Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat angesichts wieder höherer Corona-Infektionszahlen zu Vorsicht aufgerufen und bereitet ein Schutzkonzept für den Herbst vor. Es sei zwar "kein Alarm notwendig", sagte der SPD-Politiker am Freitag in Berlin. Es sei aber auch nicht so, "dass wir sorglos und ohne Gegenmaßnahmen dieser Sommerwelle begegnen können".
Dass in diesem Jahr der Sommereffekt in der Pandemie verpufft, führte Lauterbach in einem Interview mit der Rheinischen Post insbesondere auf zwei Punkte zurück:
Der Gesundheitsminister kündigte an, dass noch vor der Sommerpause Eckpunkte für künftige Vorgaben im Infektionsschutzgesetz erarbeitet werden sollen. Die jetzigen Regelungen laufen zum 23. September aus. Zu einem Sieben-Punkte-Plan für den Herbst soll dann auch eine Impfkampagne mit verschiedenen Impfstoffen gehören. Ziel sei, gezielt Impflücken zu schließen, sagte Lauterbach.
Er setzt darauf, dass in sechs bis zwölf Monaten neue Corona-Impfstoffe entwickelt werden. "Ich kann nicht unbedingt sagen, dass dies mRNA-Impfstoffe sein werden", sagte Lauterbach. Es gebe hoffnungsvolle Arbeiten an einem proteinbasierten Impfstoff. Einem neuen Anlauf für eine allgemeine Impfpflicht erteilte er eine Absage.
Wie dramatisch ist der aktuelle Anstieg der Inzidenzen?
Ob auch wieder Inzidenzen von über 1.000 bevorstehen, ist unklar. Der Immunologe Carsten Watzl spricht von Inzidenzen von "einigen Hundert". Hajo Zeeb vom Leibnitz-Institut sagt, dass nicht zwangsläufig Zahlen wie in Portugal zu erwarten sind, wo die Inzidenz zuletzt bei rund 1.600 lag.
Mit einem Satz zusammengefasst: Einen Grund zu Panik sehen die Fachleute nicht, man müsse aber wachsam sein. Intensivmediziner Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf spricht momentan von einem "moderaten" Anstieg der Infektionszahlen.
Laut aktuellem Wochenbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) ist die 7-Tage-Inzidenz in der Kalenderwoche 23 im Vergleich zur Vorwoche um 34 Prozent angestiegen und liegt derzeit bei 393.
Daran haben auch die beiden Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 ihren Anteil. Im RKI-Wochenbericht wird ihr Anteil am Infektionsgeschehen mit 23,7 Prozent (BA.5) beziehungsweise 4,2 Prozent (BA.4) angegeben – Tendenz steigend.
Die folgenden Daten zeigen die Verteilung bis Woche 22:
Überlastung des Gesundheitssystems eher unwahrscheinlich
Eine deutliche Belastung des Gesundheitssystems im Sommer hält Intensivmediziner Kluge trotzdem für eher unwahrscheinlich, da Infektionen mit Omikron-Untervarianten meist eher milder verlaufen. Ein weiterer Aspekt, der laut Immunologe Watzl eine Ansteckung erträglicher macht: Wer sich infiziert, frischt damit seinen Immunschutz auf. Das sei quasi die vierte Impfung mit dem angepassten Impfstoff, so Watzl.
Gleichzeitig bedeutet eine hohe Anzahl von positiven Patientinnen und Patienten laut Kluge aber auch für die Normalstationen der Kliniken eine deutliche Mehrbelastung - insbesondere für die Pflegenden. Watzl verweist auch auf mögliche Ausfälle bei Firmen durch viele leichte Infektionen.
Dazu kommt, dass mit mehr Infektionen auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass das Coronavirus weiter mutiert und neue Varianten entstehen. Diese könnten noch leichter übertragbar als die aktuellen Omikron-Varianten sein und sich im schlimmsten Fall auch wieder in schwereren Krankheitsverläufen äußern.
Was können wir jetzt tun?
Da es fast keine Corona-Beschränkungen mehr gibt, appellieren die Fachleute an die Selbstverantwortung. Der Tenor: Ja, das Virus hat es draußen im Freien schwer, sich zu verbreiten. Aber drinnen und da wo es voll sein kann - zum Beispiel im Supermarkt oder in Bussen - sollte man immer an die Maske denken. So müsse klar sein, "dass Corona unter uns ist, es gibt da keine Sicherheit", betont Zeeb. Der Epidemiologe Timo Ulrichs fasst es so zusammen:
Und Bundesgesundheitsminister Lauterbach? Der sagt: "Älteren und Vorerkrankten empfehle ich dringend, sich nochmal impfen zu lassen. Das verhindert nicht unbedingt eine Infektion, aber es verhindert schwere Krankheitsverläufe". Und: Wer sich und andere schützen will, solle freiwillig Masken in Innenräumen tragen.