukraine-Krieg für die politische Lage in Europa? Noch sind viele Fragen offen, zeigte sich beim WDR Europaforum 2022 am Donnerstag.

Putins Krieg gegen die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Nicht nur, weil er ein Land mitten in Europa in eine humanitäre Katastrophe gestürzt hat. Er hat auch die Europäische Union in ihren Grundfesten erschüttert: Es gibt Streit über Sanktionen, Waffenlieferungen und die Versorgung von Geflüchteten. Noch demonstrieren die meisten EU-Staaten Einigkeit, aber Interessenkonflikte sind bereits unübersehbar.

Die EU muss also ungeahnte Herausforderungen meistern und gleichzeitig Perspektiven für ihre Zukunft entwickeln - reichlich Gesprächsstoff für das 24. WDR-Europaforum. Unter dem Motto: "Wie weiter? Europa in der neuen geopolitischen Realität", diskutierten Politiker und Wissenschaftler am Donnerstag über eine neue Perspektive für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.

Scharfe Kritik an Viktor Orban

Dass es keine leichte Aufgabe wird, zeigte sich bereits bei einem der ersten Diskussionsbeiträge des Tages: Der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, übte scharfe Kritik an Ungarn wegen der erneuten Blockade der EU-Strafmaßnahmen gegen Russland. Hintergrund: Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hatte zuletzt weitere Änderungen am neuen EU-Sanktionspaket gefordert. "Ich habe dafür kein Verständnis mehr. Solidarität ist keine Einbahnstraße", sagte Timmermans.

Dieses Element beinhaltet Daten von Twitter. Sie können die Einbettung auf unserer Datenschutzseite deaktivieren.

Orban glaube offenbar, mit der EU und den Mitgliedsstaaten nach Belieben umspringen zu können. "Er hat ein Gefühl bekommen: Ich kann machen, was ich will, die nehmen alles hin", so der Vizepräsident. "Es war nie ein Geheimnis, dass er sich sehr freundlich mit Putin verhält."

Baerbock regt EU-Reform an

Ungarn war auch Thema beim Gespräch mit Annalena Baerbock (Grüne) - allerdings drückte sich die Bundesaußenministerin etwas diplomatischer aus. Baerbock betonte, dass die EU in Zukunft von dem Prinzip der Einstimmigkeit Abschied nehmen müsse - allerdings räumte sie ein, dass eine so tiefgreifenden Änderung der EU-Regeln wohl nicht schnell umgesetzt werden kann.

Stattdessen drückte Baerbock in einer anderen Frage aufs Tempo: einem EU-Aufnahmeverfahren für die Ukraine: "Es reicht nicht zu sagen: Ja, ihr gehört zu Europa, sondern ihr gehört in die Europäische Union." Trotz allem könne es aber keine Aufnahme im Schnellverfahren geben. "Da kann es keinen Rabatt geben. Aber in diesem Moment müssen wir gemeinsam als Europäische Union die Weichen dafür stellen, dass wir ihnen jetzt nicht die Tür vor der Nase zumachen", so Baerbock.

Dieses Element beinhaltet Daten von Twitter. Sie können die Einbettung auf unserer Datenschutzseite deaktivieren.

Auch bei den Zielen, die Deutschland und Europa durch ihre militärische und politische Unterstützung der Ukraine verfolgen, gibt es offenbar noch Klärungsbedarf. CDU-Vorsitzender Friedrich Merz warf der Bundesregierung vor, sich über ihre Ziele in der Ukraine nicht völlig klar zu sein. "Es geht um die Wiederherstellung der territorialen Souveränität der Ukraine."

Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz erkläre, Russland dürfe "den Krieg nicht gewinnen", lasse er zu viel Raum für Interpretationen. Er selbst stimme Außenministerin Baerbock zu: Die Ukraine müsse "die Aggression (...) stoppen und (die russische Armee) mindestens bis zur Kontaktlinie vom 24. Februar zurückdrängen".

Dieses Element beinhaltet Daten von Twitter. Sie können die Einbettung auf unserer Datenschutzseite deaktivieren.

Nicht nur die Zukunft, auch Fehler der Vergangenheit kamen zur Sprache: SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil gab zu, dass es in der Russland-Politik seiner Partei wie aber auch bei weiten Teilen der deutschen Gesellschaft zu Fehleinschätzungen gekommen sei. Nach dem russischen Überfall auf die Krim hätte man den Umgang mit Moskau neu bewerten müssen. "Vielleicht war es naiv, vielleicht hat man es nicht sehen wollen. Da hätten wir anders abbiegen müssen", meinte Klingbeil. "Wir haben zu wenig auf die mittel- und osteuropäischen Länder gehört."

Dieses Element beinhaltet Daten von Twitter. Sie können die Einbettung auf unserer Datenschutzseite deaktivieren.

Weitere Themen