Online-Unterricht: Prüfungen unter erschwerten Bedingungen

Stand: 30.04.2022, 09:14 Uhr

Online-Unterricht ist für Schüler und Schülerinnen mit Einschränkungen ein Segen. Das Problem: Es wird ihnen schwer gemacht, eine Prüfung abzulegen.

Online-Unterricht: Für viele Schüler, die die Schultage wegen Corona zuhause am Rechner verbringen mussten, ein Horror. Nicht so für Marlon: Er ist heilfroh, dass er online lernen darf. Der 18-Jährige hat das Asperger-Syndrom - für ihn wäre es der totale Stress, wenn er in überfüllten Klassen und in einem starren System lernen müsste. "Andere neurotypische Menschen blenden die Umgebungsgeräusche einfach aus", sagt er dem WDR. "Ich kann das aber nicht, weil ich Asperger-Autist bin. Das heißt, es ist immer eine Ablenkung vorhanden, ich kann mich nicht konzentrieren."

Unangenehme Überraschung kurz vor der Prüfung

Seit 20 Jahren bietet die private "Web-Individual-Schule" in Bochum Online-Unterricht für Kinder aus ganz Deutschland an, die wegen einer psychischen oder körperlichen Beeinträchtigung von der Schulpflicht befreit sind - Schulabschluss inklusive. Auch Marlon hatte das vor, aber kurz vor der Prüfung kam die Überraschung: Sie sollte nicht mehr zentral und in Präsenz in Bochum stattfinden wie in all den Jahren vorher.

In Präsenz und ohne Vertrauenslehrer

Der Grund: Die zuständige Bezirksregierung war überfordert, weil sich zuletzt 100 Schülerinnen und Schüler prüfen lassen wollten. Das Schulministerium verkündete daraufhin, es sei organisatorisch künftig nicht mehr möglich, alle Prüfungen zentral durchzuführen. "Deshalb wird das Land zum bewährten Wohnortprinzip zurückkehren müssen, wonach Abschlussprüfungen im jeweiligen Heimatbundesland der Schülerinnen und Schüler abgelegt werden." Aufgrund der unterschiedlichen Lehrpläne sei das aber nicht möglich, so Schulleiterin Sarah Lichtenberger. "Es ist eine Katastrophe für diese Kinder, weil sie eh schon so beeinträchtigt sind und keine Chance auf einen Schulabschluss haben."

Es gab Streit, dann schien ein Kompromiss möglich: In diesem Jahr dürfen zumindest alle Schüler aus ganz Deutschland ihre Prüfung in NRW ablegen. Kurz darauf der nächste Schock: Sie werden dafür auf ganz NRW verteilt und können nicht wie gewohnt von ihren vertrauten Lehrern begleitet werden. Schulleiterin Lichtenberger: "Wir sind diejenigen, die in den letzten 20 Jahren mit den Kindern in die Prüfungen gegangen sind und die Türklinke heruntergedrückt haben, um zu sagen: 'Wir sind da.' Und das ist jetzt nicht mehr möglich."

Deshalb haben Eltern der Web-Individual-Schule eine Onlinepetition gestartet, in der sie die wohnortunabhängige Prüfung fordern. Bislang haben dort mehr als 3.600 Menschen unterschrieben.

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Entgegenkommen für NRW-Schüler

Dabei haben sich fast alle Parteien im Wahlkampf für Bildungsgerechtigkeit und Digitalisierung stark gemacht. Ein Interview mit der FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer gibt es nicht, sie verspricht aber, dass zumindest alle NRW-Schüler auch in Zukunft ihre externen Prüfungen ablegen können.

Der Opposition ist das zu wenig. "Mittelfristig für die nächsten Jahre müssen wir Kooperationspartner finden, die mit solchen Schulen zusammenarbeiten", so Bildungspolitiker Jochen Ott von der SPD.

Nächstes Ziel: Abitur

Für Marlon kommt das zu spät. Er kann seine Prüfung machen, aber ohne den Vertrauenslehrer. "Es wird über die Schüler gesprochen und nicht mit ihnen", sagt er. "Ich glaube, da spreche ich nicht nur für mich." Er will sich jetzt trotz der Probleme auf seinen Realschulabschluss konzentrieren - und später sein Abi machen.

Über dieses Thema berichtet der WDR am 29.4. im Fernsehen in der Aktuellen Stunde.