Mordermittlung mit Deepfake-Video: Polizei geht ganz neue Wege

Stand: 24.05.2022, 19:36 Uhr

Deepfakes lassen gefälschte Videos täuschend echt aussehen. Die Polizei macht sich diese Technik jetzt zu Nutze und erweckt ein Mordopfer zum Leben. Von einer "Weltpremiere" ist die Rede.

Fingerabdrücke, DNA-Vergleiche und moderne Software - auch die Polizei geht mit der Zeit und nutzt immer wieder die neuste Technik für ihre Ermittlungen. Ein ganz neues Kapitel hat nun die Polizei in den Niederlanden aufgeschlagen. Sollte es erfolgversprechend sein, dürften auch die Kollegen in NRW in absehbarer Zeit darauf zurückgreifen.

Es geht um sogenannte Deepfakes. Dabei handelt es sich um Videos, Bilder oder auch Audio-Dateien, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) produziert werden. Stimme, Gesicht und Bewegungen einer Person erscheinen echt, sind es aber nicht. Die Polizei in Rotterdam nutzt nun diese moderne Technik, vor deren negativen Auswirkungen immer wieder gewarnt wird, für ihre Arbeit.

Mordopfer erscheint in Video der Polizei

Mit Hilfe eines Deepfake-Videos soll ein fast 20 Jahre alter Mordfall endlich gelöst werden. Es geht um den 2003 erschossenen Sedar Soares. Die Ermittler haben ein Foto des damals 13-Jährigen genommen und ein Video mit ihm produziert. Darin wird der Teenager quasi zum Leben erweckt und sucht seinen eigenen Mörder.

So sieht man Soares auf einem Fußballplatz im Trainingsanzug. Er geht durch ein Spalier von Familie, Freunden, Lehrern und Trainern. "Er wollte Profifußballer werden", sagt seine Schwester Janet in dem Film. "Der Traum ist weg. Denn Sedar lebt nicht mehr." Um endlich die Wahrheit zu erfahren, sei er "speziell für diesen Film zum Leben erweckt worden". Und dann scheint der Junge gemeinsam mit seiner Schwester an die Zuschauer zu appellieren: "Weißt du mehr? Dann sprich jetzt."

Polizeiexperte spricht von "Weltpremiere"

Das Video lief in einem Aufruf der Polizei im niederländischen TV und ist auch im Internet zu finden. Nach der Veröffentlichung haben die Ermittler Dutzende Hinweise erhalten. Die große Zahl sei "sehr positiv", erklärte eine Sprecherin. Wie hilfreich die Hinweise seien, müsse aber noch überprüft werden.

Nach Angaben der Polizei wurde die Technik erstmals für einen Zeugenaufruf eingesetzt. "Es ist eine Weltpremiere", sagte der Polizeiexperte Daan Annegarn. Das Video sei gemeinsam mit der Familie entwickelt worden. "Wir sind davon überzeugt, dass es auch im kriminellen Umfeld Menschen berühren kann. Dass Zeugen und vielleicht der Täter sich melden werden."

Polizei hofft auf neue Hinweise durch Deepfake

Soares war im Winter 2003 in Rotterdam erschossen worden. Jahrelang war die Polizei davon überzeugt, dass er von einem wütenden Autofahrer erschossen wurde, weil er mit seinen Freunden Schneebälle auf Autos geworfen hatte. Inzwischen nehmen die Ermittler nach eigenen Angaben an, Soares sei zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Er sei das unbeteiligte Opfer eines Raubüberfalls einer Verbrecherbande auf eine andere Bande geworden. Die Polizei hofft nun, dass sich Mitwisser des Überfalls melden - oder Augenzeugen, die bisher geschwiegen haben.

Über dieses Thema berichteten wir am 23.05.2022 im WDR-Radio Cosmo und am 24.05.2022 in WDR aktuell, 21.45 Uhr.

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