Person sitzt auf Toilette.

Abwasserscreening und Stichproben: Auf der Suche nach neuen Corona-Varianten

Stand: 19.06.2022, 17:34 Uhr

Um den neuen, hochansteckenden Corona-Varianten schnell auf die Spur zu kommen, wird in einigen NRW-Städten das Abwasser untersucht. Bei der ebenso wichtigen Gensequenzierung hinkt Deutschland aber hinterher.

Von Nina Magoley

Seit das Coronavirus in der Welt ist, treibt es die Wissenschaft vor sich her. Die neuen, sehr ansteckenden Varianten BA.4 und BA.5 verheißen einen Sommer mit wieder stark ansteigenden Infektionszahlen. Im Ringen mit Covid-19 geht es auch darum, Varianten des Virus möglichst frühzeitig zu entdecken. Testen aber wollen sich viele nicht mehr regelmäßig. Im Moment wird sogar diskutiert, die kostenlosen Bürgertests Ende Juni abzuschaffen.

Dass man auch über das Abwasser ein gutes Bild von der Verbreitung des Corona-Virus bekommen kann, wusste man schon bald zu Beginn der Pandemie: Infizierte scheiden das Virus über den Stuhl aus. Anhand von Abwasserproben aus Klärwerken zeigt sich schnell, wo sich gerade welche Variante ausbreitet.

Alle EU-Länder sollen mitmachen

Im März 2021 hatte die EU-Kommission daher die Mitgliedstaaten aufgefordert, das Abwasser-Monitoring systematisch zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu nutzen - nach dem Motto "Alle gehen auf Toilette, aber nicht alle gehen zum Testzentrum". Auch die Grünen in NRW fordern seit Langem einen Ausbau des Abwasser-Monitorings.

Die Bundesregierung stellt Fördergeld für mehrere Pilotprojekte bereit, und mittlerweile steht vor allem NRW im Fokus der Wissenschaftler: Zusammen mit den Wasserverbänden Emschergenossenschaft und Lippeverband hat beispielsweise die Forschungsgruppe Covidready ein großes Abwasser-Monitoring entwickelt.

Frühwarnsystem für neue Varianten

Dabei werden die Ausscheidungen von 2,4 Millionen Einwohnern in fünf Kläranlagen regelmäßig kontrolliert. Gefundene Viren werden dann am Universitätsklinikum Frankfurt analysiert. So konnten die Forscher Anfang Juni schnell feststellen, dass sich die neuen Omikron-Subtypen BA.4 und BA.5 in weiten Teilen NRWs als vorherrschende Varianten durchgesetzt haben.

Koordiniert wird das Projekt am Forschungsinstitut für Wasserwirtschaft und Klimazukunft an der RWTH Aachen. Das Ziel: Covidready soll als "praxistauglicher Workflow" flächendeckend auch zum Frühwarnsystem werden für die Ausbreitung der sogenannten besorgniserregenden Virus-Varianten - der "Variants of Concerns".

NRW-Strategie: Mehr Abwasserproben, weniger Tests

Für ein weiteres Pilotprojekt von Bund und Ländern werden seit April 2022 ebenfalls Wasserproben in Klärwerken entnommen - unter anderem in Borken, Düsseldorf, Gütersloh und Waldbröl, aber auch in Köln, Bonn, und Dinslaken. Die jeweiligen Standorte sollen sich unterscheiden in der Größe ihres Einzugsgebiets und dem Einfluss von Touristen und Pendlern. Das Verfahren könne "für den kommenden Herbst/Winter als Seismograph für das Infektionsgeschehen von zunehmender Bedeutung bei abnehmendem Testregime werden", erklärt das NRW-Gesundheitsministerium.

Bisher wird ein Abwasser-Monitoring zur Bekämpfung der Pandemie nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums nur in sehr wenigen Ländern flächendeckend eingesetzt - darunter die Niederlande, Kanada und Australien. Viele andere Länder bauen derzeit ihre Kapazitäten für den Einsatz der Methode aus.

Zweites wichtiges Tool: Gen-Sequenzierung

Eine weitere wichtige Methode, um zu überwachen, wie und wo sich das Virus verbreitet und verändert, ist die sogenannte Sequenzierung des Virusgenoms. Die Genomsequenz eines Erregers, so erklärt es das RKI, ist eine Art "mikrobieller genetischer Fingerabdruck", der auch Infos über die Herkunft des Virus enthält. So konnte man zu Beginn der Pandemie bei den ersten Infektionsfällen nachvollziehen, ob die Patienten sich im österreichischen Skiort Ischgl oder anderswo angesteckt hatten.

Eine Genomsequenzierung wird in speziellen Laboren ausgeführt, ist aufwändiger und teurer als ein PCR-Test und dauert mehrere Tage. Das RKI sieht in der flächendeckenden Sequenzierung ein wichtiges Tool, um die Ausbreitung und Entwicklung der Pandemie in den Griff zu bekommen. Weswegen die Bundesregierung das Verfahren eigentlich fördern wollte, wie es in der Coronavirus-Surveillanceverordnung des Bundesgesundheitsministeriums von Anfang 2021 heißt.

Deutschland hinkt bei Sequenzierung hinterher

Doch bis heute ist Deutschland bei der Zahl der Sequenzierungen im internationalen Vergleich weit abgeschlagen. Gesammelt werden die weltweit gemeldeten Daten bei "Gisaid". Innerhalb der letzten 30 Tage wurden in Deutschland demnach gerade mal gut ein Prozent der hier gemeldeten Corona-Fälle sequenziert. Die meisten Sequenzierungen - bezogen auf die Infektionsfälle im Land - meldeten Dänemark (40 Prozent), Luxemburg (12 Prozent), Liechtenstein (knapp 10 Prozent) und Schweden (8,5 Prozent).

Großbritannien, das sein Sequenzierungssystem schon lange deutlich besser ausgebaut hat, bietet seit einem Jahr anderen Ländern Hilfe bei der Genom-Untersuchung an. Neun Länder, darunter Brasilien, Kenia oder Chile, nahmen das Angebot bisher an. Deutschland ist nicht darunter.